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Interview: Kulturrat-Leiter Zimmermann: "Wir brauchen Künstler mehr als je zuvor"

Interview

Kulturrat-Leiter Zimmermann: "Wir brauchen Künstler mehr als je zuvor"

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    Olaf Zimmermann ist der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
    Olaf Zimmermann ist der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Foto: Carsten Koall, dpa

    Herr Zimmermann, nachdem es die Corona-Regeln wieder zulassen: Welche war die erste Kulturveranstaltung, die Sie seit den Öffnungen besucht haben?

    Olaf Zimmermann: Das war die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill in der Komischen Oper in Berlin. Die Inszenierung ist toll, künstlerisch gesehen eine Wucht. Das Stück trägt aber nicht dazu bei, danach lachend und lustig durch die Gegend zu springen. Meinen Gemütszustand jedenfalls hat es nicht gebessert (lacht). Was wir jetzt brauchen, ist aber genau das. Es ist eine zentrale Aufgabe des Kulturbereichs, dass die Menschen wieder Freude haben. Dass sie wieder aus sich herauskommen, sich auf die Schenkel klopfen können.

    Also all das tun, was zuletzt oftmals fehlte. Wie blicken Sie auf den bisherigen Verlauf der Pandemie, speziell für die Kultur dieses Landes?

    Zimmermann: Der Kulturbereich ist fundamental von Corona getroffen worden. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Es war der blanke Horror. Wir haben uns nicht in unseren schlimmsten Albträumen vorstellen können, dass man dauerhaft und massenweise Kultureinrichtungen schließen kann. Wir haben erst einmal einen Moment gebraucht, um zu verstehen, wie tief die Kultur betroffen ist.

    Wie lautet ihre vorläufige Schadensbilanz?

    Zimmermann: Das geht einmal in den finanziellen Bereich. Da glaube ich aber, dass wir, auch gemeinsam mit der Politik, eine ganze Menge positiv bewegen konnten und können. Die Förderungsprogramme im Kulturbereich sind nicht immer optimal, aber insgesamt gut gewesen. Aber es gibt noch einen zweiten Bereich, einen, über den viel zu wenig gesprochen wird.

    Was meinen Sie?

    Zimmermann: Künstlerinnen und Künstler machen ihre Kunst nicht in erster Linie, um damit Geld zu verdienen. Sie wollen etwas sagen, sie haben eine Mission. Und die konnte lange nicht mehr erfüllt werden. Das hat viele so tief im Mark getroffen, wie ich das noch nie bei irgendwas anderem gesehen habe. Die finanziellen Probleme sind bei vielen groß, keine Frage. Aber sie sind etwas, das überwunden werden wird.

    Anders als die künstlerische Not?

    Zimmermann: Ja. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir da wieder ins Gleichgewicht kommen. Der Kulturbereich ist sehr vielfältig. Da gibt es die großen Player, die großen Theater oder Museen. Und dann gibt es die ganz Kleinen, viele Selbstständige, die in kleinen Häusern oder auf der Straße auftreten. Alle schaffen einen öffentlichen Raum, auf dem präsentieren sie dann ihr mehr oder weniger verrücktes Kulturprogramm. All das ist für eine lange Zeit weggefallen. Das bedeutet nicht, dass die Künstler gar nichts haben machen können. Aber der originäre Ort der künstlerischen Auseinandersetzung und des Austauschs mit dem Publikum ist auf Eis gelegt worden. Das ist noch nicht überwunden.

    Zuletzt hatten die Aktionen #allesaufdentisch und #allesdichtmachen für Aufsehen gesorgt. Mehrere Künstlerinnen und Künstler äußerten in Kurzvideos ihre Kritik an den Corona-Maßnahmen. Was halten Sie davon?

    Zimmermann: Natürlich darf jeder Künstler, jede Künstlerin seine Meinung äußern. Und selbstverständlich dürfen sie auch eine Meinung äußern, die nicht die meine ist. Ich glaube aber, dass sie dabei eine ganz besondere Verantwortung tragen müssen, weil sie eine große öffentliche Wirkung haben. Und natürlich dürfen Künstlerinnen und Künstler sich auch kritisch zu den Corona-Maßnahmen äußern. Ihnen ging es meist um die Frage, ob Menschen sich impfen lassen sollen. Ich sage: Mit einer Impfpflicht hätten wir viel weniger Probleme im Kulturbereich gehabt.

