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Salzburger Osterfestspiele: "Die Meistersinger von Nürnberg": Wo Künstler sich bekriegen

Salzburger Osterfestspiele

"Die Meistersinger von Nürnberg": Wo Künstler sich bekriegen

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    Der deutsche Tenor Klaus Florian Vogt (M) singt den Walther von Stolzing in "Die Meistersinger von Nürnberg".
    Der deutsche Tenor Klaus Florian Vogt (M) singt den Walther von Stolzing in "Die Meistersinger von Nürnberg". Foto: Monika Rittershaus/OFS, dpa

    Ein szenisches Meisterstück sind die neuen Salzburger "Meistersinger" zwar nicht geworden. In einem Punkt aber könnte die Inszenierung kaum aktueller sein. Indem sie den im Stück verhandelten Konflikt zweier konträrer Kunstauffassungen aus einem mittelalterlichen Butzenscheiben-Nürnberg in ein zeitgenössisch anmutendes Theater verlegt, wird sie zum Spiegel des gegenwärtigen Gemenges um die Zukunft des österlichen Festspiels an der Salzach.

    Hier nämlich geht Vergleichbares vor sich wie bei den "Meistersingern" von Wagner. Der Platzhirsch Christian Thielemann, seit 2013 künstlerischer Leiter der Festspiele, soll schon 2020 mit Nikolaus Bachler, Noch-Intendant der Bayerischen Staatsoper, als kaufmännischem Geschäftsführer zusammenarbeiten, von 2022 an soll Bachler gar als Intendant fungieren. Thielemann, Chefdirigent des Festivalorchesters Dresdner Staatskapelle, will dies gar nicht schmecken, und so hat er verlauten lassen: Mit dem Intendanten komme eine Zusammenarbeit für ihn nicht infrage.

    Für die Salzburger Osterfestspiele wäre es kein Leichtes, schon wieder einen Abgang verzeichnen zu müssen, nachdem die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle vor sieben Jahren Richtung Baden-Baden weitergezogen waren. Denn Festspiele, und gerade die von Karajan gegründeten österlichen in Salzburg, benötigen nun mal ein gerüttelt Maß an charismatischer Zugkraft, und die garantieren wenige Dirigenten so wie Thielemann. Zumal, wenn er seinen Leib-und-Magen-Komponisten aufs Programm setzt wie dieses Jahr – nach "Parsifal" und "Walküre" die nun dritte Wagner-Produktion Thielemanns bei den Osterfestspielen.

    Dirigent Thielemann überrascht immer wieder

    Immer wieder überrascht der Dirigent durch seine Lesarten; das gilt auch für die Nürnberg-Oper. Faszinierend die Detailarbeit, die vor allem im 1. Akt die leichtfüßig-humoristische Seite der so oft als trutzig-deutsch gewichteten Partitur ans Licht befördert. Wie Thielemann da hoch elastisch das Tempo verzögert und wieder losschnellen lässt, wie er das Orchester zu kleinen Übertreibungen animiert, das entfaltet einen musikalischen Witz, der den durchaus vorhandenen Längen der Oper – Davids Erklärungen der Meistersinger-Regel etwa – bestens bekommt. Dass Thielemann bei allem Klein-Klein nie den großen Spannungsbogen aus dem Blick verliert, zeigt obendrein die Souveränität dieses Dirigenten im Umgang mit Wagner.

    Für Jens-Daniel Herzog gilt das leider nicht. Der Intendant des Staatstheaters Nürnberg lässt seine Inszenierung auf der Bühne des Großen Festspielhauses in einem Theater stattfinden – mit Logen rechts und links und eine Drehbühne im Zentrum, die mal Zuschauerraum (1. Aufzug), mal Auftrittsgasse (2. Aufzug), auch das Intendantenzimmer (Sachs’ Wohnung) und zum Schluss einen Theaterausflug auf die Festwiese darstellt (Bühnenbild: Mathis Neidhardt, Kostüme: Sibylle Gädeke).

