
Wie dieser Schatz durch einen Coup zurück nach Augsburg kam

Plus Für die Grabkapelle der Fugger entstand im 16. Jahrhundert eine Reihe von Putten. Zwei von ihnen waren verschollen - nun sind sie zurück.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Pariser Louvre sich in Augsburg bei den Städtischen Kunstsammlungen meldet. Anfang dieses Jahres aber war das der Fall, und Christof Trepesch, dem Chef der Sammlungen, war gleich klar, dass es sich um Außerordentliches handeln musste. So war es auch. Die Kontaktperson in Paris hatte entdeckt, dass demnächst im örtlichen Auktionshaus Sotheby’s zwei steinerne Putten unter den Hammer kommen würden – geschaffen vom Renaissancekünstler Hans Daucher und ehemals Bestandteil der Fuggerkapelle in Augsburg. Christof Trepesch war elektrisiert.
Die Fuggerkapelle in der im Augsburger Zentrum gelegenen evangelischen Kirche St. Anna ist nicht irgendein Bauwerk. Bei der 1518 geweihten Grablege der Kaufmannsfamilie Fugger handelt es sich um eines der bedeutendsten Schöpfungen der Frührenaissance auf deutschem Boden, gestiftet von Jakob Fugger dem Reichen und seinen beiden Brüdern Georg und Ulrich. Mitgewirkt an der Ausstattung der Kapelle hatten Künstlergrößen wie Albrecht Dürer, Jörg Breu der Ältere – und eben der aus Ulm stammende und später in Augsburg wirkende Hans Daucher (1486–1538). Von ihm stammt nicht nur die frei stehende marmorne Fronleichnamsgruppe auf dem Altar, sondern auch das Putten-Ensemble auf der Brüstung, die die Kapelle vom Kirchenraum abgrenzt – sechs Figuren, wie man bisher annahm.
Augsburger Putten: Das Inventar vermerkte sechs "engelsköpfe"
Und nun das: Zwei weitere Daucher-Putten, unzweifelhaft aus dem Zusammenhang der Fuggerkapelle, im französischen Kunsthandel! Wie waren sie überhaupt dahin gelangt? Für Mitte Mai hatte Sotheby’s die Versteigerung der Sammlung Schickler-Pourtalès angesetzt. Arthur von Schickler war im 19. Jahrhundert Bankier in Berlin gewesen, seine Tochter hatte in die französische Grafenfamilie Pourtalés eingeheiratet. Dass die Schickler-Pourtalès an die zwei Daucher-Putten gelangt waren, konnte nur, so hat es der Leiter des Augsburger Maximilianmuseums, Christoph Emmendörfer, recherchiert, mit einem Ereignis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Zusammenhang stehen. 1817 war im Zuge der damaligen Reformationsfeierlichkeiten die Kapelle der katholisch gebliebenen Fugger ausgeräumt und die Ausstattung an die Stifterfamilie zurückgegeben worden – ein Inventar vermerkt unter anderem ausdrücklich sechs „engelsköpfe“, die Daucher-Putten.
In den folgenden Jahrzehnten müssen zwei dieser steinernen Skulpturen in den Besitz der Schickler-Pourtalès gekommen sein, wie genau, das weiß man nicht. Die französische Familie war sich der Bedeutung dieses Besitzes offenbar nicht bewusst. Denn als jetzt die Versteigerung der Kunstsammlung anstand, da fanden sich die beiden Putten auf dem Dachboden des Familienschlosses in der Normandie. Die Experten bei Sotheby’s hingegen wussten sehr wohl, was ihnen da in die Hände gelangt war. Die Daucher-Putten schafften es auf das Cover des Versteigerungskatalogs und bildeten schließlich auch das Hauptlos mit einem Schätzpreis von einer bis eineinhalb Millionen Euro.
