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Umwelt: Bedrohte Natur: Kaum mehr frei fließende Flüsse

Umwelt

Bedrohte Natur: Kaum mehr frei fließende Flüsse

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    Der Tagliamento in Friaul, Oberitalien, ist einer der letzten Wildflüsse Europas
    Der Tagliamento in Friaul, Oberitalien, ist einer der letzten Wildflüsse Europas Foto: Axel, Adobe Stock

    Wasserkraft ist die bedeutendste erneuerbare Energiequelle weltweit: Fast 17 Prozent des globalen Bedarfs an Elektroenergie kommen aus dem Wasser. Das ist eineinhalb Mal so viel, wie die Kernenergie liefert. Und die Tendenz ist weiter steigend: Vor allem in Asien, Afrika und Südamerika sind gigantische Wasserkraftwerke geplant oder bereits im Bau. Auch in Deutschland wird Wasserkraft intensiv genutzt, der naturräumlichen Gegebenheiten wegen vor allem im Süden. Im Jahr 2016 gab es allein in Bayern 4218 Anlagen, 742 davon in Schwaben. Doch der Energiehunger bleibt nicht ohne Folgen für die Flüsse.

    Ein internationales Wissenschaftlerteam aus Mitgliedern der Naturschutzorganisation WWF und mehrerer Forschungseinrichtungen hat nun in einer globalen Studie den Zustand der Flussökosysteme in den Blick genommen. Ihr Fazit in der Fachzeitschrift Nature lautet: Weniger als ein Viertel aller Flüsse weltweit fließt auf der gesamten Länge ungehindert durch Staudämme oder menschengemachte Regulierungen ins Meer. Unter den mehr als tausend Kilometer langen Flüssen kann nur rund ein Drittel dem von der Natur vorgegebenen Lauf folgen.

    Besonders betroffen sind Flüsse in dicht bevölkerten Erdregionen wie Nordamerika, Europa und Südasien. Zwei der wenigen sehr langen Flüsse, die dort noch frei fließen, sind der Irrawaddy und der Saluen, beide in Südostasien. Die anderen frei fließenden Flüsse der Welt sind weitgehend auf abgelegene Regionen wie die Arktis, das Amazonasbecken und das Kongobecken beschränkt, so Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen, die als zweite deutsche Einrichtung neben dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei an der Studie beteiligt war.

    Mit der Arbeit existiert nun erstmals ein globales Informationssystem mit hoher Auflösung über die Flüsse der Erde. Angesichts großer weltweiter Herausforderungen wie dem Klimawandel oder dem beschleunigten Aussterben von Arten soll diese Datenbasis helfen, Entscheidungen für einen weiteren Ausbau der Wasserkraft gegen den Erhalt besonders wertvoller Ökosysteme abzuwägen. Denn frei fließende Flüsse lassen global die Ökosysteme mit der größten Artenvielfalt und Dynamik entstehen, vergleichbar tropischen Regenwäldern und Korallenriffen, so die Forscher.

    Viele Kleinkraftwerke produzieren nur wenig Strom

    Zwölf Millionen Flusskilometer sind in der Untersuchung berücksichtigt. Auf dieser Strecke zählten die Forscher rund 2,8 Millionen Dämme, hinter denen Reservoire von mindestens tausend Quadratmetern Wasserfläche entstanden sind. „Das führt zur Fragmentierung des Flusslaufs und hat teilweise schwerwiegende Auswirkungen auf das ganze Flusssystem“, sagt Zarfl. Noch gar nicht in die Untersuchung eingegangen sind dabei ungezählte Kleinkraftwerke, die etwa gerade in Bayern die Hauptzahl der Anlagen ausmachen, aber nur relativ wenig der gesamten Energie aus Wasserkraft produzieren. Und die Energiegewinnung ist längst nicht der einzige menschengemachte Stressfaktor, der auf die Flüsse wirkt.

    Neben dem Stauen oder Umleiten von Flüssen zur Bewässerung in der Landwirtschaft sowie der Belastung mit Abwässern oder Düngemitteln ist es vor allem der Siedlungsdruck, der auf die Fließgewässer wirkt: Straßen und Städte in Gebieten, in die ein Fluss sich zuvor bei Hochwasser ausbreiten konnte, die jetzt aber baulich geschützt sind. Hinzu kommen der Wasserverbrauch und seine Wechselwirkungen mit dem Grundwasserspiegel. Um all diese Einflüsse in ihrer Typisierung fassen zu können, entwickelten die Forscher ein neues Modell zur Beurteilung des Zustands eines Flusses. Zentrale Größe darin ist die Vernetzung des Flusses mit seinem Überschwemmungsgebiet und dem Grundwasser sowie der Stoffaustausch mit den verbundenen Biotopen – die Forscher fassen diese Eigenschaften als Konnektivität des Flusses zusammen.

    Vier Dimensionen werden dabei berücksichtigt: in Fließrichtung, flussauf- und abwärts im Flussbett; über die Flussufer hinaus, zwischen dem Hauptbett des Flusses und der Aue; in vertikaler Richtung zwischen dem Grundwasser, dem Fluss und der Atmosphäre sowie in zeitlicher Abhängigkeit bedingt durch die Jahreszeiten. In der Zusammenschau bestimmen sie, welche Flüsse noch als frei fließend betrachtet werden können.

    Die Bedrohung der Flüsse durch die Wasserkraftnutzung bestätigen auch andere Studien. Jüngst berichtete ein Team um Emilio Moran von der Michigan State University in PNAS, dass bei geplanten Großkraftwerken an Mekong, Amazonas und Congo River viele der Fehler wiederholt würden, die bei der Realisierung ähnlicher Objekte bis in die 1970er Jahre in Nordamerika und Europa gemacht worden sind: überschätzen der Erlöse, unterschätzen der ökologischen und sozialen Folgen. Weil sie so schwer zu modernisieren sind, werden in Europa und Nordamerika mittlerweile mehr Großanlagen rückgebaut als neu gebaut.

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