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Interview: Amelie Fried: „Ich habe noch nicht ausgesorgt“

Interview

Amelie Fried: „Ich habe noch nicht ausgesorgt“

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    Amelie Fried, 61
    Amelie Fried, 61 Foto: Hornischer Random

    Ihr neuer Roman erscheint jetzt, Ende August. Heißt das, dass Sie die Lockdown-Pause für die Fertigstellung Ihres Buchs genutzt haben?

    Amelie Fried: Ich habe in der Zeit nur noch Überarbeitungen machen müssen, darüber war ich froh. Denn ich hätte nicht kreativ sein können. Am Anfang hat sich meine Bildschirmzeit verfünffacht, weil ich so süchtig nach neuen Nachrichten war. Und es wäre mir auch unmöglich gewesen, eine Geschichte zu einem anderen Thema als Corona zu schreiben, weil alles neben dieser weltweiten Katastrophe irrelevant wirkte.

    Wobei eines der zentralen Themen Ihres Buches immer noch hoch relevant ist – nämlich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Hatten Sie nach einem aktuellen Aufhänger gesucht?

    Fried: Es ist immer mein Anliegen, gesellschaftlich relevante Themen in leichter Form zu präsentieren. Wobei ich das mit einer anderen Grundidee verknüpfen wollte, nämlich wie ein traumatisches Erlebnis die Gegenwart dominieren kann. Mein Interesse am „MeToo“-Thema wurde speziell durch eine Auseinandersetzung mit einer Facebook-Freundin ausgelöst. Die meinte: Männer sind eben so. Man muss sich als Frau nicht so haben. Man kann ‚nein‘ sagen. Und im ersten Moment dachte ich: Vielleicht stimmt das ein bisschen.

    „Ich muss und möchte weiter arbeiten und schreiben“

    Und im zweiten Moment?

    Fried: Im Lauf der Diskussion begriff ich, dass das totaler Blödsinn ist. Es geht häufig um massiven Machtmissbrauch innerhalb von Institutionen, wo Frauen keine Chance haben, sich zu wehren, ohne sich ihre Karriere und ihr Leben kaputt zu machen. Aber ich lasse meine Heldin genau diesen Bewusstwerdungsprozess erleben, den ich selbst durchlaufen habe. Wobei ich selbst zum Glück nie Erfahrungen in dieser Richtung gemacht habe.

    Jetzt, wo alles fertig ist: Können sich gemütlich zurücklehnen? Sie wirken jedenfalls sehr entspannt.

    Fried: Im Moment sehen Sie mich noch gemütlich hier sitzen, aber kurz vor dem Erscheinen des Buchs werde ich jedes Mal sehr nervös. Es ist, wie wenn man ein Kind in die Welt hinaus entlässt. Es hat Fehler, es hat Stärken und man hofft, die Welt wird es lieben. Ich kann mich nicht auf meinen Erfolgen ausruhen, habe auch materiell nicht ausgesorgt. Wenngleich ich keine existenziellen Ängste haben muss, so habe ich momentan doch auch einen massiven Einbruch in meinem Einkommen, da meine gesamten Lesereisen im Herbst und Winter nicht stattfinden. Ich muss und möchte weiter arbeiten und schreiben. Und ich habe auch noch Geschichten zu erzählen.

    „Ich bin in meine Karriere reingerutscht“

    Der Einstieg als Romanautorin 1996 war relativ einfach. Sie mussten nur ein paar Seiten vorlegen, da bekamen Sie schon einen Vertrag.

    Fried: Ich hatte das Glück, dass ich als Fernsehmoderatorin einen Namen hatte und die Leute neugierig waren. Aber das hat mir nur beim allerersten Buch geholfen. Wäre das ein Flopp geworden, wäre meine Karriere als Autorin vorbei gewesen. Ich bin selbstbewusst genug zu sagen, wenn man über 20 Bücher geschrieben hat, die alle Bestseller geworden sind, dann muss das auch mit der Qualität der Bücher zu tun haben.

    Sie waren seinerzeit TV-Prominenz, bekamen Bambi und Grimme-Preis. Wie wussten Sie, dass Schreiben das Richtige für Sie ist?

    Fried: Ich wollte das, seit ich elf bin. Ich habe damals das Kinderbuch „Harriet, Spionage aller Art“ geschenkt bekommen – über eine Elfjährige, die Schriftstellerin werden will und die deshalb ein Tagebuch führt und ihre Umgebung beobachtet. Da habe ich gedacht: Das ist es, was ich auch will – Menschen beobachten, Gründe für ihr Tun herausfinden und darüber Geschichten schreiben.