Solche Summen, das war Christof Trepesch in Augsburg von Anfang an klar, waren für die Stadt nicht zu stemmen, wo die Kunstsammlungen doch nicht mal über einen Ankaufsetat verfügen. Doch erneut erwiesen sich Kontakte als hilfreich. Die Siemens-Kunststiftung war schnell mit im Boot, aber auch die Kulturstiftung der Länder sagte Beteiligung an einer Finanzierung ebenso zu wie die Kulturbeauftragte der Bundesregierung – handelt es sich bei den Putten doch, so die allgemeine Einschätzung, um Kulturgut von nationaler Bedeutung. Im Vorfeld der Versteigerung war es vor allem der Generalsekretär der Siemens-Stiftung, Martin Hoernes, der mit taktischem Geschick den Boden für Augsburg bereitete, etwa, indem er potenzielle Mitbieter in Schach hielt mit dem Argument, dass die Putten zur Komplettierung des Ensembles doch eigentlich nach Augsburg gehörten.

Gleichzeitig wurden Kontakte zur Bremer Galerie Neuse geknüpft, die am Tag der Versteigerung in Paris als Bieter für Augsburg auftrat. Mit Erfolg: Das Aufgeld miteinbezogen, wurden die beiden Putten für rund 2,5 Millionen Euro ersteigert – ein in Anbetracht der Bedeutung der Objekte realistischer Preis. Die Stadt Augsburg beteiligt sich an dieser Summe mit knapp 365.000 Euro.
Die Originale haben ihren Platz im Museum
Mittlerweile sind die Putten in Augsburg angekommen. Hervorragend ihr Erhaltungszustand, leuchtend hell der Jura-Kalkstein, prägnant die fein gearbeiteten Details. Wie ihre seit jeher in Augsburg verbliebenen Pendants lehnen sie über Kugeln, Sinnbild der Welt und damit Hinweis auf das weitreichende Ansehen der Stifter. Der eine Putto mit gefalteten Händen, Stirnfalten und bekümmerter Mimik; der andere sinnend, mit aufgestütztem Kopf und einen Finger in den Mund gesteckt. Künftig werden die beiden, in der Höhe wie in der Breite ungefähr von der Länge eines DIN-A4-Blatts, im Augsburger Maximilianmuseum zu bestaunen sein, an der Seite ihrer steinernen Verwandten aus der Fuggerkapelle. Denn seit zwei Jahren stehen dort Kopien, haben die Fugger die Originale in die Obhut des Museums gegeben.
Doch Moment: Sechs Putten standen von alters her auf der Balustrade der Kapelle, das belegt eine Architekturzeichnung aus dem 16. Jahrhundert – wie passt das zusammen, dass jetzt zwei weitere aus dem Ensemble auftauchen? Das ist eine komplizierte Geschichte. Als zu Beginn der 1920er Jahre eine Restaurierung der Kapelle den Zustand vor der Räumaktion 1817 wiederherzustellen beabsichtigte, fanden sich im Besitz der Familie Fugger noch fünf anstatt der im Inventar vermerkten sechs Putten; die fehlende sechste wurde durch eine Neuschöpfung ersetzt. Doch auch dann bleiben immer noch sieben Originale, wo doch offenbar nur sechs auf der Balustrade platziert waren.
Christoph Emmendörfer vom Maximilianmuseum hat dazu eine These. Von den sieben originalen Putten tragen lediglich drei einen Lorbeerkranz im Haar – symbolische Verweise auf die drei Stifter der Kapelle, Jakob, Georg und Ulrich Fugger. 1512 war der Bau errichtet, sechs Jahre später fand die Weihe statt. Georg und Ulrich waren da schon tot, die mit Lorbeer bekränzten Putten hatten also berechtigten Platz in der Grablege. Jakob Fugger aber war noch am Leben, er starb erst 1525 – könnte es sein, dass der ihm zugedachte Lorbeer-Putto zurückgehalten und statt seiner ein anderer – Putto Nummer sieben – in der Kapelle platziert wurde? Eine Theorie, die zur Folge hätte, dass die bisherige Datierung des Putten-Ensembles – um 1530 – vorverlegt werden müsste.
Handfeste Belege für das eine wie das andere können aber erst einmal nicht beigebracht werden, Hans Dauchers Augsburger Putten sind auch ein Auftrag zu weiterführender Forschung. Sicher ist nur: Zwei hochkarätige Renaissance-Skulpturen sind, nachdem niemand mehr von ihrer Existenz wusste, nach Augsburg zurückgekehrt. „An keinem anderen Ort der Welt“, sagt Martin Hoernes von der Siemens-Stiftung, „können sie ihre Strahlkraft und kunsthistorische Bedeutung besser beweisen.“
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