Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Internet: Wie soziale Medien die Gesellschaft spalten

Internet

Wie soziale Medien die Gesellschaft spalten

    • |
    Auf Pegida-Demonstrationen geht es regelmäßig um Themen wie Meinungs- und Pressefreiheit.
    Auf Pegida-Demonstrationen geht es regelmäßig um Themen wie Meinungs- und Pressefreiheit. Foto: Jens Wolf, dpa (Symbolbild)

    Man kann es vielleicht zusammenfassen wie der britische Star-Historiker Timothy Garton Ash, der sagt: Das Internet sei „die größte Kloake der Menschheitsgeschichte“. Er meint damit nicht nur, dass dort aller möglicher Müll abgeladen wird – sondern auch, dass dort Giftiges gären, sich sammeln und vermehren kann. Und sein nicht minder prominenter Kollege Timothy Snyder führt im Buch „Der Weg in die Unfreiheit“ umfassend beispielgebend auf, wie dieses Gift über Russland nach Europa und in die USA einsickert und die politische Landschaft verseucht. Gezielte Fake-News-Kampagnen, auf Hass und Verleumdung programmierte Bots in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“ – der Aufstieg radikaler Kräfte erscheint so als Ergebnis eines Virus, der sich global über das Internet verbreitet.

    Wer dies als ängstlichen und einseitigen Befund kulturpessimistischer Linksliberaler im Rentenalter abtun will, der sei auf den hippen Ryan Broderick verwiesen. Der ist, noch keine 30, im wahrsten Sinne ein „Digital Native“, ein Eingeborener des Netzes also, der sich einst gern mit Provokationen in den Foren vergnügte, mit „Shitposting“. Nun aber zieht er eine erschütternde Bilanz auf dem Medienportal Buzzfeed unter dem Titel: „This Is How We Radicalized The World“ – so haben wir die Welt radikalisiert.

    Auch die Präsidentschaftswahl in Brasilien, die Jair Messias Bolsonaro gewann, wurde durch soziale Netzwerke beeinflusst.
    Auch die Präsidentschaftswahl in Brasilien, die Jair Messias Bolsonaro gewann, wurde durch soziale Netzwerke beeinflusst. Foto:  Sergio Lima, afp (Archiv)

    Die alarmierende Reise des Reporters Broderick beginnt in Brasilien, einem Land, in dem sich immer mehr Menschen ausschließlich durch Kanäle wie Facebook, Instagram und WhatsApp mit Nachrichten versorgen – und in dem zuletzt nach massiven Hass- und Lügen-Kampagnen der extreme Rechte Jair Messias Bolsonaro die Präsidentschaftswahlen gewann, dort auch „König im Netz“ genannt. Von dort verfolgt der Autor die Spur nicht nur zum Twitter-König Donald Trump, sondern auch nach Italien, Ungarn, Indien, Myanmar, Deutschland, Russland, Großbritannien, Spanien, Südkorea, Polen, Mexiko, Australien.

    Extreme formieren sich auch außerhalb des Netzes

    Was sich hier vor aller Augen und über sehr wenige und sehr mächtige Plattformen abspiele: „Der Tanz ist überall der gleiche.“ Es beginnt mit einem Troll-Problem im Netz, Gruppen, die sich sammeln, um Desinformationen zu streuen und sich durch Feindbilder zu profilieren. Dann erscheinen politische Meinungsmacher, die – unterstützt durch Algorithmen, die auf ihre Inhalte leiten – für mehr Aufmerksamkeit und Verbreitung finden. Sie sorgen dafür, dass sich die Extremen auch außerhalb des Netzes formieren.

    Eine Bewegung gründet sich, die sich als wahre Stimme des Volkes geriert und politische Repräsentation verlangt – während die Netz-Kampagnen weiter befeuert werden und weiter streuen. Wenn dann Nachrichten wie jene kürzlich in Deutschland, dass Flüchtlinge 700 Euro Weihnachtsgeld erhielten, nur auf diesen Plattformen auftauchten und nicht in sonstigen Medien, ist das kein Grund für Zweifel, sondern ein Beweis für die Systemtreue dieser Medien. Ein „Beweis“ dafür, dass eine „Gesinnungsdiktatur" und die „Political Correctness“ in Wahrheit die Informations- und Meinungsfreiheit aushebelten. Die Gesellschaft spaltet sich, und die Kräfte ihres Kippens wachsen weiter…

    Besonders fatal ist, so Ryan Broderick, die Entwicklung der Medienlandschaft in immer mehr Ländern, in denen es keine Öffentlich-Rechtlichen gibt (die nicht umsonst von jenen neuen Kräften bekämpft werden). Hier ergibt sich auch eine Informationsspaltung: Weil die klassischen, privaten Medienhäuser durch die Digitalisierung in Umsatzprobleme geraten und darum qualitative, geprüfte Nachrichten immer öfter hinter Bezahlschranken verschwinden, informieren sich die, die sich das nicht leisten können oder wollen, immer mehr über die „Sozialen Medien“ – und die Gifte verbreiten sich weiter… Die Macht der Internetunternehmen wird womöglich vorübergehend sein – der Schaden, den sie in Gesellschaften hinterlassen, wohl eher nicht.

