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Salzburger Festspiele: Festspiel-Intendant: "Wir müssen das Publikum fordern"

Salzburger Festspiele

Festspiel-Intendant: "Wir müssen das Publikum fordern"

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    Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele.
    Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele. Foto: Franz Neumayr 

    Heute schon Klavier geübt?

    Markus Hinterhäuser: Nein, heute nicht, morgen auch nicht, übermorgen wieder. Ich bin gestern Abend aufgetreten und es ist nicht so leicht, Intendanten- und Pianistentätigkeit zu vereinbaren. Es braucht dafür ein eigenes Navigationssystem, das ich mir zurechtgelegt habe. Das Klavierspielen findet manchmal auf exterritorialem Gebiet statt.

    Was sollte denn gerade hinein in Kopf, Herz und Finger?

    Hinterhäuser: Die Musik von Galina Ustwolskaja, die ich jetzt im Juni beim kalifornischen Ojai-Festival spiele und dann im Sommer auch bei den Salzburger Festspielen. Ich bin neugierig, welche Wirkung Ustwolskja in den USA erzeugt, wo sie nahezu unbekannt ist. Diese russische Komponistin schrieb eine Musik außerhalb jeder Norm, vollkommen unberührt von dem, was wir unter Neuer Musik verstehen. Sie reagierte mit hoher spiritueller Komponente auf ein politisches System, das sie erlebte und überlebte.

    Was sollten die Zuhörer mitbringen, wenn Sie im Festspielsommer 2018 Galina Ustwolskaja aufführen?

    Hinterhäuser: Sie sollen gar nichts mitbringen – außer Offenheit. Sie müssen nichts wissen, um diese Musik rezipieren zu können. Ustwolskajas Musik lebt von wunderbarer, unglaublicher Unmittelbarkeit.

    Salzburgs Festspiele - weltweit ohne Vergleich

    Warum sollte man denn grundsätzlich die Salzburger Festspiele besuchen?

    Hinterhäuser: Jetzt bin ich ja angehalten, ein wenig Werbung zu machen! Also, die Salzburger Festspiele sind in ihrem Qualitätsanspruch und in ihrer Heterogenität mit Oper, Konzert, Schauspiel ein weltweit vergleichsloses Unternehmen. Die ganz großen Festivals der Welt sind ja nicht die Metropolen-Festivals, sie finden in kleineren Einheiten statt, in einer Dialektik zwischen Intimität und Weltöffnung.

    Angeblich sinkt die Dauer der Aufmerksamkeitsspanne bei den Menschen – und womöglich auch die Anstrengungsbereitschaft für neue Erfahrungen. Haben die Festspiele damit Erfahrung? Sollten Sie darauf reagieren?

    Hinterhäuser: Wir haben das nicht empirisch untersucht beziehungsweise untersuchen lassen. Ich denke auch nicht, dass wir diese Parameter zu berücksichtigen haben. Ich glaube vielmehr fest daran, dass wir fordern müssen. Das ist der größte Respekt, den wir dem Publikum entgegenbringen können. Womit wir uns beschäftigen, ist in der schönsten Weise anstrengend – und bereichernd. Freude ist ohne Anstrengung nicht zu haben. Richard Wagner dauert eben seine viereinhalb Stunden. Wir sind im Übrigen auch dafür da, gesellschaftlich Korrekturen vorzunehmen.

    Woran leiden Sie am meisten, wenn Sie morgens die Zeitung aufschlagen und lesen?

    Hinterhäuser: An Trump.

    War der Präsident der USA auch gemeint, als Sie vor einiger Zeit die Diagnose stellten: „…in dieser zunehmend idiotischer werdenden Welt…“ Und führt diese Diagnose zu programmatischen Verpflichtungen der Salzburger Festspiele?

    Hinterhäuser: Ja, schon. Wir sind zum Nachdenken angehalten. Wir sind ein Epizentrum der Künste. Wir müssen wissen, warum wir das hier machen. Und dann findet sich auch das Wie, der Weg dazu.

    Wie „angewandt“, wie „plakativ“, wie „aufrüttelnd“ darf Kunst eigentlich sein, wenn Sie noch als Kunst gelten möchte und nicht als pädagogische Maßnahme?

    Hinterhäuser: Plakativ darf sie nicht sein, aufrüttelnd kann sie sein. Es gibt keine große Kunst, die abgekoppelt von gesellschaftspolitischen Entwicklungen gesehen werden kann. Dieser Umstand bedarf ständig neuer Überprüfung im Verhältnis zu unserer Existenz. Inszenierungen erzählen etwas über uns, sie werden heute gelesen. Diese Intervention in die Gegenwärtigkeit ist wichtig – das hat nichts mit dümmlicher Aktualisierung zu tun.

    Wie sieht die Planung einer Opernproduktion für Sie aus? Was muss ein ins Auge genommenes Stück im Idealfall besitzen, was muss ein ins Auge genommener Regisseur mitbringen, dazu der Dirigent und der Ausstatter?

    Hinterhäuser: Die Planung ist ein langer Prozess, für den ich viel Zeit brauche. Ich kann definitiv keine Fünfjahrespläne wie in einer Kolchose machen. Wichtig ist es, alle Beteiligten auf einen Ton einzustimmen – und dieser eine Ton dient nur dazu, um klarzumachen, warum wir ein Stück produzieren. Dazu braucht es Wissen, Kenntnis und so etwas wie intuitive Intelligenz. Das Warum ist der entscheidende Schlüssel zum möglichen Gelingen einer Produktion. Was dann bei den Proben passiert oder passieren kann, ist eine andere Geschichte.