    Einige Schauspielerinnen und Schauspieler sehen das ihren Videos zufolge deutlich anders …

    Zimmermann: Ich hätte eine Impfpflicht nicht für eine ungebührliche Einschränkung gehalten. Wenn Schauspieler auftreten und finden, es ist das Ende der Freiheit, wenn jemand auch nur zu einer Impfung angefragt wird, dann bin ich dezidiert anderer Meinung. Wir brauchen Künstlerinnen und Künstler jetzt wohl mehr, als je zuvor. Aber deswegen ist es auch wichtig, dass sie ihren Job machen – und nicht den der Virologen oder anderer Gesundheitsexperten.

    Es erweckt zumindest den Anschein, als nähere sich die Pandemie ihrem Ende. Welche Aufgabe fällt dem Kulturbereich nun zu?

    Zimmermann: Die fundamentalste aller fundamentalen, nämlich zu zeigen, dass diese Gesellschaft wirklich lebenswert ist, dass man in ihr Spaß haben kann. Dass die Menschen sich wieder näher kommen können. Das ist die große Herausforderung. In den öffentlichen Verkehrsmitteln erlebe ich permanent, wie unsicher die Leute noch sind in Sachen Nähe und Berührungen. Wie wir menschlich miteinander zurechtkommen, wie wir in der Zukunft leben wollen, das muss in der Kultur besprochen werden. Das wird die große und spannenden Aufgabe sein.

    Ein Blick in die Zukunft: FDP, SPD und Grüne befinden sich aktuell in Koalitionsverhandlungen. Welche Forderungen haben Sie an eine neue Bundesregierung?

    Zimmermann: Ich hoffe, dass in der nächsten Legislaturperiode die soziale und wirtschaftliche Absicherung der Künstlerinnen und Künstler ein Top-Thema sein wird. Das haben uns auch alle Parteien versprochen.

    Welche konkreten Maßnahmen fordern Sie?

    Zimmermann: Das beginnt in der Debatte um eine Arbeitslosenversicherung oder eine „Auftragslosigkeitsversicherung“ für selbstständige Künstlerinnen und Künstler. Der noch amtierende Arbeitsminister Hubertus Heil hat mit uns bereits Gespräche darüber geführt. Ich bin mir sicher, dass wir in der kommenden Legislaturperiode neue, deutlich bessere, Regeln für den Bereich finden werden.

    Aktuell gibt es lediglich eine Staatssekretärin für den Kulturbereich. Was halten Sie von der Forderung mancher nach einem eigenen Minister für Kultur, also einer Ressortzuständigkeit?

    Zimmermann: Wir haben in der Pandemie sehr eindrücklich erleben müssen, was es heißt, kein vollwertiges Kulturministerium auf Bundesebene zu haben. Wie das Gesundheitsministerium das Infektionsschutzgesetz reformierte, wurde der Kulturbereich nicht mit eingebunden, weil er kein Ressort ist, kein Ministerium. Das war der Grund, warum die Kultur in den Vorschlägen einer Infektionsschutzverordnung unter dem Freizeitbereich subsumiert wurde, ohne eigenen Schutz. Meine Hoffnung ist, dass es bald ein Kulturressort gibt mit einem eigenen Minister an der Spitze. Dann müssen die anderen Ministerien sich mit dem Kulturbereich auch mehr abstimmen.

    Hat die Bundesregierung unter Angela Merkel in den vergangenen 16 Jahren genug getan für die Kultur dieses Landes?

    Zimmermann: Das waren keine schlechten Jahre. Am Anfang tat Frau Merkel sich aber sichtlich schwer. Vor 16 Jahren waren alle anderen Positionen in ihrem Kabinett bereits besetzt, nur für den Kulturbereich gab es keine Verantwortlichkeit. Man wusste damals nicht, ob das positiv von der SPD aufgesetzte Amt des Kulturstaatsministers von der Union wieder abgeschafft wird. Wurde es glücklicherweise nicht, sondern wurde zum ersten Mal mit Bernd Neumann mit einem Politikprofi besetzt. Das war eine sehr gute Entscheidung. Der Kulturbereich auf der Bundesebene ist gewachsen. Er hat sich positiv entwickelt.

    Zur Person: Olaf Zimmermann, 1961 in Limburg an der Lahn geboren, ist ein Publizist und ehemaliger Kunsthändler. Er leitet seit 1997 als Geschäftsführer den Deutschen Kulturrat, dem 259 Bundeskulturverbände und Organisationen angehören.

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