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Ausstellung in München: Unterkünfte für Obdachlose: Eine Architekturausstellung in München

Ausstellung in München

Unterkünfte für Obdachlose: Eine Architekturausstellung in München

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    In den Londoner Holmes Road Studios des Architekten Peter Barber sollen sich Obdachlose wohlfühlen. Konzepte für ein menschenwürdiges Wohnen, auch wenn man kein ständiges Dach mehr über dem Kopf hat, zeigt eine Ausstellung in München.
    In den Londoner Holmes Road Studios des Architekten Peter Barber sollen sich Obdachlose wohlfühlen. Konzepte für ein menschenwürdiges Wohnen, auch wenn man kein ständiges Dach mehr über dem Kopf hat, zeigt eine Ausstellung in München. Foto: Morley von Sternberg

    Kinder bauen sich gerne ein Schachtelhaus. Mit der Schere sind schnell Fenster ausgeschnitten, und lustig bemalen lässt es sich auch. In Japan können dagegen Pappdomizile für ein bitteres Schicksal stehen, etwa in der U-Bahn von Tokio. Meistens bedecken sie dann nicht einmal den Körper, sondern nur den Kopf oder besser: das Gesicht. Voller Scham tauchen Obdachlose in die Anonymität ab. Auf der Straße zu leben ist in Japan mit dem Verlust der Würde verbunden. Doch man sollte sich nichts vormachen, Wohnungslose sind überall unten durch. Das zeigt schon das Vokabular, das man für „solche“ Menschen parat hat, der „Penner“ mag da noch zum freundlichsten gehören. Und nun hat die Pandemie eine längst nicht mehr schleichende Entwicklung noch einmal deutlich angekurbelt. Insofern kommt die neue Ausstellung des Architekturmuseums der TU München zum richtigen Zeitpunkt, zumal sich die Frage „Who’s next?“ – wer ist der Nächste? – auch nicht mehr vornehmlich an den äußeren Rand der Gesellschaft richtet.

    In London hat sich die Zahl der Obdachlosen verdoppelt

    Im geschäftigen London zum Beispiel hat sich die Zahl der „homeless people“ während der letzten zehn Jahre verdoppelt; allein zwischen 2018 und 2019 gab es einen Zuwachs um fast 20 Prozent. In New York, wo die Mieten ebenfalls irrwitzig hoch sind, haben im Vorjahr rund 120.000 Menschen in städtischen Hilfsunterkünften übernachtet. Darunter auch viele Kinder. Im brasilianischen São Paulo, der größten und reichsten Stadt Südamerikas, wurden vor 20 Jahren nahezu 9000 „sem-tetos“ gezählt, 2011 schon fast 15.000 und 2019 schließlich um die 25.000 „Menschen ohne Dach“ bei 12 Millionen Einwohnern.

    Wenn man nun ins reiche Deutschland blickt, das ein Sozialstaat sein will, sind die geschätzten 41.000 Obdachlosen wahrlich kein Ruhmesblatt. Und vor lauter Klimawandel, Brexit und anderer Unbill wurde wohl ein Beschluss des Europäischen Parlaments glatt übersehen: nämlich, dass sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben, bis 2030 Maßnahmen zur Abschaffung der Obdachlosigkeit zu ergreifen. Wohnen ist ein Grundrecht, also etwas Fundamentales. Doch womöglich sind noch zu wenige betroffen, von einer Verlautbarung der Bundesregierung war bislang jedenfalls nichts zu hören. Die scheidende Bundeskanzlerin hatte lediglich 2018 versprochen, 6,85 Milliarden Euro für die Schaffung von Wohnraum bereitzustellen.

    Ausstellung "Who´s next": Pinakothek der Moderne zeigt de Entwürfe engagierter Architekten

    Aufs Erste mögen das alles abstrakte Zahlen sein, seine Heimstatt zu verlieren, kann allerdings schneller gehen, als man für möglich hält. Eine unglückliche Scheidung, ein Krankheitsfall, Arbeitslosigkeit bei Schulden und nicht weiter gewährten Krediten – das alles ist auch der Welt des Wohlstands nicht fern. Und wer in Lohn und Brot steht, hat deshalb noch keine bezahlbare Bleibe. Die Misere hat sich bis in die „gut funktionierenden“ Bereiche der Gesellschaft hinein geweitet. Dabei geht es bei vielen schon lange nicht mehr um ein „Schöner Wohnen“. Wenngleich das bei einem klugen Einsatz der Mittel obendrein sogar möglich wäre. Das demonstriert diese erhellende Ausstellung in der Pinakothek der Moderne mit einer erstaunlichen Reihe von Entwürfen engagierter Architekten.