    Von welcher Stück-Künstler-Konstellation im Sommer 2018 erhoffen Sie sich denn am ehesten eine Sternstunde?

    Hinterhäuser: Schwer zu sagen. Das ist eine theoretische Frage, weil die Proben noch nicht begonnen haben – abgesehen davon, dass man gelegentlich ja auch überrascht werden kann. Aber ich hoffe sehr auf die „Salome“ mit Franz Welser-Möst als Dirigenten und Romeo Castellucci als Regisseur und Ausstatter.

    Sie sind ja auch sehr an der Bildenden Kunst interessiert. Welche Künstler würden Sie gerne als Bühnen-Ausstatter einladen, wenn sie denn noch lebten?

    Hinterhäuser: Cy Twombly und Jean-Michel Basquiat.

    Gibt es Auswirkungen der neuen österreichischen Regierung auf die Festspiele? Wie kulturfreundlich, glauben Sie, ist die neue Regierung?

    Hinterhäuser: Es gibt keine Auswirkungen, nein. Kultur spielt ohnehin eine eher überschaubare Rolle – was ich mir natürlich anders wünschen würde. Aber Kultur ist bestimmt kein Thema, womit man Wahlen gewinnt und Menschen fängt. Das ist auch nicht neu, das war immer so.

    Zurück zu Ihrem Klavierspiel: Haben Sie noch Auftrittsangst?

    Hinterhäuser: Nein, Angst nicht. Ich weiß nicht, wie ich es bezeichnen soll, vielleicht eher als „Fracksausen“ oder Anspannung. Das ist auch eine Frage des Naturells. Es ist ja nichts Einfaches, eine Bühne zu betreten, um mit einem Publikum ins Gespräch zu kommen.

    Nicht immer schließt man Freundschaft mit dem Instrument

    Was ist das für ein Gefühl, wenn etwas im Konzert nicht so klappt, wie Sie es eigentlich könnten?

    Hinterhäuser: Kein gutes Gefühl. Wir sind durch einen immer stärker werdenden Perfektionsdrang verdorben. Der eigentliche Sinn eines Konzerts ist doch ein ganz anderer: Es geht um eine Aussage, um eine Mitteilung, und wenn man dieser Mitteilung in einem Konzert nicht nahekommt, dann ist es auch nicht gerade erhebend. Das kann mit mir zu tun haben, das kann mit dem Publikum zu tun haben und mit dem Instrument. Pianisten sind ja vollkommen abhängig von dem zur Verfügung gestellten Klavier und es gibt Abende, an denen man so gar keine Freundschaft mit dem Instrument entwickeln kann. Da verzweifelt man.

    Wie verlässlich ist eigentlich die Interpretation Neuer Musik in Bezug auf den Notentext? Wird da nicht gelegentlich auch etwas vereinfacht, weil es zu kompliziert auszuführen ist? Gar: Wird da womöglich nicht auch ein bisschen geschummelt, weil kaum ein Zuhörer dies merkt?

    Hinterhäuser: Sagen wir so: Man wäre ganz schlecht beraten, wenn man sich darauf verlassen würde, dass das Publikum gar nicht merkt, wenn der eine oder andere Ton nicht ganz getroffen ist. Man hat sich in der Literatur der neueren Klaviermusik genauso vorzubereiten, wie man sich der Sonaten von Beethoven annehmen würde – zweihundertprozentig! Ich könnte Luigi Nono und Galina Ustwolskaja auswendig spielen, würde es aber nie machen. Ich habe immer die Noten auf der Bühne. Es ist wichtig, dem Zuhörer das Gefühl einer ernsthaften Lesung der Partitur zu geben.

    Woraus ziehen Sie innere Freude und Zufriedenheit als Leiter der Salzburger Festspiele – und worin liegt Ihr persönliches Opfer als Intendant der Festspiele?

    Hinterhäuser: Es gibt keine Opfer. Ich halte es für ein echtes Privileg in meinem Leben, dass es mir möglich ist, dies hier zu machen. Glücklich bin ich, wenn aus der Einheit von Werk, Interpret, Publikum und Raum ein einziges Hören, ein einziges Lauschen wird. Und schön ist es auch, manchmal aus dem Getümmel der Hofstallgasse auf die andere Seite zu verschwinden, ins Mozarteum, wo alles ein bisschen ruhiger, intimer und dimensionierter ist.

    Zur Person: Markus Hinterhäuser, 1958 in La Spezia (Italien) geboren, ist seit 2016 Intendant der Salzburger Festspiele im Sommer, die als das weltweit bedeutendste Festival für Musik und Schauspiel gelten. Um die 250.000 Zuhörer und Zuschauer besuchen alljährlich binnen sechs Wochen die Theater- und Konzertveranstaltungen. Markus Hinterhäuser ist aber nicht nur Festspiel-Intendant, sondern auch ein gefragter Pianist insbesondere für Neue Musik. Er studierte am Wiener Konservatorium und am Mozarteum Salzburg, unter anderem bei Elisabeth Leonskaja und Oleg Maisenberg.

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