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Geschichte: Der Angriffslustige und der Defensive

Geschichte

Der Angriffslustige und der Defensive

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    Bertolt Brecht und Walter Benjamin beim Schachspiel.
    Bertolt Brecht und Walter Benjamin beim Schachspiel. Foto: Akademie der Künste Berlin

    Berühmte Schachspieler waren sie beide nicht, Bert Brecht und Walter Benjamin – aber leidenschaftliche durchaus, mit sehr verschiedenen Temperamenten: „Brecht spielte angriffslustig, aber fahrlässig, Benjamin defensiv und bedacht“, liest man im gewichtigen Katalog der Ausstellung an der Berliner Akademie der Künste. Von Brecht ist bekannt, dass er schon in seiner Augsburger Schulzeit an einer Schachzeitung „Die lustigen Steinschwinger“ beteiligt war. Im Tagebuch von 1913 führte er teilweise Buch über Siege und Niederlagen, und noch 1953 notierte er, dass ihn ein Klempner zum Schachspielen einlud.

    So ist es vielleicht kein Zufall, dass die einzigen Fotos, die das Duo Brecht und Benjamin abbilden, sie beim Schachspiel zeigen, aufgenommen 1934 im dänischen Svendborg. Benjamin begann seinen geschichtsphilosophischen Artikel „Über den Begriff der Geschichte“ mit der Erzählung von einem angeblichen Schachautomaten. In der Berliner Ausstellung spielt nun eine eigens gebaute Schachmaschine die oft diskutierte Partie nach, die durch das Foto dokumentiert ist – von der Eröffnung bis zu der im Foto gezeigten Stellung. Und nicht ohne Bewegung liest man dazu Brechts Zeilen aus einem 1936 geschriebenen Brief an Benjamin: „Das Schachbrett liegt verwaist, alle halben Stunden geht ein Zittern der Erinnerung durch es: Da wurde immer von Ihnen gezogen.“ So zart-ironisch gingen die beiden allerdings nicht immer miteinander um.

    Die Ausstellungs-Überschrift zum Thema Schach, „Ermattungstaktik war’s, was dir behagte“, stammt aus einem der Gedichte, in denen sich Brecht mit der Nachricht von Benjamins mutmaßlichem Freitod 1940 an der spanischen Grenze auseinandersetzte; Brecht erfuhr davon erst im August 1941 in Kalifornien. Ein Gedichtentwurf hierzu wurde erst bei der Vorbereitung der Ausstellung entdeckt, der kleine Notizzettel ist ausgestellt und steht am Anfang des Katalogs:

    W B

    selbst der wechsel der

    jahreszeiten

    rechtzeitig erinnert

    hätte ihn zurückhalten

    müssen

    der anblick neuer gesichter

    und alter auch

    neuer gedanken heraufkunft

    und neuer Schwierigkeiten

    Geradezu spektakulär ist eine künstlerische Interpretation der Skizze zu einem Kriminalroman, den Brecht und Benjamin 1933 in Paris entworfen haben: „Mord im Fahrstuhlschacht“. Der Text wurde von dem Autor und Grafiker Steffen Thiemann in Holzschnitte umgesetzt und ist als kleine Graphic Novel zu lesen, im Katalog sowie in einer eigenen Publikation.

    Es ist das erste Mal überhaupt, dass eine Ausstellung zu Bertolt Brecht und Walter Benjamin veranstaltet wird. Die großzügigen Räumlichkeiten der Berliner Akademie der Künste bieten das passende Ambiente. Wie die Präsidentin der Akademie, Jeanine Meerapfel, bei ihrer Eröffnungsrede im Theatersaal vor großem Publikum erklärte, sind das Brecht- und das Benjamin-Archiv die meistgenutzten Archive der Akademie, deshalb wurde das Ausstellungsprojekt mit großer Entschiedenheit und beeindruckendem Aufwand unterstützt.

    In einer Halle werden Reproduktionen und Informationen zu wichtigen Stationen der Beziehung zwischen Brecht und Benjamin gezeigt, dazu gibt es Hörstationen mit historischen Tonspuren. Eine zweite Halle ist geprägt von der Aura der Originale. Zu den Themen gehören hier etwa: eingreifendes Denken, das epische Theater als eine philosophische Spielform, Kafkas Schreiben als Modell, ein Schmähgedicht auf Stalin, Arten des Wohnens, der Streit um Baudelaire.

    „Denken in Extremen“ ist der Titel der Ausstellung, er geht auf eine Formulierung von Benjamin zurück, als er sich Freunden gegenüber für die Nähe zu Brecht rechtfertigen musste. Bindungen wie diese seien gefährlich, erklärte Benjamin, sie ermöglichten aber eine Weite und Freiheit des Denkens, weil man Dinge, die als unvereinbar gelten, nebeneinander bewegen könne. Die Beziehung zwischen Benjamin und Brecht war geprägt durch den gemeinsamen Versuch, Gegensätze fruchtbar zu machen.

    Der Katalog ist nicht einfach eine Abbildung der Ausstellung, sondern angefüllt mit substanziellen theoretischen und praktischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Antworten auf die im Spannungsfeld zwischen Brecht und Benjamin diskutierten Themen. Da finden sich Beiträge etwa von der Regisseurin Minou Arjomand, der Künstlerin Zoe Beloff, dem Dichter Durs Grünbein, dem Schriftsteller Alexander Kluge, dem Germanisten Jan Philipp Reemtsma, dem Künstler und Philosophen Marcus Steinweg, dem Regisseur B. K. Tragelehn – um nur einige zu nennen. Also reichlich Material zum Schauen, Lesen und Nachdenken, mit viel Gewinn.

    Die Ausstellung: Benjamin und Brecht - Denken in  Extremen. Akademie der Künste Berlin, bis 28. Januar 2018. Der Katalog (Suhrkamp) kostet 32 €.

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