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Interview: Gernot Böhme: „Die Natur, das sind wir selbst“

Interview

Gernot Böhme: „Die Natur, das sind wir selbst“

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    "Die Natur, das sind wir selbst", sagt Philosoph Gernot Böhme.
    "Die Natur, das sind wir selbst", sagt Philosoph Gernot Böhme. Foto: Adobe Stock

    Die Anzeichen werden immer deutlicher, dass das Verhältnis des Menschen zur äußeren Natur in einer für beide Seiten bedrohlichen Krise steckt. Ist es auch eine innere Krise, weil der Mensch sich von seinem eigenen Natur-Sein entfernt hat?

    Gernot Böhme: Ja. So wichtig es ist, auf das desaströse Verhältnis zur äußeren Natur hinzuweisen – es ist dabei auch wichtig zu verstehen, dass wir unser Verhältnis zu uns selbst als Natur verändern müssen. Denn wir denken eigentlich auch über uns selbst in der Weise, als ob wir einfach nur ein Stück der äußeren Natur wären, ein Organismus, ein Naturding – das ist zwar nicht falsch, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Denn so sehen wir uns von außen. Was fehlt, ist, wie wir Natur an uns selber spüren. Das ist unglaublich vernachlässigt, sodass wir unser eigenes Natur-Sein gar nicht richtig kennen und ernst nehmen. Das wirkt sich auch aus auf das Verhältnis zur äußeren Natur.

    Was sollten wir da entdecken?

    Böhme: Der analytische Philosoph Thomas Nagel hat den schönen Satz geprägt: „Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein.“ Das ist so. Aber wir wissen ja sehr wohl, wie es sich anfühlt, ein Lebewesen zu sein. Wir haben durch die Erfahrung an uns selbst sehr wohl ein Verständnis für andere Kreaturen, die sind uns gar nicht so fremd. Wir können also aus dieser Erfahrung an uns selbst ein Mitgefühl für andere Lebewesen entwickeln, weil sie sich in einer Weise fühlen wie wir uns auch selbst. Sie sind keine Dinge, sondern eben Lebewesen, und was es heißt, ein Lebewesen zu sein, das wissen wir sehr wohl durch unsere Selbsterfahrung.

    Sie schreiben im aktuellen Buch „Leib – Die Natur, die wir selbst sind“ von der Notwendigkeit einer „Humanisierung der Natur“. Was heißt das?

    Böhme: Was wir heute Ökologie nennen, ist eine rein naturwissenschaftliche Betrachtung der Umwelt. Sie berücksichtigt zwar auch, dass der Mensch zum Ökosystem gehört – aber nicht der einzelne Mensch, sondern der ökonomisch und politisch integrierte Mensch als Masse, die Menge der Menschen als ein Naturfaktor im Ökosystem der Erde. Unser Verhältnis zur Natur und unser Umgang mit ihr werden aber entscheidend geprägt von unserem jeweiligen unmittelbaren Erleben. Weil wir ja nicht bloß im materiellen Austausch mit unserer Umwelt leben, denn wir fühlen die Umwelt, wir spüren sie. Wenn wir von der Umwelt reden, die uns angeht, müssten wir eigentlich von einer menschlichen Umwelt reden, einer humanisierten Umwelt. Über diese ästhetischen, diese emotionalen Gesichtspunkte müsste die Antwort um die Frage gehen: Wie soll das Ökosystem aussehen, in dem wir leben wollen? Und wie wollen wir es gestalten?

    Heute gestaltet der Mensch die Natur eher technisch. Es geht um Funktionalität, der Mensch, der die Natur zerstört, will sie nun auch wieder heilen…

    Böhme: Ja, das steht schon in der Bibel mit: „Macht euch die Erde untertan.“ Ob das dort wirklich so zu verstehen ist, bezweifelt man inzwischen. Heute hat dieses Denken jedenfalls seine Fehler. Die Schäden, die angerichtet sind, glaubt man immer wieder durch neue Technologien zu heilen. Wieder mit einem objektiven Blick auf die Natur, statt mit einem subjektiven. Aber im Gegenteil: Der Mensch selbst müsste seine eigenen Verhaltensweisen verändern. Für unsere Wirtschaftspolitik gilt etwa nach wie vor: Eine Wirtschaft ist nur gut, wenn sie wächst. Das ist rein rechnerisch desaströs, weil sie dann exponentiell weiterwachsen muss. Das ist ökologisch schädlich. Und wodurch soll die Wirtschaft wachsen? Durch mehr Konsum. Auch ökologisch schädlich. Wir müssen stattdessen zu stabilen Gleichgewichtsverhältnissen kommen, und das heißt, dass sich das menschliche Konsumverhalten so gestalten muss, dass es auch wirklich zu befriedigen ist. So wie elementare Bedürfnisse: Wenn ich Durst habe, kann ich trinken, dann ist der Durst weg. Unser Kapitalismus baut aber auf Begehrnisse – das sind Bedürfnisse, die dadurch, dass man ihnen entspricht, gesteigert werden. Dadurch entsteht eine nach oben offene Spirale, die für die kapitalistische Wirtschaft natürlich sehr wünschenswert ist, für die Ökologie aber desaströs.

