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Buchkritik: Der Imker, der mit Bienen Leben rettet

Buchkritik

Der Imker, der mit Bienen Leben rettet

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    „Wenn man ihnen zusieht, ist es, als blicke man in ein träumendes Gehirn“, heißt es in Nobert Scheuers aktuellem Roman von den Bienen. 
    „Wenn man ihnen zusieht, ist es, als blicke man in ein träumendes Gehirn“, heißt es in Nobert Scheuers aktuellem Roman von den Bienen.  Foto: Robert Michael, dpa

    Was für ein kühnes, verrücktes Unternehmen! Egidius Arimond, ein ehemaliger Lehrer, passionierter Imker, an Epilepsie leidend, bringt 1944 immer wieder heimlich jüdische Flüchtlinge aus der Eifel über die Grenze nach Belgien. Er versteckt diese in Todesangst fliehenden Menschen, die von Unbekannten zu einem Treffpunkt in einer verfallenen Bergschadensgegend gebracht werden, in präparierten Bienenstöcken. Arimond, der versierte Imker, heftet den in den Kästen Kauernden Lockenwickler an die Kleidung, in denen Bienenköniginnen sitzen. Sollte das Fuhrwerk auf dem Nachttransport kontrolliert werden, schwärmen die Bienen und bedecken den Körper der Flüchtlinge, machen diese also unsichtbar. Viele Rettungstransporte glücken. Doch nicht alle. „Als ich die Grenze erreichte und sofort den Bienenstock öffnete, hockte der Professor tot in seinen Exkrementen.“

    Der Lehrer Arimond, der im nationalsozialistischen Deutschland nur deshalb noch geduldet und als Epileptiker nicht in einer Euthanasieanstalt „vernichtet“ worden ist, weil sein Bruder Alfons ein hochdekorierter Kampfpilot ist, ist nicht nur aus Menschenliebe Fluchthelfer. Er braucht das Geld der in den Bienenkästen Geretteten für seine teuren, kaum mehr aufzutreibenden Medikamente gegen die epileptischen Anfälle, diese Gewitter des Bewusstseins. Egidius Arimond ist ein Schwerenöter, er hat Beziehungen zu Frauen, der Kellnerin Maria und später zu Charlotte, der Frau des NSDAP-Kreisleiters, die die Bibliothek leitet. Eine gefährliche Liaison …

    In "Winterbienen" ist der Krieg in seiner letzten Phase

    In der Bibliothek verbringt der Lehrer Stunden damit, die Aufzeichnungen seines Vorfahren, des Benediktinermönchs Ambrosius aus dem 15. Jahrhundert, zu übersetzen. Der Krieg ist nähergerückt, über der Eifel fliegen Bomber und alliierte Jagdflugzeuge, die Egidius Arimond an ihren Motorengeräuschen erkennen und zuordnen kann. Scharfschützen jagen Zivilisten, ganze Straßenzüge versinken in Schutt und Asche. In seinem Haus sind in den letzten Kriegsmonaten betrunkene deutsche Soldaten einquartiert, aber Egidius ist sowieso am liebsten in seinem Schuppen. Er kämpft um seine Medikamente, kümmert sich heimlich um einen abgeschossenen US-Piloten, der sich in einer Höhle versteckt. Für Wochen fällt Egidius ins Fieberdelirium. Dann kommen die Amerikaner.

    Norbert Scheuer erzählt diese Geschichte in Tagebucheinträgen seiner Hauptfigur Egidius Arimond. Der Roman „Winterbienen“ spielt wie immer bei Scheuer in der Eifel – und er befasst sich wie auffällig viele Bücher in jüngster Zeit mit den letzten Kriegsmonaten und ihren zufällig zusammengewürfelten Schicksalsgemeinschaften. So wie bei Arno Geiger, der in seinem Roman „Unter der Drachenwand“ ein Dorf am Mondsee zum Schauplatz wählt, das Zufluchtsort und Kampfplatz im Dahinsiechen des Krieges ist. Oder Ralf Rothmann, dessen Roman „Der Gott jenes Sommers“ auf einem norddeutschen Gut nahe des zerbombten Kiel spielt, wo die Zivilisation in der Endphase des Krieges untergeht.