    Blick in eins der privaten Zimmer im VinziRast Mittendrin, einem dauerhaften Wohnprojekt für ehemals Obdachlose und Student:innen im Zentrum Wiens.
    Blick in eins der privaten Zimmer im VinziRast Mittendrin, einem dauerhaften Wohnprojekt für ehemals Obdachlose und Student:innen im Zentrum Wiens. Foto: Simon Jappel/Architekturbüro Graupenraub

    Da wäre zum Beispiel das „Vinzi- Rast-mittendrin“, und der zweite Teil des Namens sagt gleich etwas über die Lage: nicht am Stadtrand, sondern mitten in Wien zwischen Volksoper und Schottentor. Zehn Wohnungen auf drei Stockwerken bieten Raum für 30 Personen. Zusätzlich gibt es genug Platz für Gemeinschaftliches, vom Studienraum bis zu Werkstätten, in denen man ein Rad reparieren kann, und sogar einem öffentlichen Restaurant, das mittlerweile auch bei Anrainern und Touristen gefragt ist. Das denkmalgeschützte Biedermeierhaus konnte vor zehn Jahren dank einer privaten Stiftung renoviert werden, die Räume sind hell und sympathisch, die Zusammensetzung aus Obdachlosen und Studierenden für beide Seiten ein Gewinn. Etwa an Lebenserfahrung.

    Ein fantasievolles Backsteinensemble mit Unterkünften für Obdachlose

    Oder die Holmes Road Studios im Londoner Stadtviertel Kentish Town. Das fantasievolle Backsteinensemble mit seinen bunten Türen und runden Fenstern ist absolut einladend. Architekt Peter Barber hat großen Wert darauf gelegt, dass sich Obdachlose, ehemalige Drogensüchtige oder psychisch Kranke hier sofort wohlfühlen und mit dem Gebäude identifizieren. Im eigenen Garten werden Gemüse und Obst angebaut. Und auch im Pariser Neubau „La Ferme du Rail“ sorgt eine Art Bauernhof mit Gewächshäusern für Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt. Mitten im 19. Arrondissement kommen hier 20 sozial Ausgegrenzte und Gartenbau-Studis unter.

    Das sind Langzeitprojekte, für die schnelle Hilfe hat man sich dagegen in Ulm ein „Nest“ einfallen lassen. Das ist eine Schlafkapsel, die Obdachlosen eine unkomplizierte Notunterkunft bietet – um sie vor Kälte und überhaupt bedrohlichem Wetter zu schützen. Die testweise aufgestellten Mini-Behausungen sind gut angenommen worden, und das gerade von Menschen, die größere Institutionen scheuen. Ob die Kapseln wie geplant in der ganzen Stadt verteilt werden, ist noch nicht entschieden.

    In Seattle bietet die öffentliche Bibliothek Obdachlosen Gemeinschaftsräume

    Im amerikanischen Seattle mit den meisten Wohnungslosen im Land – 13.000 Menschen leben hier auf der Straße – bastelt man wiederum an integrativen Lösungen. Wobei die Public Library, also die öffentliche Bibliothek, ein besonders überzeugendes Modell darstellt. Die verschachtelte Bücherburg, konzipiert von Rem Kohlhaas und Kollegen, wurde von Anfang an mit inklusivem Anspruch konzipiert. In den Lese- und Loungebereichen finden Obdachlose einen Zufluchtsort, es gibt WLAN, Computerzugänge und überhaupt Hilfs- und Beratungsangebote.

    Vergleichbares könnte man auch bei der Sanierung des Münchner Kulturzentrums Gasteig andenken. Dessen Geschäftsführer spricht in einer Filmeinspielung von der großen Anziehungskraft gerade der Bibliothek, und die Beobachtungen dürften sich in anderen Städten kaum unterscheiden. Das zeigt, dass es nicht ausschließlich nur um Wohn- und Schlafplätze geht, sondern genauso um Treffpunkte und Wohlfühlorte, denn wer ständig „on the road“ ist, braucht Ruhe und Rückzug. Mehr als alle anderen. Aber dieses Aufeinandertreffen der beiden Seiten, der Behausten und Heim(at)losen, ist vielleicht sogar die größte Schwierigkeit. Auch wenn das natürlich keiner zugibt. Dabei müsste man noch nicht einmal das Tor zur eigenen behaglichen Ritterburg öffnen.

    Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ bis 6. Februar 2022, Di. bis So. 10 bis 18, Do. bis 20 Uhr; Katalog 38 Euro

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