    Aber wie kann man so das regulieren?

    Böhme: Von der Seite der Subjekte, der Konsumenten also, nicht bloß durch äußere Regelungen. Zum Beispiel gibt es ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen, gesehen zu werden – das war einst ein Privileg der Adligen, die hatten Gemälde von sich. Inzwischen ist durch die Fotografie längst für jedermann möglich, gesehen zu werden – und als Bedürfnis ist es im Zeitalter von Smartphones und Internet nun unendlich steigerbar. Also wird ununterbrochen fotografiert und ins Netz gestellt – über eine Milliarde Bilder pro Tag! Die Bildproduktion und was dazu gehört ist damit eine riesige wirtschaftliche Sektion geworden, ein großer Teil unserer Wirtschaft lebt davon, gesehen werden zu wollen.

    Wird dabei nicht auch wieder das Verhältnis zu sich veräußerlicht?

    Böhme: Die Selfie-Mode ist entstanden, weil man es nicht mehr wirklich hinkriegt, im Augenblick das Leben zu genießen. Man fotografiert sich, um zu zeigen: Ich bin hier. Das „Ich bin hier“ selbst kann man nicht mehr erleben, also fotografiert man. Für ein Verhältnis, das gesünder für den Einzelnen und auch die Ökologie ist, muss auch hier eine Änderung stattfinden, ein Sich-Einüben, gegenwärtig zu sein.

    Hinzu kommt der Trend, das ich zu vermessen, um es zu kontrollieren und zu perfektionieren - eine Technisierung im Blick auf den eigenen Körper.

    Böhme: Eine höchst bedenkliche Entwicklung. Etwa mit dem Monitoring der eigenen Gesundheitsdaten am Arm zeigt man, dass man seinem eigenen Gefühl, seiner eigenen Befindlichkeit nicht mehr traut. Dabei sollte man ja gerade das ausbauen und versuchen, mehr Aufmerksamkeit auf sich selber zu richten – und diese unmittelbare Selbsterfahrung würde ja wiederum eine bessere Verbindung zu Umwelt und Mitlebewesen ermöglichen. Die Verdatung dagegen macht einen zum Gegenstand – und die Daten wiederum werden dann die Krankenkassen interessieren. Das heißt, man arbeitet letztlich nicht mal für sich oder auch nur für ein nachweislich besser vorzeigbares Ich, sondern dafür, dass die Prämien günstiger werden. Statt zur Autonomisierung der Gesundheitsfürsorge führt das also in neue Abhängigkeiten und zur freiwilligen Selbstüberwachung.

    In Zukunft könnte die Optimierung des Menschen mithilfe Technik-Verknüpfungen möglich werden.

    Böhme: Aber welches Menschen? Eines eindimensionalen. Denn es ist nur eine Verbesserung in Bezug auf bestimmte Parameter. Wie wir das beim Doping längst kennen. Es ist eine Steigerung von Eigenschaften des Menschen, die aktuell als wichtig gelten – das bedeutet freilich zugleich die Verkrüppelung der Gegenseite davon. Denn technisch den Menschen als Ganzes zu verbessern, ist schlicht unmöglich.

    Ist das ein Verstoß gegen das, was Menschenwürde meint?

    Böhme: Ja. Und es ist schlimm, dass sich viele Menschen darauf einlassen und gar nicht sehen, dass sie ihre eigene Würde beschädigen.

    Sie fordern dagegen, „die eigene Natürlichkeit so weit wie möglich zu bewahren“ – was heißt das?

    Böhme: Mehr noch: Wir müssen sie entwickeln! Wir sind inzwischen durch die Herrschaft naturwissenschaftlichen Wissens und Denken gewohnt, uns selber einfach als ein Ding zu betrachten. Demgegenüber müssen wir wieder lernen, uns so zu verstehen, wie wir uns selbst gegeben sind, durch unsere Befindlichkeit, unsere Emotionen. Da haben wir ja ein Gespür für uns selber. Und das müssen wir überhaupt erst mal wieder entwickeln. Das wäre eine Rückgewinnung der Natur, der Natur, die wir eben selbst sind.

    Und damit auch der Weg zu einem besseren Verhältnis des Menschen zur Natur im Äußeren?

    Böhme: Meine These ist: An dem, was wir uns selbst antun, spüren wir erst richtig, was wir der Natur da draußen antun. Wer sich selbst als Lebewesen spürt, kann unmöglich das, was etwa in der Massentierhaltung geschieht, für gut halten.

    • Gernot Böhme, 82, war Professor für Philosophie an der TU Darmstadt und ist Direktor des Instituts für Praxis der Philosophie.
    • Beim Philosophiefestival in den Allgäuer Alpen (5. bis 9. Juni) wird Böhme mit dem „Meckatzer Philosophie-Preis“ geehrt.
    • Böhmes aktuelles Buch heißt „Leib - Die Natur, die wir selbst sind“ (196 S., 18 €) und ist bei Suhrkamp erschienen.
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