    Natürlich gilt’s in den "Meistersingern" der Kunst, doch bei Herzog erschöpft sich dieses Thema bereits mit dem Setting, worin der Einbruch des Gefühlsmenschen Walther in die regelstarre Singgesellschaft mitsamt Verwirrung stiftender Liebeshandlung ziemlich bieder über die Bretter geht – inklusive "Licht an" (= Obacht Publikum!), als Pogner den öffentlichen Achtungsverlust der Kunst beklagt. Die historische Befrachtung gerade dieser Wagner-Oper interessiert Herzog jedenfalls nicht. Und wenn, dann allenfalls indirekt, wenn die Figur des Merkers Beckmesser, oft für eine (jüdische) Außenseiter-Karikatur Wagners gehalten, am Ende aller Illusionen nicht einfach in der Menge verschwindet, sondern generös wieder eingereiht wird unter die Meistersinger.

    Sein Widersacher Hans Sachs ist bei Herzog der Impresario des Theaters, einer, der nach Blutauffrischung für die verknöcherte Gilde sucht. Gleich beim ersten Auftritt hält er ein zerfetztes Sänger-Porträtbild in Händen, offenbar ist ihm soeben ein Kandidat durch die Lappen gegangen. Am Ende wird er wieder mit einer Bildruine dastehen.

    Festspiel-Niveau unter den Stimmen

    Georg Zeppenfeld gibt mit diesem Sachs sein Rollendebüt. Dieser herausragende Bass ist für viele Wagner-Partien ein Segen mit seiner schlank eingebundenen Kraft, dem festen Stimmkern noch in der Höhe, den schier endlosen Reserven. Rein stimmlich ist in Zeppenfelds Sachs auch tatsächlich "kein Fehler drin", um es mit dessen eigenem Wort zu sagen. Aber die Reflektiertheit dieses Künstler-Schusters, das Sinnende des Witwers, der noch einmal den "Lenz" in sich erahnt und doch klugerweise nichts wissen will "von Herrn Markes Glück" – diese Schatten mit der Stimme zu transportieren, bleibt Zeppenfeld schuldig, und auch darstellerisch gelangt er nicht über konventionelle Gesten hinaus.

    Seltsamerweise hat man bei Vitalij Kowaljow als herausragendem Pogner den Eindruck, dass er mit seiner vielfältig schimmernden vokalen Tiefgründigkeit die nötige Palette für Sachsens Herzensspektrum besäße.

    Auch sonst Festspiel-Niveau unter den Stimmen. Adrian Eröd vermeidet als Beckmesser klug, ein sängerisches Zerrbild dieser fragilen Figur zu liefern. Klaus Florian Vogt ist wie gewohnt ein jungenhaft timbrierter, mühelos sich entfaltender Walther, passend dazu gelingt Jacquelyn Wagner eine Eva in anrührender Mädchenfrische. Bestens besetzt überdies das "niedere Paar" David und Lene mit Sebastian Kohlhepp und Christa Wagner.

    Der aus Dresden mitgebrachte Staatsopernchor, verstärkt durch den Bachchor Salzburg, punktet nicht nur mit Macht und Präzision (Prügelszene), sondern in weniger aufgeregten Momenten auch mit schlichter Klangschönheit. Während die Sächsische Staatskapelle sich mit vibrierendem Spiel einmal mehr die Berechtigung ausstellt zum Tragen des "Wunderharfen"-Etiketts, das Wagner höchstselbst ihr einst anheftete.

    In Salzburgs neuer "Meistersinger"-Inszenierung reiht Walther sich am Ende nicht unter die Nürnberger Bürger ein, sondern stürzt, seine Eva an der Hand, auf und davon. Wie wird das nun an Ostern in Salzburg sein, wenn 2022 Thielemanns Vertrag ausläuft? Ob der künstlerische Leiter angesichts des designierten Intendanten, der in der Sache gewiss Mitsprache einfordern wird, ebenfalls das Weite sucht? Auch darüber wird bereits gemunkelt: Holt Bachler dann seinen alten Vertrauten Kirill Petrenko, noch Generalmusikdirektor in München, ab Herbst neuer Musikchef der Berliner Philharmoniker, mitsamt Orchester von Baden-Baden zurück nach Salzburg?

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