    Warum verfolgten Sie das nicht zielgerichtet, sondern wurden Moderatorin?

    Fried: Wie so viele junge Menschen habe ich auch gedacht: Ach, da hast du doch keine Chance. Und ich habe schon mit 16 Abitur gemacht, da war ich noch etwas orientierungslos. Ich habe einfach nach Ausschlussverfahren herausgefiltert, was ich nicht will. Und immer wenn sich Zufälle boten, wie damals ein Casting beim BR, wo ich ausgewählt wurde, dachte ich mir: Okay, probier’s mal aus. Erst mit Mitte dreißig war ich dann soweit, mit dem Schreiben zu beginnen. Ich bin also in meine Karriere reingerutscht.

    „Ich war ein junger Mensch mit sehr großem Freiheitsdrang“

    Ihre jungen Jahre verliefen auch sonst etwas ungeordnet. Laut Ihrer Website sind Sie als Teenager ausgebüchst …

    Fried: Weil ich in meinen Mitschüler Oliver verliebt war. Wir waren zusammen auf dem Internat und haben gemeinsam Abitur gemacht. Weil er nach Berlin ging, wollte ich mit. Erst haben es meine Eltern erlaubt, aber dann meinten sie: Ist doch Quatsch. Jetzt bleibst du zu Hause. Und ich dachte: Das geht ja gar nicht, ein Versprechen brechen. Also habe ich mich von einem anderen Freund nachts heimlich zum Zug nach Berlin bringen lassen. Damals noch durch die DDR. Ich hatte wahnsinnig Angst, dass die Vopos mich da rausholen und wieder nach Hause schicken.

    Und dann?

    Fried: Dann war ich in Berlin und habe mich erst mal zwei Wochen gar nicht zu Hause gemeldet. Was ich aus heutiger Sicht schrecklich empathielos finde. Ich habe mich inzwischen Millionen Male bei meiner Mutter entschuldigt. Aber mit Oliver klappte das damals nicht so gut, und ich bin wieder zurück. Heute sind wir gute Freunde, ich bin Patentante seines zweiten Kindes.

    Aber um so etwas durchziehen, muss man ein gewisses Naturell haben...

    Fried: Ich war ein junger Mensch mit sehr großem Freiheitsdrang. Ich war immer der Meinung, ich weiß selbst, was gut für mich ist. Dieser Eigensinn hatte gute und schlechte Folgen. Es war auch anstrengend für mich. Man rennt auch mal gegen Wände, wenn man so ist.

    Zum Beispiel?

    Fried: Ein abgebrochenes Uni-Studium ist nicht etwas, womit man sich schmücken kann. Auch bei meiner damaligen Beziehung bin ich oft gegen die Wand gelaufen. Danach haben sich aber die Dinge ganz gut gefügt. Ich habe auch das Talent zuzugreifen, wenn sich Chancen bieten, und zu wissen, wann ich ablehnen muss.

    Die Pandemie bietet ja die Chance für ein neues Romanthema. Würden Sie jetzt mit zeitlicher Distanz zugreifen?

    Fried: Ich wurde vor ein paar Tagen bei einer Umfrage unter Schriftstellern gefragt: Wie lautet der erste Satz des nächsten Buches? Und ich habe gesagt: Das ist kein Buch über Corona. Über diese Pandemie, ihre Auswirkungen und den ganzen Wahnsinn ein Buch zu schreiben, wäre das Letzte, was mir einfiele. Sobald unser Leben wieder in halbwegs normale Bahnen gerät, will das doch kein Mensch mehr wissen. Dann sind wahrscheinlich einfach nur alle froh, dass wir das hinter uns haben. Es ist wichtig, die Pandemie auf wissenschaftlichem Level aufzuarbeiten, aber schriftstellerisch ist da für mich nichts zu holen.

    Zur Person

    Einst nahm sich die in Ulm geborene Amelie Fried als Vorzeigemoderatorin im Bayerischen Rundfunk heißer Eisen an. Inzwischen tut es die 61-Jährige, die verheiratet in Dietramszell bei München, lebt in das längst als Bestsellerautorin mit teils verfilmten Romanen wie „Traumfrau mit Nebenwirkungen“. Ihr neues Buch heißt „Die Spur des Schweigens“ (Heyne, 496 S., 22 Euro) und erscheint am 31. August.

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