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Bayerische Staatsoper: In diesem "Tristan" dient die Liebe als Mittel zum Tod

Bayerische Staatsoper

In diesem "Tristan" dient die Liebe als Mittel zum Tod

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    Liebe ist da, allein es überwiegt der Trieb zum Tod – einschließlich einer Suizid-Vision im Hotelzimmer. Tristan (Jonas Kaufmann) und Isolde (Anja Harteros) im zweiten Aufzug von Richard Wagners Musiktragödie.
    Liebe ist da, allein es überwiegt der Trieb zum Tod – einschließlich einer Suizid-Vision im Hotelzimmer. Tristan (Jonas Kaufmann) und Isolde (Anja Harteros) im zweiten Aufzug von Richard Wagners Musiktragödie. Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper

    Die berühmtesten Liebespaare der Literaturgeschichte, sie stehen ja immer auch für eine Überhöhung, exzeptionelle Unbedingtheit und Reinheit ihrer Liebe. Sie sind Denkmäler. Und wenn Richard Wagner mit rund 40 Minuten den längsten Liebesrausch bei höchster Liebeslust komponierte, diesen heimlich-nächtlichen Beilagerakt von Tristan und Isolde, der abrupt und in flagranti durch Isoldes Bräutigam König Marke gekappt wird, dann lebt, fühlt, kämpft, leidet der Voyeur, die Lauscherin im Parkett mit dem entfesselten Liebespaar. In Bayreuth sah man das Schäferstündchen schon mal in einem Blütenmeer, optisch zumindest hochromantisch.

    Das aber ist nur die eine Seite dieser Handlung in drei Aufzügen. Krzysztof Warlikowski blickt für die erste große, repräsentative Premiere der Münchner Opernfestspiele 2021 auf die andere Seite der Münze – und sieht Tod und Todestrieb. Neben den „kleinen Tod“ der konvulsivischen Erfüllung tritt übermächtig der große, endgültige. Seine Inszenierung ist nicht romantisch dunkelblau und traurig, sie ist todesschwarz und lebenstragisch. Wagners Libretto gibt das gewiss her, nur wird das selten so konsequent, so wörtlich, so klug genutzt.

    Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski zeigt auch das Rohe und Gemeine

    Warlikowski schält ernüchternd heraus, was diese Liebe zwischen Tristan und Isolde so verfahren, ja verkorkst machte – bevor die beiden jenen Liebestrank schlucken, der zwar die gegenseitigen Gefühle wallen lässt, aber nicht ungeschehen macht, was schon passiert …

    …dass nämlich Tristan einst den Verlobten Isoldes mordete, dass Isolde den schwer verletzten Tristan später dennoch gesund pflegte – und sie von dem Genesenen zum perversen Dank mit Cornwalls König Marke verkuppelt wird…

    Viel Rohes und Gemeines kam im Leben Isoldes zusammen – und das lässt sie Tristan im ersten Aufzug deutlich spüren. Sie ist zumindest ihm gegenüber Herrin der Lage und zwingt ihn – zur Erzählung seiner Lebensrettung – demonstrativ in die Höflichkeit, ihr Festgewand und Perlenkette anzulegen, auf dass sein Verrat an ihr auch tätlich dokumentiert werde. Dann verlangt sie gemeinsame Sühne – mit dem ihr wünschenswerten Haupteffekt, dem ungeliebten Marke gar nicht erst gegenübertreten zu müssen. Doch der Todestrank ist ein Liebestrank, der den verzweifelten Wunsch, alles unwiderruflich hinter sich lassen zu können, weder für sie noch für ihn erfüllt. Im Grunde wird alles noch quälender. Wonne voller Tücke.

    In die künstlerische Bilanz von Staatsopernintendant Nikolaus Bachler wird eingegriffen

    Und so sitzen Tristan und Isolde zum eigentlichen Liebesakt drei Meter voneinander entfernt – in schweren Ledersesseln dieser von Ausstatterin Malgorzata Szezesniak hauptsächlich ins Fin de siècle transportierten Tragödie. Ohne sich zu berühren, sinnieren und grübeln sie starrend auf eine Schale aus dem Medizinschränkchen, wie sie über ihre Liebe möglichst schnell zu Tode kommen. In der Schale liegen zwei Spritzen – und König Marke ertappt die beiden nicht im Rausch der Körper, sondern beim Suizidversuch. Der öde Tag zum letzten Mal!

    Vollends entschlüsselt dann der dritte Aufzug, warum auch Tristan nichts am Leben liegt. Auch er hat seinen Packen zu tragen; er, indem er ohne elterliche Liebe aufwuchs. Verwirkt, verknotet alles. Video-Sequenzen, Waisenkinder-Statisten, eine Freud’sche Couch illustrieren es. Und wenn’s dann in dieser Liebestrank-Oper im Nationaltheater München ans Zählen der Opfer geht, stellt Marke trockenen Basses fest: Tot denn alles! Alles tot!

    Und damit hat Warlikowski, gleichsam der Psychoanalytiker unter den deutungsstarken gegenwärtigen Opernregisseuren, noch einmal mit großem finalen Schub in die künstlerische Bilanz des scheidenden Staatsopernintendanten Nikolaus Bachler eingegriffen. Seine Verpflichtungen (unter anderem auch für die „Frau ohne Schatten“, „Die Gezeichneten“ und „Salome“) zählen wie die Verpflichtung des mittlerweile zu den Berliner Philharmonikern gewechselten Kirill Petrenko zu den strategischen Großtaten Bachlers, der in den letzten drei Jahren auch eine selten glückliche Hand für die Solistenbesetzung bewies (und hohen Einsatz auch für die Präsenz der zeitgenössischen Kunst auf der Bühne und in den Programmheften).

    So fielen die Rollen-Debüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros als Tristan und Isolde aus

    Tristan und Isoldes Todestrieb war beiden, Jonas Kaufmann wie Anja Harteros, ein Rollen-Debüt. Er triumphierte – sowohl heldisch als auch antiheldisch und schmerzensreich. Von der Brust bis zur Nasenwurzel wirkt perfekt – und erholt – alles zusammen, was Ton und Wort zu erhellender Geltung und zu erhellendem Hören bringt. Groß, ganz besonders groß in den Passagen, die Kaufmann kunstliedhaft ausdeutet. Dagegen sollte

    Und der vergötterte Kirill Petrenko vor dem nun wieder in Sollstärke auftretenden Bayerischen Staatsorchester? So, wie Warlikowski das Libretto als Leben und Steigerung hin zum Tode liest, so legt Petrenko die Partitur-Exegese an als eine sich fortschreitend intensivierende Entwicklung hin zur Vielfach-Tragödie: vom verhaltenen, tastenden Vorspiel über den sinnwühlenden zweiten Aufzug bis zur bohrenden Verzweiflung im dritten Aufzug. Dass dazu dies alles fein geschliffen erklang, versteht sich bei Petrenko. Dankesjubel.

    Weitere Termine am 5., 8., 13., 31. Juli

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