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Premierenkritik: Ein Filmregisseur rettet das „Mädchen aus dem Goldenen Westen“

Premierenkritik

Ein Filmregisseur rettet das „Mädchen aus dem Goldenen Westen“

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    Johnson (Brandon Jovanovich, rechts) soll hängen, Rance (John Lundgren, vorne links) wär’s recht, aber Minnie (Anja Kampe) will das natürlich verhindern: dritter Akt der Münchner Inszenierung von „La fanciulla del West“.
    Johnson (Brandon Jovanovich, rechts) soll hängen, Rance (John Lundgren, vorne links) wär’s recht, aber Minnie (Anja Kampe) will das natürlich verhindern: dritter Akt der Münchner Inszenierung von „La fanciulla del West“. Foto: Wilfried Hösl, BS

    Nur so ist das zu machen: „Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“, Giacomo Puccinis Oper über das Goldgräbermilieu, muss aus dem Wilden Westen herausgeholt werden. Pferde, Saloon, Prärie, das alles ist Domäne des Kinos, da kann das Musiktheater sich bloß lächerlich machen. Andreas Dresen hat das klar erfasst, er kennt sich in beiden Welten aus, denn er ist nicht nur Opern-, sondern in erster Linie Filmregisseur, einer der besten im Lande („Halbe Treppe“, „Gundermann“). Und so hat er „La fanciulla del West“, wie das Stück im italienischen Original heißt, an einen anderen Ort und in eine andere Zeit überführt, in eines der „Arbeitslager“ (Dresen) der heutigen Zeit, eine jener Stätten, an denen die Armen schuften für das Wohlergehen der reichen Gesellschaften. Arbeitshöllen, wie sie etwa der Fotograf Sebastião Salgado dokumentiert hat oder der Filmemacher Michael Glawogger in „Workingman’s Death“, auf den Dresen sich in seiner Inszenierung für die Bayerische Staatsoper ausdrücklich bezieht.

    "Keine Spur von Kitsch!", lautete das Urteil des Kollegen

    Puccinis Oper tut das nur gut, denn seine „Fanciulla“ hat es, im Gegensatz zu „Bohème“, „Tosca“ und „Butterfly“, nicht zum Repertoirestück geschafft, sie wird selten gespielt. Sehr zu Unrecht, denn die Musik ist fabelhaft. Puccini ist hier zu einem neuen Personalstil vorgestoßen, hat auf die für ihn typische Parallelführung von Orchester und Singstimme, die „musica zuccherata“ (O-Ton des Maestros), verzichtet zugunsten eines kantablen Parlando, dem doch unverkennbar Italianità innewohnt. „Ganz besondere Klänge. Keine Spur von Kitsch!“ Das hat Anton von Webern über die „Fanciulla“ gesagt, der Zwölfton-Meister, einer aus der ganz anderen musikästhetischen Ecke also.

    JOHN LUNDGREN JACK RANCE, ANJA KAMPE MINNIE
    JOHN LUNDGREN JACK RANCE, ANJA KAMPE MINNIE Foto: Wilfried Hösl / Bayer. Staatsop

    In Dresens bejubelter Münchner Inszenierung spielt die Geschichte unter Bergarbeitern, was die wohltuend sparsam eingerichtete Bühne von Mathias Fischer-Dieskau durch idealisierte Gipfelzüge im Hintergrund andeutet. Hierher hat es eine rohe Männergesellschaft verschlagen, immer bereit, sich gegenseitig an die Gurgel zu fahren, was die Inszenierung mehrfach drastisch zeigt. Minnie, die eine Bar betreibt, ist das einzige weibliche Wesen weit und breit, und sie versteht es, sich unter den derben Gesellen Respekt zu verschaffen. Vom ersten Auftritt an nimmt man Anja Kampe diesen Typus ab: Eine Frau, die Zudringlichkeit unmissverständlich in die Schranke zu weisen vermag, die schnell auch mit der Pistole bei der Hand ist und den Männerhaufen zur Bibelstunde herkommandiert mit einem Zwei-Finger-Pfiff, den ein Bierkutscher nicht besser hinbekommt. Ja, auch das kann diese famose Sängerdarstellerin. Und: Unter der rauer Schale der Minnie einen mädchenhaften Kern durchschimmern zu lassen.

    Rance, ein Sheriff, in Dresens Malochermilieu eher ein Kapo, begehrt Minnie, doch die sehnt sich nach Johnson, einem edlen Banditen auf der Flucht – die „Fanciulla“ wiederholt die klassische Puccini-Dreierkonstellation, nur dass es hier keine Leichen gibt. Präzise, nah am Libretto, mit gelassenem Realismus statt ideellem Radschlagen, zeichnet Dresen das Profil dieses Trios. Wunderbar lebensecht die Walzer-Szene, in der die so gar nicht tanzgeübte Minnie dem erfahreneren Johnson verlegen auf die Füße trampelt. Was sich da anbahnt, wächst sich zum Dorn im Auge des Gewaltmenschen Rance aus, der trotzdem kein Sadist wie der „Tosca“-Scarpia ist, sondern einer, der durchaus bewegend um Minnie wirbt – zwei Seiten einer Charaktermedaille, die John Lundgren mit seiner Körperpräsenz machtvoll herausstreicht. Johnson dagegen ist der Outlaw, dessen smarter Robin-Hood-Attitüde zwingend das Frauenherz zufliegen muss, was die Kostümabteilung unter anderem dadurch herausstreicht, dass sie Brandon Jovanovich einen lässig langen Italowestern-Mantel tragen lässt.

    Eine Stimme mit betörender Bernsteinfarbe

    Und alle drei agieren nicht nur, sondern singen auch erstklassig. Lundgren mit jenem Bariton-Dunkel, das mal untergründig, mal offenkundig wie eine Drohung im Raum zu stehen vermag und dann doch wieder warm und verführerisch klingt. Jovanovichs Tenor wiederum hat die Kraft und das Feuer fürs italienische Heldenfach. Und die Kampe ist wieder einmal eine Wucht: Dass ihr der Deklamationston dieser Oper nie zu trocken gerät, sondern letztlich immer Gesang bleibt, dass ihre Höhe (auch die extreme) voller Fülle ist und die tiefe Lage von betörender Bernsteinfarbe, das macht ihre Minnie zu einem Ereignis. Daneben sind auch die zahlreichen kleineren Partien bestens besetzt und der (Männer-)Chor der Staatsoper ein gewaltig zupackendes Organ. Den Gipfel setzt am Pult des glänzenden Staatsorchesters James Gaffigan mit seiner ebenso hochtemperierten wie luziden Lesart, die, von zwei, drei Siedepunkten abgesehen, dem Sprechton der Sänger durchwegs den nötigen Entfaltungsspielraum lässt.

    Und dann, im letzten Bild, legt Andreas Dresen doch noch Hand ans Geschehen, entgegen des von Puccini vorgesehenen Finales, das Minnie und Johnson als vereintes Paar von dannen reiten lässt. Nun aber zielt Rance zu den letzten Klängen der Oper mit der Pistole in den Rücken von Johnson, und auch Minnie greift zur Waffe … Also doch auch Leichen bei dieser Puccini-Oper, und wie viele, zwei, drei?

    • Nächste Aufführungen am 19., 22. und 26. März.
    • Am 30. März wird ab 19 Uhr kostenlos gestreamt (www.staatsoper.tv).
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