
So wird das Hundertjährige der Salzburger Festspiele doch noch eine große Sache

Plus Das Festival blickt mit einer opulenten Schau zurück auf seine Geschichte. Bei der Gründung spielte natürlich Mozart eine Rolle, ein bisschen auch Wagner – und frische Landluft.

In Anbetracht des Themas wirkt der Raum zunächst wie eine Schrulle der Kuratoren. Eine Trachtenstube in einer Ausstellung über die Salzburger Festspiele? Die verwegene Kombination mit ausgestopftem Dirndl, Joppe, Lederhose im Ambiente altehrwürdiger Holzvertäfelung hat jedoch, wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt, durchaus ihre Berechtigung. Nicht nur, weil Teile des Festspiel-Publikums anhaltend gerne im Alpenkleid erscheinen (exklusiv zugerüstet, versteht sich). Und auch nicht bloß, weil in der ersten Blütezeit der Festspiele, den frühen 1930er Jahren, die Tracht der Modehit schlechthin war für illustre Salzburg-Gäste wie Hans Albers oder Marlene Dietrich, von Sänger-Stars wie dem „Don Giovanni in Lederhose“ Ezio Pinza ganz zu schweigen. Nein, die Tracht ist geradezu symbiotisch verknüpft mit dem Beginn der Salzburger Festspiele im Jahre 1920, galt sie doch als ausgetragenes Zeichen einer erklärten Absicht der Gründerväter: Hinaus aus der Großstadt, hinaus zur Kunst ins ländlich geprägte Salzburg!
"Großes Welttheater" auf 1800 Quadratmetern Fläche
Hundert Jahre Salzburger Festspiele: Das Jubiläum muss gefeiert werden mit einem Rückblick auf das weltweit bedeutendste Festival für klassische Musik und Schauspielkunst. Und weil das ursprünglich geplante üppige Bühnenprogramm kläglich zusammengeschrumpft ist infolge von Corona, wirkt die in der Neuen Residenz ausgerollte, stolze 2,1 Millionen Euro Budget umfassende und weitläufige 1800 Quadratmetern belegende Landesausstellung mit dem Titel „Großes Welttheater“ nur umso opulenter. Zumal sie ganz dem vielstimmigen Konzept ihres Festspiel-Gegenstandes entspricht und ganz und gar nicht dröge-papierlastig gestaltet wurde von Martin Hochleitner, dem Direktor des Salzburg Museums, und Margarethe Lasinger, Dramaturgin der Festspiele.
Die Gründung des Festivals, datierend auf den 22. August 1920, den Tag der ersten „Jedermann“-Aufführung auf dem Platz vor dem Dom, ist längst zu einem mythischen Moment in der Geschichte der Künste im 20. Jahrhundert geworden. Doch auch, wenn die Gründer-Trias mit Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhard und Richard Strauss damals nach dem Ersten Weltkrieg die Notwendigkeit einer geistigen Neuorientierung im Zeichen von Musik und Theater propagierte, so reicht die Geschichte des Festivalgedankens an der Salzach doch noch einige Jahrzehnte weiter zurück. Im Zuge der anschwellenden Mozart-Verehrung im 19. Jahrhundert, vollends durch die Einrichtung der Bayreuther Festspiele 1876 reiften in der Mozart-Geburtsstadt Salzburg Gedanken für ein dezidiert dem als „preußisch“ empfundenen Wagner-Kult entgegengesetztes, statt dessen den „bayrisch-österreichischen Stamm“ repräsentierendes Festspiel mitsamt angemessenem Festspielhaus.
Hoffnung auf "Zustrom aus reichsdeutschem Gebiet"
Was in Salzburg nicht allen gefiel, wie in der Ausstellung ein ganzer Raum mit zahllosen Pro-und-Kontra-Stimmen erfahrbar macht, bei dessen Durchschreiten man sich sehr an aktuelle Diskussionen erinnert fühlt. „Alle Menschen sind Esel, die die Festspielhaus-Idee nicht verstehen“, tönt es da aus der Salzburger Vergangenheit herauf, worauf das Echo mit warnendem Zeigefinger erschallt: „Wir wissen genau, dass ein solches Haus ein paar Millionen kosten wird“ – wobei damalige „paar Millionen“ wohl heutigen Millionen-Hundertschaften entsprechen dürften. Der Theatermacher Max Reinhardt freilich brachte schon seinerzeit den Wertschöpfungs-Gedanken ins Feld: „Der Zustrom von Reisenden aus dem reichsdeutschen Gebiet wird in außerordentlichem Maß gesteigert.“ Seine Expertise hat sich, geweitet zu globaler Dimension, zigfach bewahrheitet, Salzburg profitiert über die Maßen von der Kunst.

