Der Mann kann einfach nicht aufhören. 94 Jahre alt ist Clint Eastwood und ein Ausstieg aus dem Berufsleben scheint für ihn immer noch nicht in Betracht zu kommen. Mit einer unerschütterlichen Kontinuität hat Eastwood in den letzten dreißig Jahren ein umfangreiches Alterswerk von mehr als zwanzig Regiearbeiten auf die Beine gestellt. Wo Filmemacher wie Francis Ford Coppola mit „Megalopolis“ alle Kraft in ein letztes großes Meisterwerk stecken (und damit scheitern), hat Clint Eastwood einfach als grundsolider Handwerker einen Film nach dem anderen gedreht.
In „Gran Torino“ (2008) zeigt Eastwoods garstiger Korea-Veteran Walt Kowalski dem vietnamesischen Nachbarjungen, was alles in die Werkzeugtasche gehört, um Reparaturen an Haus und Auto durchzuführen. Schraubendreher, Maulschlüssel, Klebeband – es sind nicht allzu viele Sachen, die man braucht. Der Rest ist Know-how. Die Szene könnte man als vorgezogenes Vermächtnis einpreisen. Denn ganz wie seine Charaktere auf der Leinwand hat sich auch der Regisseur Eastwood eine klare, schnörkellose Herangehensweise bewahrt, die sich stets auf das Wesentliche und Grundsätzliche konzentriert.
Für Staatsanwältin von Toni Collette scheint alles klar zu sein
Dies gilt auch für sein neues (und vielleicht letztes, aber wer weiß?) filmisches Werk „Juror #2“. Der Film erzählt von dem angehenden Familienvater Justin (Nicholas Hoult), dessen Ehefrau Allison (Zoey Deutch) im neunten Monat schwanger ist. Da kommt Justins Berufung zum Geschworenen in einem Mordprozess mehr als ungelegen. Der Angeklagte James Sythe (Gabriel Basso) soll seine Freundin Kendall (Francesa Eastwood) nach einem Streit in einer Bar umgebracht haben. Für die Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) ist der Fall sonnenklar. Schließlich hat der Angeklagte eine kriminelle Vergangenheit nicht nur als ehemaliges Mitglied einer Drogenbande, sondern auch in Sachen häuslicher Gewalt. Für Faith, die sich auf das Amt der Bezirksstaatsanwältin bewirbt, ist der öffentlichkeitswirksame Prozess auch ein wichtiger Teil ihrer Wahlkampagne.
Aber in dem Geschworenen Nummer 2 kommen Zweifel auf. Denn Justin realisiert während der ersten Zeugenvernehmungen, dass er selbst in der betroffenen Nacht in der Bar war. Auf der Rückfahrt durch das Unwetter rammte er etwas, von dem er dachte, es sei ein Reh. Nun wird ihm auf der Geschworenenbank klar, dass er höchstwahrscheinlich für den Tod der Frau verantwortlich ist. Ein befreundeter Anwalt rät ihm eindringlich davon ab, sich zu stellen. Einem trockenen Alkoholiker wie ihm drohe bei einem solchen Delikt eine jahrzehntelange Haftstrafe. Und so wird der Geschworene zum Gefangenen eines moralischen Dilemmas, aus dem er sich mit zunehmender Verzweiflung zu befreien versucht. Nach der Beweisaufnahme will Justin die anderen Geschworenen davon überzeugen, dass die Schuld des Angeklagten nicht eindeutig bewiesen sei. Nur der Geschworene Harold (JK Simmons), ein ehemaliger Polizist, lässt sich von der Argumentation überzeugen und beginnt eigene Nachforschungen anzustellen, die zu Justin als Verdächtigen führen könnten.
Nicholas Hoults tügerischer Babyface-Charme
Mit unnachgiebiger Genauigkeit und maximaler Ambivalenz lotet Regisseur Eastwood in „Juror #2“ die Nöte seines Protagonisten aus, der von starken Gewissensbissen geplagt wird und die eigenen moralischen Grenzen immer weiter ausdehnt. Schließlich steht für Justin nicht nur das eigene Lebensglück, sondern auch die Verantwortung für seine zukünftige Familie auf dem Spiel. Nicholas Hoult, der sich auch mit Mitte 30 noch seinen trügerischen Babyface-Charme bewahrt hat, ist perfekt in der Rolle des gutherzigen Normalbürgers, der alles richtig machen will, aber etwas Falsches tun muss. Die enormen, inneren Konflikte seiner Figur lässt Hoult mit feiner Mimik nuanciert nach außen dringen.
Auf der anderen Seite des Gerichtssaals steht ihm die fabelhafte Toni Colette gegenüber, deren Staatsanwältin sich zwischen Karriere-Booster und Wahrheitsfindung entscheiden muss. Aber auch die generelle Verwundbarkeit des US-Justizsystems wird deutlich vor Augen geführt, dessen Neutralität durch ein Geflecht von Eigeninteressen zur Disposition steht. Mit seinem scharfen Blick auf persönliche wie strukturelle Konflikte zeigt Eastwood in „Juror #2“ auf spannende Weise, was man aus dem vermeintlich altmodischen Genre des Gerichtsfilmes alles herausholen kann. Mal sehen, was der große, alte Mann des amerikanischen Kinos noch bis zu seinem 100. Geburtstag alles aus dem Ärmel schüttelt.
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