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Integration: Vom türkischen Gastarbeiterlied zum Getto-Rap

Integration

Vom türkischen Gastarbeiterlied zum Getto-Rap

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    Generationsübergreifend: Rapper Eko Fresh im Vordergrund, im Hintergrund Nedim Hazar (rechts) und Klaus Mages (links) von der Band „Die Mampen“.
    Generationsübergreifend: Rapper Eko Fresh im Vordergrund, im Hintergrund Nedim Hazar (rechts) und Klaus Mages (links) von der Band „Die Mampen“. Foto: Veranstalter

    400 Deutsche, Türken und Deutschtürken hält es in der Kölner Volksbühne nicht auf den Sitzen, als der 82-jährige Metin Türköz auf eine Krücke gestützt die Bühne betritt. Große Ovationen. Türköz ist eine Ikone der frühen türkischen Gastarbeitermusik und heimlicher Star der Nummernrevue „Lieder im Transit“. Deren Kopf, Nedim Hazar, bringt ihn erstmals mit einem ganz anderen Helden deutschtürkischer Musik zusammen: Rapper Eko Fresh, bürgerlich Ekrem Bora, ist Hazars Sohn aus erster Ehe.

    Es ist ein spannendes Panorama des deutsch-türkischen Verhältnisses in drei musikalischen Lebensgeschichten. Zum einen Nedim Harar. Der ist selbst ein besonderes Gewächs des „Transits“, des Übergangs also. Geboren in Ankara, wuchs er in Australien auf, kehrte als Oberschüler zurück in die Türkei und besuchte ein Istanbuler Eliteinternat. Während des Studiums politisch aktiv, gehörte er zu jenen 60000 Türken, die sich nach dem Militärputsch 1980 nach Deutschland retteten. Mit dem Filmkomponisten Georg Schaller gründete er in Köln 1983 eine der ersten deutsch-türkischen Rockbands. „Yarinistan“ griffen die Erfahrungen des türkischen Arbeitermilieus auf, waren aber über diese Szene hinaus bekannt für Sex, Drugs, Rock’n’Roll. Die Band schrieb sogar mit an der deutschdeutschen Kulturgeschichte: Sie trat auf dem Solidaritätskonzert „Rockpoeten-Tournee“ in Ostberlin, kurz vor dem Mauerfall 1989, vor Hunderttausenden auf.

    In den 60ern: Mit Metin Türköz kam eine neue Liedkultur

    Anfang der 2000er ging Hazar wieder nach Istanbul, für immer, wie er dachte. Dort heiratete er Ulrike Duffner, langjährige Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. 2018 wies die Erdogan-Regierung Duffner aus. Um einer möglichen Enteignung zuvorzukommen, organisierte Hazar den Verkauf von Hab und Gut und verließ die Heimat mit seiner Frau erneut Richtung Rheinland. So sorgte Erdogans Politik für eine musikalische Vereinigung von Vater und Sohn.

    Die Ausgrenzung von Minderheiten ist Hazars Lebensthema – beruflich wie privat. Und so hielt es ihn auch nach dem Zwangsumzug nicht lange auf dem Sofa. Er machte den früheren „Yarinistan“-Drummer Klaus Mages ausfindig und gründete mit ihm eine neue Band: „Die Mampen“. „Lieder im Transit“ schrieb er als Reminiszenz an Musiker, die auf allen Kontinenten wegen ihrer Herkunft gedemütigt, verfolgt, verbannt oder ermordet wurden.

    Hazar steht für eine Politisierung. Der Weltmusiker und WDR-Journalist dokumentierte zwischen 1983 und 2000 zwar auch die deutsche Gastarbeiterkultur. Doch er teilte härter aus, sozialkritisch und satirisch, inner- wie außerhalb der türkischen Community. Sein Tophit „Max und Gülistan“ prangert in aggressivem Stakkato das Verbot deutsch-türkischer Liebesbeziehungen an. Der zunehmende deutsche Rassismus beherrschte seine Werke ab den 1990ern.