Wobei die Stadt auch von Haus aus etwas mitzubringen hatte. Es war Max Reinhardt, der die „Bühnenhaftigkeit“ des barock geprägten Salzburg erkannte, wo er selbst 1918 das Schloss Leopoldskron erworben hatte, von wo er die Festspiele bis in die Mitte der 30er Jahre hinein dirigierte. Nur zu Recht ist Reinhardt und Leopoldskron ein eigener Raum gewidmet, in dem die Ausstellungsgestalter für den Besucher den Gang auf die Schlossterrasse nachinszeniert haben, wo der Blick auf den See und den Untersberg fällt. Es ist jenes Panorama, das die New Yorker Grabstätte des jüdischen Emigranten Reinhardt ziert, in Gestalt eines bunten Glasfensters, Bild gewordene Heimaterinnerung, die jetzt in Gestalt einer Replik nach Salzburg zurückgefunden hat.
Am Beispiel des für die ersten beiden Festspiel-Jahrzehnte so wirkmächtigen Reinhardt thematisiert die Ausstellung auch, wie die einst hochherzig ins Leben gerufene Unternehmung unter die braunen Räder geriet. Aufs Festspiel-Ganze gesehen, ist der Aspekt von Vertreibung und Vernichtung letztlich aber arg übersichtlich geraten. Wer die Ausstellung „Verstummte Stimmen“ der Bayreuther Festspiele kennt – hier haben die „Preußen“ im ewigen Wettstreit der Festivals einmal die Nase vorn –, der fragt sich, wie viele Sänger, Musiker, Schauspieler und weiteres Festspiel-Personal nicht auch in Salzburg verjagt, wenn nicht gar ums Leben gebracht wurden? Breiteres Erinnern wäre hier am Platz gewesen.
Man spielte sogar noch im letzten Kriegssommer
Das Herzstück der Ausstellung ist das „Archiv“, ein Gang durch die Festivalgeschichte anhand von 100 ausgewählten Originalobjekten. Nur 1924 bleibt ohne Zuordnung, in diesem Jahr fanden keine Festspiele statt – wohl aber 1944, als überall im Reich schon Kunstfeiern untersagt waren, selbst in Bayreuth. Ein ausgestellter Stoffballen aber weist darauf hin, dass im August ’44 die Uraufführung von Richard Strauss’ Oper „Die Liebe der Danae“ als öffentliche Generalprobe stattfinden konnte, der Dirigent Clemens Krauss hatte dafür in Berlin antichambriert. Auch Wilhelm Furtwängler konnte in diesem letzten Kriegssommer noch ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern geben – es war das dürftigste Programm des gesamten Festspieljahrhunderts. 1945 war schon wieder mehr geboten, wie dem Programmzettel zu entnehmen ist, der im amerikanisch besetzten Salzburg nun in Englisch gehalten war.

Es ist eine Fülle von Objekten, welche die Festivalgeschichte hier Jahr für Jahr sinnlich rekapitulierbar werden lassen. Von Max Reinhardts „Jedermann“-Regiebuch (1920) und Arturo Toscaninis Absage-Telegramm nach dem „Anschluss“ Österreichs (1938) bis zu einer Dose „Universaleffektblut“ für Luk Percevals „Schlachten“-Inszenierung 1999 oder Herbert von Karajans „Boris Godunow“-Dirigierpartitur, in die im vergangenen Jahr Mariss Jansons noch Einblick nahm, bevor er im Herbst verstarb und die für 2020 geplante Mussorgsky-Premiere bereits ins Wanken geriet, bevor ihr jetzt endgültig die Pandemie den Garaus gemacht hat.
Man könnte hier ganze Nachmittage verbringen und die Aura großer Festspiel-Namen auf sich wirken lassen, zumal die Ausstellung noch viele weitere Aspekte umfasst, etwa eine ganze Reihe von „Interventionen“ zeitgenössischer Künstler. Nur gut, dass dieses „Große Welttheater“ nun bis über die Festspiele 2021 hinaus zu bestaunen ist.
- Bis 31. Oktober 2021 im Salzburg Museum. Geöffnet täglich von 9–17 Uhr (bis 30. September 2020), danach montags geschlossen. Der Katalog (Residenz Verlag) kostet 25 €.
Und das sagt die Kritik zu den Opern-Neuinszenierungen 2020:
- Große Oper in Corona-Zeiten bei den Festspielen
- Außergewöhnliche "Elektra" wird zu einem Festspiel in Salzburg
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