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Der Einzige, der noch um sich blickt

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Der Einzige, der noch um sich blickt

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    Was ist die Aufgabe des „Gegenwartsschriftstellers“? Er soll jedenfalls nicht als „Einfaltspinsel des Fortschrittsglaubens“ auftreten. Vonnöten hingegen wäre, „etwa das herrschende Kurz- und Magerdeutsch wieder in ein gedehntes, gut genährtes Deutsch zu übersetzen.“ So wie er es tut: Botho Strauß, der große Außenstehende des deutschen Literaturbetriebs.

    73 ist er inzwischen. Einer, der sich entziehen möchte durch Verlangsamung, Zweifel, Innehalten und Gegenläufigkeit. „Lieber ein Knecht des Unfaßlichen sein als ein Meister des Vorgefaßten.“ Oder, wie es an anderer Stelle heißt: „Als wäre ein Verfolger abzuschütteln, stößt er undurchdringlichen Geist aus wie der Polyp seine Tintenwolke.“ Botho Strauß tritt uns unverkennbar gegenüber als Mann der Tinte, auf Distanz zum Touchscreen. In der U-Bahn ist er „der einzige, der um sich blickt.“ Alle anderen „mit gesenktem Blick auf Tablet und Smartphone.“

    Mit seinem neuen Buch „Der Fortführer“, einer Sammlung von Reflexionen, Kurzprosa, Aphorismen und Einwürfen, festigt Strauss seine Position als Einzelgänger in der Landschaft – und Schriftsteller in der Tintenwolke. Noch ist Hoffnung, „gibt es doch noch immer mehr Betörendes als Erklärliches auf der Welt.“ Da blickt einer nicht nur skeptisch auf die Gegenwart und das kurzatmige Denken und Schreiben auf Displays, wettert gegen „Info-Deutsch“ und „Leicht-Deutsch“, beklagt, dass die Welt den „Riten der Tagesanbeter“ folge.

    Botho Strauß befragt die Gesellschaft und sein Selbstverständnis als Autor und Denker („Der Künstler in seiner Sphäre ist selten ein Liberaler“), er grenzt sich ab gegen jene, die „halsstarrig modern“ sind und fordert „Achtung der Gegenmoderne“ ein. Manches klingt nach Bilanz in diesem Alterswerk, in dem sich Wut und Attacke noch finden, Melancholie und Ernüchterung aber überwiegen. Ich – das ist bei Botho Strauß „er“ und „man“. „Man reicht nicht bis hin. Man langt und langt, man dehnt und streckt sich sein Lebtag – und reicht nicht bis hin.“

    Das Wort „Lebtag“ ist ein Botho-Strauss-Wort, das er als ein „Fortführer“ der großen Dichter noch einmal aufruft und leidenschaftlich für vergessene, in Ungnade gefallene oder dringlich wiederzuentdeckende Autoren wirbt wie Albrecht Schaeffer, Michael Landmann und Cristina Campo. Noch einmal Lebtag: „Man war doch sein Lebtag im Ausweglosen unterwegs.“ Doch „Der Fortführer“ ist kein resignatives Buch. Wie schon in dem freilich deutlich sperrigeren, unzugänglicheren Vorgänger „Onritti Höhenbilder“ verweigert Botho Strauß das Erzählen. Selbst die längsten Prosastücke umfassen keine Seite. Denkt man an sein wundervolles Erinnerungsbuch „Herkunft“ (2014), in dem er auf knapp 100 Seiten seine Kindheit und Jugend betrachtet, wünschte man sich als Leser wieder einmal einen Botho Strauß mit längerem Atem.

    Auch wenn Strauß in seinem neuen Buch auch viel Verstiegenes und Verquastetes in Tintenwolken hüllt – er beschenkt den Leser mit Miniaturen und Gedanken, die glänzen und nachhallen. „Ist nicht alles wie nie?“, lesen wir. Und, in einer Sprache wie von den zitierten Vorbildern Jean Paul und Fontane: „Durst eines Erinnerungskranken, lechzend an der Tülle des Krugs, von dem immer spärlicher die alten Stunden tropfen in den Mund.“ Botho Strauß hat seinen Frieden damit gemacht, fast sein ganzes Leben „systemwidrig“ zu verbringen. Das digitale Heute? „Ich weiß es ja, alles was ich schrieb, geht auf das Weiße unter dem Fingernagel.“

    Botho Strauß: Der Fortführer. Rowohlt , 208 S., 20 €

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