    Die zweite Geschichte ist die des Metin Türköz. Mit ihm begann in Deutschland eine neue Liedkultur. 1962 kam er als Ford-Arbeiter nach Deutschland und griff schon kurz nach seiner Ankunft zur Saz, der türkischen Laute. Er besang das Heimweh, das bittere Leben auf Strohsäcken und die harte Arbeit in den Fabriken. Ohne Jammer, dafür mit viel Ironie und wachsendem Zorn. Er wurde der erfolgreichste Sänger der ersten deutsch-türkischen Subkultur, die hier wie in der Türkei sogar unter dem Namen „Gurbet Türküleri“ bekannt wurde: Lieder aus der Fremde. 13 Kassetten veröffentlichte er, Songs wie „Guten Morgen, Mayistero“ waren Kult in den Arbeiterbaracken.

    In den 2000ern: Eko Fresh und Co erobern die Charts

    Die dritte Geschichte ist die von Eko Fresh. Er wurde als Ekrem Bora 1983 geboren, wuchs bei seiner Mutter im Brennpunkt-Stadtteil Köln-Kalk auf – und gehört damit zu einer Getto-Kultur, die wichtig ist für ein authentisches Image in der deutschen Rap-Szene. Seit den 2000ern wird diese dominiert von türkischen und arabischen Einwanderern in zweiter und dritter Generation. Bora alias Eko war bis 2004 Protegé von Kool Savas und geschäftlich auch kurz mit Bushido liiert, entwickelte jedoch seine eigenen Themen und setzt sich bewusst vom Gangster-Rap ab. Denn neben der Macho-Gangster-Fraktion, die – wie man heute weiß – auch im kriminellen Clan-Milieu unterwegs ist, gibt es eben auch solche Rapper: unabhängige Musiker mit eigenen Labels, die sich vom Gangster-Rap verabschiedet haben. Ekos Reime stehen in emanzipativer Tradition, kennzeichnen Arbeitslosigkeit, Rassismus und Perspektivenmangel. Zur Kölner Silvesternacht dichtete er empört das „Domplatten Massaker“. In „Aber“ (2018) rechnet er mit deutschen und türkischen Nationalisten ab. Der Clip ging durch die Decke: sechs Millionen Aufrufe.

    Beim Kölner Konzert „Lieder im Transit“ tritt Eko Fresh, inzwischen 35, mit seinem Hit „Quotentürke“ auf, einem Protestsong gegen Zuschreibungen und identitäre Zwangsjacken. Jubel im Publikum. Und hier wird auch das Gemeinsame der drei Leben offenkundig: das Engagement gegen Ausgrenzung und Rassismus bei gleichzeitiger künstlerischer Widerständigkeit. In rosa glitzernder Bluse zeigt Nedim Hazar den berühmtesten Schwulen der Türkei, Zeki Müren (1931–1996). Er war ein Idol. Trotz grassierender Schwulenfeindlichkeit lag ihm die türkische Polit- und Militärprominenz zu Füßen. Hazar über diese Bigotterie: „Der aktive Mann gilt als koscher, schwul ist in dieser nahöstlichen Welt nur der Passive.“ Würde Müren noch leben, erklärt er, die türkische Politik wäre sanfter.

    Auch die Künstler, die seit zwei Jahren von Erdogan aus der Türkei hierher fliehen, werden bleiben, für neue Perspektiven sorgen. Und geht es nach dem Beispiel von „Lieder im Transit“, dann werden sie den vielerorts in Volksmusik und Tradition festgefahrenen türkischen Diskurs, das harte „Wir“ und „Ihr“ in Deutschland weicher und den Übergang zwischen den Identitäten geschmeidiger machen.

    Lieder im Transit kommt am 28. Juli zum Nürnberger Bardentreffen. Infos unter www.die-mampen.de

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