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Porträt: André Heller erfindet sich als Chansonnier neu

Porträt

André Heller erfindet sich als Chansonnier neu

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    Nach langer Anlaufzeit ein neues Album: André Heller.
    Nach langer Anlaufzeit ein neues Album: André Heller. Foto: Suzy Stöckl

    Wer „André Heller“ googelt, der findet Elogen über seine bahnbrechenden Unternehmungen als Unterhaltungskünstler, über all die Zirkusse und Feuerwerke, Kristall- und Gartenwelten, mit denen er Menschen rund um den Erdball verzauberte. Man liest von spektakulären Aufführungen, der hemmungslosen Verquickung von Kunst und Kitsch, und ahnt, wie viel Geld er damit auch verdient haben muss. Heller schuf Erfolgsprojekte am Fließband. Zuletzt reüssierte er als Schriftsteller und Literat. Aber als Sänger, Chansonnier, als Interpret von Couplets kennt ihn 2019 seltsamerweise kaum jemand.

    Dabei ist dies sein größtes Talent. Bis 1983 war Heller der mit Abstand Beste seines Faches. Einer, der Liebe, Schmerz, Verwundungen, Sehnsüchte und umherfliegende Gedanken wie kein Zweiter singend in den großen Setzbaukasten der deutschen Sprache einpassen konnte. In seiner offen, aber stets würdevoll zur Schau gestellten Verletzlichkeit ein Tröster für eine ganze Generation. Seine Darbietungen blieben dabei stets frei von ideologischen Botschaften. Stattdessen gab es hinreißende Duette mit dem Mimen Helmut Qualtinger („Heurige und gestrige Lieder“, 1979), „Hits“ mit dem Liedermacher-Kollegen Wolfgang Ambros („Für immer jung“, 1982) oder die musikalische Aufarbeitung der Trennung von seiner Traumfrau, der Schauspielerin und Sängerin Erika Pluhar.

    Lieder als "Notausgänge meiner Melancholien"

    „Irgendwann habe ich aufgehört, mich mit der Thematik des Liederschreibens und des öffentlich als Chansonnier Auftretens zu beschäftigen, weil mich die Abenteuer- und Lernlust machtvoll zu anderen Ufern trieb“, beschreibt Heller jetzt, 36 Jahre später, die damalige Entscheidung. „Die Lieder dienten mir lange Zeit als Notausgänge für meine Melancholien, mein Heimweh nach mir selbst, von dem ich sehr versiegelt war.“

    Doch wer wie der Sohn eines jüdischen Süßwarenherstellers mannigfaltige und unterschiedliche Begabungen sein Eigen nennt, der muss zwangsläufig die Palette seiner Medien erweitern. Mal drückte er sich über ein Aquarell aus, mal über eine Skulptur, mal über ein Bauwerk, einen Prosatext, einen Film, ein Musical oder einen Garten. Nur ein Lied war nicht mehr dabei.

    Jetzt aber ist die Zeit des Schweigens vorüber, und die Heller-Fans freuen sich, als wäre Weihnachten auf den November vorgezogen worden. Das unerwartete Geschenk trägt den Namen „Spätes Leuchten“ und erscheint diese Woche. Die 16 Titel, gereift in Hellers geheimnisumwitterten Notizbüchern, aufgenommen mit einer handverlesenen Schar von Musikern, sind gelinde gesagt eine Überraschung, mehr noch: ein Paradigmenwechsel. Kein Vergleich zu „Ruf und Echo“ von 2003, als er sich noch einmal von jungen Musikern ins Studio hatte locken lassen, um alte Titel in ein zeitgemäßes Gewand zu stecken. Galt der Wiener früher als begnadeter Zyniker, als masochistischer Selbstzweifler und maßloser Selbstüberschätzer, so liegt ihm mit inzwischen 72 Jahren eine Menge an einer Korrektur dieses Bildes.

    In seinen Liedern erzählt André Heller Geschichten voller Poesie.
    In seinen Liedern erzählt André Heller Geschichten voller Poesie. Foto: Uwe Anspach, dpa

    „Da sich meine Stimmungen, meine Art zu denken und zu handeln in Form von Dankbarkeit, von weniger Ego und von Mitgefühl im Laufe der Jahrzehnte sehr veränderten, kam nach 30 Jahren Pause der Gedanke, dass mittlerweile ganz andere gesungene Ausgaben möglich wären.“ Heller spricht leise und pointiert, seine Stimme kratzt wie auf einigen Titeln des Albums. Ein interessanter Alterungsprozess, für den er keine Schminke zum Übertünchen haben will. Unverstellt. So wie er heute ist. Ein Anderer?

    Fragen über Fragen. Etwas über Glück aufnehmen? Oder ein Lied über eine Erfahrung schreiben, die er zuvor noch nie hatte, nämlich den Tod der Mutter? All die gewonnene Erfahrung und die Zwischentöne aus seiner Zeit in Afrika verarbeiten? „Ich konnte diese Vorschläge nicht einfach nonchalant wegschicken. Im Gegenteil! Ich war ihre Umsetzung meinem veränderten Bewusstsein und dem Stand der Ausbildung, die ich durchlebt habe, einfach schuldig.“

    Dabei galt André Heller nie als Virtuose des Kunstgesangs. Mit dieser charmanten Unfertigkeit befindet er sich in unmittelbarer Nähe zu Bob Dylan, George Brassens oder Lucio Dalla. Aber er kann Geschichten erzählen, unwiderstehlich, sie in feine, pointierte literarische Sprache betten, bunte oder pastellfarbene Bilder komponieren, die reich an textlichen und musikalischen Assoziationen sind.

    Heller klingt streckenweise wie ein nüchterner Tom Waits

    In den neuen Liedern erinnert er sich an die irrlichternden Gespräche mit seiner alten Mutter, nimmt seine Zuhörer behutsam bei der Hand, um sie durch die Nacht, über den Markusplatz in Venedig, den Wiener Heldenplatz oder den Platz der Henker in Marrakesch zu führen. Er diskutiert mit dem Teufel, singt in seinem unverkennbaren jiddisch-wienerischen Slang ein Hochzeits- sowie ein Klagelied und wirkt auf „Spätes Leuchten“ mitunter wie ein stocknüchterner Tom Waits.

    Da hat sich eine Menge angesammelt. Aber warum diese schier unendliche Pause? André Heller wollte, aber er konnte nicht. Den Knoten durchschlug ausgerechnet sein Sohn Ferdinand Sarnitz, ein gefeierter Rapper, besser bekannt unter dem Namen Left Boy. Der Herr Papa sah dem Filius bei seinen Konzerten zu. „Dabei fiel mir auf, dass ein derlei aufrüttelndes und schönes Erlebnis mich mit einer merkwürdigen Sehnsucht erfüllt. Ich bin ja selbst fast 20 Jahre vor tausenden Menschen gestanden und durfte spüren, was das für ein enormer Energieaustausch ist.“

    Das wollte er wieder, den Austausch mit Musikern und dem Publikum spüren. Ein weiterer Beweggrund war für ihn die Erfahrung, „dass sich offenbar eine neue Generation für meine Arbeit interessiert“. Am meisten bedeutete André Heller jedoch das gemeinsame Abhören der Aufnahmen mit seinem Sohn. „Das war etwas ganz Geheimnisvolles, das mir noch am Totenbett viel bedeuten wird.“

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