    Norbert Scheuer erzählt aus einem stillen Winkel, in dem der Lehrer alleine lebt, über die zerstörerischen Kriegsgeschehnisse, Unmenschlichkeit und den Kampf ums Überleben. Der Roman ist aber auch ein faszinierendes Bienenfachbuch, eine Erkundung der Welt der Bienen, mit sehr detaillierten Beschreibungen. Der Autor mag solche fast wissenschaftlichen Vertiefungen – im Roman „Überm Rauschen“ war es die Angeltechnik.

    Viele seiner Romane spielen in der Eifel: Norbert Scheuer. 
    Viele seiner Romane spielen in der Eifel: Norbert Scheuer.  Foto: Jens Kalaene, dpa

    Das Kriegstagebuch des Hobby-Imkers Egidius Arimond, den es als Judenretter tatsächlich gegeben hat, wie Scheuer im Nachwort zu seinem Buch schreibt, erzählt aus der Sicht eines Außenseiters. Ein Mann, der von seiner Krankheit wie von der Nazigesellschaft bedroht ist. Ein in sich Ruhender, der Glück in der Naturbeobachtung findet und Aufgehobensein in einer kleinen, vertrauten Welt spürt. Der Krieg erschüttert diese Heimat, doch es gibt noch friedliche Schlupfwinkel. „Es gibt Tage, an denen nichts ist, einfach nur nichts; die Bienen, sie legen sich wärmend aneinander und schlafen in meinem Kopf, und ich bin die ganze Zeit mitten unter ihnen.“

    Die Bienenvölker sind zeitlose Wesen, die ganz im Rhythmus der Natur leben. „Der Lärm der Angriffe scheint den Bienen nichts auszumachen; sie leben in einer anderen, wie es scheint, friedlichen Welt, sie interessiert der Krieg nicht.“ Aber Norbert Scheuer erzählt von brüchigen Idyllen, in denen der Tod lauert – und er verklärt die Natur nicht. Bienen sind nicht nur Lebensretter, Bienen fliegen und schwärmen, wie die Bomber fliegen und schwärmen. Einmal beklagt Arimond nach starken Luftangriffen „mindestens 500000 tote Bienen“. Und das Bienenvolk kann brutal sein, wenn es selbst die Drohnen tötet. Das Bergschadengebiet, das der Lehrer als Kind schon mit seinem Bruder erkundet hat, beschreibt Norbert Scheuer als eine Landschaft von ganz eigenem Reiz, die Höhlen und Stollen bilden ein verwunschenes Gebiet, die Gegend erscheint wie ein verlassener Bienenstock.

    Das "Winterbienen"-Personal kennt man aus anderen Büchern

    Der 1951 geborene Norbert Scheuer hat seine Heimat, die Eifel, in vielen Romanen zu einem eigenen literarischen Kosmos geformt – weshalb die Namen vertraut klingen. Arimond – so hieß auch der in Afghanistan verletzte 23-jährige Soldat Paul im Buch „Die Sprache der Vögel“ mit Nachnamen. Vincentino, der Lebenskünstler, der im Roman „Peehs Liebe“ mit einem Wunderapparat übers Land fährt und zum Test dieses „Perseus“ mit seinen Kundinnen ins Bett steigt, hat in „Winterbienen“ ebenfalls einen Gastauftritt.

    Norbert Scheuer erzählt ruhig und gegenwärtig mit Augen für die Landschaft und den Wahrnehmungspuls des Außenseiters Egidius Arimond. Geschickt verknüpft Scheuer auch in diesem neuen Roman verschiedene Zeitebenen – in diesem Fall die Jahre 1944/1945 mit dem Schicksal des Mönchs Ambrosius und seiner Zeit. Und so findet Norbert Scheuer in diesem Roman über die Bienen immer wieder Bilder, die über das Jetzt hinausweisen. Tagebucheintrag 23. September 1944: „Sie krabbeln dann wie in Zeitlupe auf Waben herum und verständigen sich durch Gerüche und Berührungen. Wenn man ihnen zusieht, ist es, als blicke man in ein träumendes Gehirn.“

    • Norbert Scheuer: Winterbienen. C. H. Beck, 319 S., 22 €
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