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Nachruf: Autorin mit Überzeugung und Haltung: Gudrun Pausewang ist tot

Nachruf

Autorin mit Überzeugung und Haltung: Gudrun Pausewang ist tot

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    Gudrun Pausewang ist gestorben. Die Autorin wurde 91 Jahre alt.
    Gudrun Pausewang ist gestorben. Die Autorin wurde 91 Jahre alt. Foto: Arne Dedert, dpa (Archiv)

    Es war ein berührender Moment, als Gudrun Pausewang 2017 in Frankfurt bei der Verleihung des Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet wurde: Von ihrem Sohn ließ sich die damals 89-Jährige auf die Bühne führen und nahm, auf einen Stock gestützt, mit einem scheuen Lächeln den Beifall des Publikums entgegen. „Ich hoffe, dass ich einiges von dem, was ich zu sagen bemüht war, nicht vergeblich gesagt habe“, meinte sie damals in ihrer Dankesrede.

    Es dürfte in gewisser Weise ein Triumph für die Schriftstellerin gewesen sein, die in ihrem Jugendbuch „Die Wolke“ unter dem Eindruck des Super-GAUs im ukrainischen Tschernobyl so eindringlich die Gefahren der Atomkraft beschrieben hatte, dass der Atomausstieg heute in vollem Gang ist. Anmerken ließ sie sich das aber nie – auch als das Telefon nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 nicht still stand. Gudrun Pausewang war immer zurückhaltend, uneitel und machte nicht viel Aufhebens um ihre Person. Umso mehr erhob sie die Stimme, wenn es um ihre Überzeugungen ging: um eine offene Gesellschaft, um den Schutz der Umwelt, um Frieden und Freiheit, um Gerechtigkeit.

    Kompromisslos schreibt Gudrun Pausewang über die atomare Gefahr

    Gudrun Pausewang, gilt als die Vertreterin der engagierten Kinder- und Jugendliteratur – was ihr immer aber auch Kritik einbrachte. Zu vordergründig didaktisch seien ihre Bücher. Zu einseitig politisch außerdem. Als „Angstmacherin“ gar wurde sie für „Die Wolke“ bezeichnet, jenen Bestseller, der sie weltweit berühmt machte. Als das Buch 1988 mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, gab es heftige Proteste dagegen. Ungeschönt beschreibt sie darin aus der Perspektive eines 14-jährigen Mädchens einen atomaren Störfall und seine Folgen – die Panik fliehender Menschen, den Tod des jüngeren Bruders, den radioaktiven Regen, der niedergeht und alles verseucht, die Auflösungserscheinungen von Menschlichkeit und Empathie. Den Vorwurf der Angstmacherei konterte sie ebenso direkt, wie es alle ihre Bücher waren: „Man mutet Jugendlichen zu, mit Atomkraftwerken zu leben, dann kann man ihnen auch zumuten, solche Geschichten zu lesen.“ Kompromisslos war Pausewang in ihrem Schreiben, weil sie dem Anspruch folgte, ihre jungen Leser ernst zu nehmen.

    Eigentlich hatte sich die Schriftstellerin nach den Erfahrungen einer Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus nie mehr mit Politik beschäftigen wollen. Die Älteste von sechs Geschwistern, geboren am 3. März 1928 in Ostböhmen, hatte selbst erlebt, wie die faschistische Ideologie sie und ihre Familie in den Bann zog. Zu schmerzlich war die Erkenntnis, „dass die Nazis unseren jugendlichen Idealismus missbraucht hatten“.

    Nachdem der Vater im Krieg gefallen war, flüchtete Pausewang nach Kriegsende mit der Mutter und den Geschwistern nach Westdeutschland. Sie machte Abitur und studierte aufs Lehramt: Grund- und Hauptschullehrerin – weil sie erfahren hatte, dass man in diesem Beruf an deutschen Auslandsschulen unterrichten konnte. Schon in ihrer Jugendzeit hatte sie sich für Südamerika begeistert, hatte viel über den Kontinent gelesen und wollte unbedingt dort leben. Insgesamt 13 Jahre arbeitete Gudrun Pausewang in Chile, Venezuela und Kolumbien. Sie heiratete einen Deutsch-Chilenen und bekam einen Sohn.

    Gudrun Pausewang wollte die Welt so schildern wie sie ist

    1972 kehrte sie nach Deutschland zurück, trennte sich von ihrem Mann, zog ins osthessische Dorf Hartershausen und unterrichtete an der Grundschule im benachbarten Städtchen Schlitz – unter anderem einen Jungen, der später selbst zum Schriftsteller werden sollte: den „Generation Golf“-Autor Florian Illies. Sie selbst bezeichnete sich einmal als „keine gute Lehrerin“, da sie zu ungeduldig sei. „Für mich war die Schriftstellerei sowieso immer der Beruf, der meiner Begabung am ehesten entsprach.“ Trotzdem blieb sie bis zu ihrer Pensionierung 1989 als Lehrerin an der Schule.

    Rund hundert Bücher sind von Gudrun Pausewang erschienen, viele davon sind immer noch Schullektüre. Sie schrieb über die Armut in Südamerika („Die Not der Familie Caldera“), über ihre Kindheit in Böhmen („Rosinkawiesen“), die Vertreibung aus der Heimat („Ich habe Hunger, ich habe Durst“), über die Folgen eines atomaren Weltkriegs („Die letzten Kinder von Schewenborn“), über Fremdenhass und Rechtsradikalismus („Der Schlund“). Moden oder Trends fogte Gudrun Pausewang in ihrem literarischen Schaffen nicht; angetrieben wurde sie immer von dem Grundsatz, „die Welt so zu schildern wie sie ist, aber durchschimmern zu lassen, wie sie eigentlich sein sollte“. Die Themen, die Gudrun Pausewang in ihren Büchern anschnitt, sind aktuell geblieben. Deprimierte die Autorin dies? „Es gibt noch Hoffnung“, antwortete sie, als sie den Preis für ihr Lebenswerk erhielt. Da klang die Erfahrung durch – Stichwort Atomkraft –, dass sich Haltung lohnt.

    Am Donnerstag Abend ist Gudrun Pausewang mit 91 Jahren in einem Seniorenheim bei Bamberg, wo sie in der Nähe ihres Sohnes lebte, gestorben.

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