    Vitaly Malkin: Der aufklärerische Geist der Freiheit geht verloren

    Zumal eine zweite Herausforderung hinzukommt: die Aushöhlung der Meinungsfreiheit aus dem Geiste der Liberalität. Vitaly Malkin beschreibt sie im furiosen Essay „Gefährliche Illusionen“ mit dem Tenor: „Wir werden auf Jahrzehnte hinaus für die heutige Political Correctness bezahlen.“ Er meint: Interessensgruppen, die sich im Netz sammeln und sich gerade in liberalen Gesellschaften artikulieren können, sorgen für eine übergroße Vorsichtigkeit in der Gesellschaft, einen geradezu religiösen Puritanismus – und der aufklärerische Geist der Freiheit geht verloren.

    Der absolute Gleichheitsanspruch der Rechte aller führe zu Denkverboten und Konformismus. Wo sich das konkret zeigt, ist beispielhaft in einem ebenso fulminanten Essay des deutschen Publizisten Hanno Rauterberg nachzulesen. Dem Titel nach geht es darin zwar um „Die Freiheit der Kunst“ – aber gerade in diesem vermeintlich freiesten Medium des menschlichen Wirkens zeigen sich ja auch: „Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus.“

    Da protestieren etwa schwarze Aktivisten massiv gegen einen neuen Kolonialismus, weil die weiße Malerin Dana Schutz sich in einem Gemälde eine schwarze Unterdrückungsikone „angeeignet“ habe: das Bild eines 1955 in Mississippi von weißen Männern ermordeten schwarzen Jungen. Da formiert sich auch über die „Sozialen Netzwerke“ eine Klage gegen die Ausstellung von Balthus-Gemälden oder Chuck-Close-Fotografien, weil der eine ein Mädchen in sexualisierten Posen zeige und der andere im Zuge von #MeToo verdächtigt wurde.

    Und da sorgen Studenten in Berlin dafür, dass ein Gedicht des Autors Eugen Gomringer auf der Fassade übermalt wird, weil „Avenidas“ Frauen mit Blumen gleichstelle und damit zum Objekt im Blick des Mannes degradiere… Zeit-Autor Rauterberg nennt das eine drohende „Herrschaft der Empfindlichkeit“. Aber was tun? Wie die Meinungsfreiheit schützen?

    Professorin Nikola Roßbach: Zu viel Alarm zerstört die Debattenkultur

    Die Kasseler Professorin Nikola Roßbach rät in „Achtung Zensur!“ zur Differenzierung. Zum einen: Man müsse entschieden zurückweisen, wenn etwa AfD-Sprecher Zensur beklagten, nur weil ihre Äußerungen einhellig kritisiert werden. Zum anderen: Falschinformation freilich falle nicht unter Meinungsfreiheit. Schließlich: Zensur herrsche eindeutig in Russland, China, aber auch in den USA, wo am Tag von Trumps Wahl alle Hinweise auf den Klimawandel von den Regierungsseiten im Netz getilgt wurden. Generell plädiert Roßbach eher für das Prinzip Feuerlöscher statt Rauchmelder: Zu große Sensibilität, zu viel Alarm zerstöre die Debattenkultur. Und ständiger Gebrauch verschleißt ja die Mittel, etwa die der Empörung und des Anprangerns. Also: Erst rufen, wenn da wirklich Feuer auf dem Dach ist.

    Das sollte wohl auch für all die Brandherde im Netz gelten, um eine weitere Verbreitung desselben „Tanzes“ ins Radikale einzudämmen. Aber dazu müssten die selbst immer mehr gespaltenen politischen Kräfte die mächtigsten Unternehmen der Welt in die Pflicht nehmen.

    Bloß: Wer mag daran glauben, wo aktuell die Wahlgewinner ja gerade von deren Wirkung zehren? Einer wie Ryan Broderick jedenfalls nicht. Demokratien können jetzt wohl nur dafür kämpfen, dass sie diese Zeit irgendwie überleben.

    Um diese Bücher dreht sich der Text:

    • Timothy Snyder: Der Weg in die Unfreiheit. Übersetzt von Ulla Höber, C. H. Beck, 367 S., 24,95 ¤
    • Vitaly Malkin: Gefährliche Illusionen. Wolff, 464 S., 21,90 ¤
    • Nikola Roßbach: Achtung, Zensur! Ullstein, 272 S., 20 ¤
    • Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? Suhrkamp, 141 S., 14 ¤
    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden