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Mittelmeer: Das Meer und Europa: Die einen baden, die anderen ertrinken

Mittelmeer

Das Meer und Europa: Die einen baden, die anderen ertrinken

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    Die einen genießen das Meer zum Urlaub machen, die anderen versuchen über den Seeweg nach Europa zu gelangen.
    Die einen genießen das Meer zum Urlaub machen, die anderen versuchen über den Seeweg nach Europa zu gelangen. Foto: Jens Kalaene, dpa

     In Bayern ist es nicht immer ersichtlich, liegen doch die Berge näher als das Meer. Gleichwohl: Europa ist ein maritimer Kontinent, also mit dem Meer verbunden. Es prägte die Entwicklung Europas mit. Eine Sonderausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin macht das deutlich. Anhand europäischer Hafenstädte veranschaulicht die Schau, welche Bedeutung das Meer für den europäischen Kontinent hat: umkämpftes Territorium, bedeutsamer Handelsweg, Sehnsuchtsort für Touristen und Todesfalle für Tausende von Flüchtlingen. Das Meer ist Brücke und Abgrund.

    Venezianisches Muranoglas für Handgranaten

    Bereits im frühen Mittelalter wurde es zum Schauplatz europäischer Machtpolitik. Kaum eine andere Stadt zeigt das so deutlich wie Venedig. Heute tummeln sich Millionen von Touristen jährlich auf dem Markusplatz und genießen den Anblick der prachtvollen Paläste und der schmuckvollen Kirchen. Die aber würden dort nicht stehen, wäre Venedig nicht vom 12. bis ins 16. Jahrhundert Seemacht und die reichste Stadt Europas gewesen. Um ihren Handel zu schützen, baute die adriatische Stadt eine Kriegsmarine von 30000 Mann auf – die größte Kriegsmarine in Europa. Aus Muranoglas formten die Glasbläser keine niedlichen Tierfiguren, sondern Handgranaten. Gefüllt mit Schießpulver setzte die venezianische Marine sie zur Verteidigung gegen das Osmanische Reich ein. Jedes Jahr an Christi Himmelfahrt fuhr der Doge auf einer Prachtgaleere ins offene Meer und warf einen goldenen Ring ins Wasser – als symbolischen Akt der Seeherrschaft in der Adria.

    Geografisches Wissen im Austausch mit Tee und Nudeln

    Europa verteidigte nicht nur seine eigenen Seegebiete. Die Länder wollten expandieren. Das Ziel der portugiesischen Seefahrer waren vor allem Länder im asiatischen Raum. Im 16. Jahrhundert errichtete das Königreich Portugal ein dichtes Netz aus Handels- und Militärstützpunkten von Ostafrika bis nach Japan, darunter die „Estado da Ìndia“, die Kolonie Portugiesisch-Indien. Von Lissabon aus starteten die Jesuiten ihre Missionierung der asiatischen Länder. Und die Missionare eigneten sich die Sprachen und Denkweisen der Asiaten an. Im Gegenzug brachten sie den dortigen Menschen etliches Wissen über Geografie und Astronomie. Der kulturelle Austausch, der zwischen den Portugiesen und Asiaten stattfand, rief Verärgerung in anderen europäischen Staaten hervor. Chinesische Produkte bahnten sich dennoch ihren Weg nach Europa. Unter den Gütern waren Tee, Nudeln, Schießpulver, Papiergeld, Klopapier.

    Franzosen verdienten gutam Sklavenhandel

    Es blieb nicht beim Austausch von Objekten; die französische Hafenstadt Nantes wurde während der Zeit der europäischen Expansion zu einem Zentrum für Sklavenhandel. Vom 15. bis ins 19. Jahrhundert versklavten europäische Seefahrer 31 Millionen Menschen in Afrika. Danach brachten sie die Menschen nach Amerika und in der Karibik, um sie dort zum Kauf anzubieten. Dort wurden die Sklaven, auch Frauen und Kinder, zur Arbeit auf Baumwoll- und Zuckerplantagen gezwungen. 1817 schaffte Frankreich die Sklaverei zwar offiziell wieder ab. Dennoch betrieben die Kaufleute aus Nantes den Menschenhandel bis 1848 weiter.

    Heute kommen Migranten aus Afrika,einst gingen Emigranten nach Amerika

    Genötigt sein, seine Heimat zu verlassen: Das ist angesichts der aktuellen Flüchtlingsbewegungen ein viel diskutiertes Thema. Europa ist aber erst seit den 1950er-Jahren ein Einwanderungskontinent. Davor flüchteten die Menschen in eine andere Richtung: Zwischen 1880 und 1914 wanderten 1,3 Millionen Europäer über den Atlantik aus. Amerika wurde zum Sehnsuchtsort von Menschen, die politisch oder aufgrund ihrer Religion verfolgt waren. In dieser Zeit entwickelte sich Bremerhaven zu einer bedeutenden Dreh- scheibe der europäischen Migration. Bremen hatte 1827 die Hafenstadt gegründet.

    Warum sich gerade Bremerhaven zum bedeutendsten Auswanderungspunkt Europas entwickelte, lag vor allem daran, dass die Stadt Mindeststandards an die Reedereien und Vermittlungsagenturen stellte. Mit diesen Schutzmaßnahmen sorgte Bremerhaven dafür, dass die Passagiere weniger gefährdet nach Amerika gelangten. Erst mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt ab 1860 verbesserten sich die Lebensbedingungen auf den Booten. Zudem verkürzte sich die Reisezeit von rund 44 Tage auf 14 Tage.

    Die Bedingungen der Menschen, die heute über das Meer nach Europa kommen, haben sich im Vergleich zum 19. Jahrhundert wesentlich verschlechtert. Sie riskieren auf dem Weg nach Europa ihr Leben, um ihr altes hinter sich zu lassen; sie nehmen gefährliche Überfahrten in verschlissenen Schlauchbooten und alten Fischkuttern auf sich. Und Europa? Das schottet sich mittlerweile ab. Einst war das Meer eine Grenze; es entwickelte sich über die Jahrhunderte zur Brücke – um sich derzeit in einen Abgrund zu verwandeln.

    Information Die Sonderausstellung „Europa und das Meer“ ist noch bis zum 6. Januar 2019 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.

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