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Linkin Park: Ein Jahr nach Chester Benningtons Selbstmord: So steht es um die Band

Linkin Park

Ein Jahr nach Chester Benningtons Selbstmord: So steht es um die Band

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    Mike Shinoda rappte und sang, spielte Gitarre und Keyboard an der Seite von Chester Bennington.
    Mike Shinoda rappte und sang, spielte Gitarre und Keyboard an der Seite von Chester Bennington. Foto: Warner

    Gerade ist „Post Traumatic“ erschienen, Ihr erstes Soloalbum, das sich mit dem Schock vor einem Jahr und den Folgen beschäftigt. Wann haben Sie beschlossen, Chesters Tod künstlerisch aufzuarbeiten?

    Mike Shinoda: Sehr bald. Mir war vollkommen klar, dass ich das tun musste. Für mich kam keine andere Option infrage, mich mit dem, was passiert ist, auseinanderzusetzen. Kunst war immer schon der Ort, an den ich ging, wenn ich Probleme hatte oder schwierige Situationen durchmachte.

    Ihr Leben lang?

    Shinoda: Ja. Beim Malen, Zeichnen und Songschreiben fühle ich mich sicher – in diese Welt habe ich mich bereits als Kind sehr gern geflüchtet. Für mich funktionierte diese Art des Eskapismus immer schon besser, als zum Beispiel einen Film zu gucken. Wenn du selbst etwas machst und kreativ bist, dann ist das ein wirklich wertvolles Ventil. Ich würde mir wünschen, dass sich alle Menschen zutrauen würden, etwas zu malen oder mit den eigenen Händen zu erschaffen. Du musst kein Rembrandt sein, um dich gut und stärker zu fühlen, nachdem du irgendetwas zu Papier gebracht hast.

    Haben Sie nach Chesters Selbstmord auch eine klassische Psychotherapie gemacht?

    Shinoda: Nein. Ich habe darüber nachgedacht, aber dann keinen professionellen Therapeuten besucht. Ich habe ein sehr gutes Netzwerk von Freunden, einige von ihnen sind tatsächlich Psychiater von Beruf, die haben mich natürlich unterstützt. Viele meiner Freunde sind sehr einfühlsam und klug und haben mir sehr geholfen.

    Können Sie Namen nennen?

    Shinoda: Zum Beispiel Rick Rubin. Er hat in seinem Leben alles gesehen, besitzt einen wundervollen Geist und hält sich in Gesprächen nicht mit Unsinn auf. Rick hat ein paar unserer Platten aufgenommen, er kannte Chester gut. Und er wusste natürlich, dass er lange schon unter Depressionen litt. Wir sprachen darüber, dass du den meisten Menschen mit schweren Depressionen ansehen kannst, wie extrem unwohl sie sich in ihrer eigenen Haut fühlen. Und dass es bei Chester eben nicht so war. Er kam ganz gut mit sich selbst zurecht. Chester hatte immer einen Draht zu seinem Inneren. Wir kamen zu der Einsicht, dass wir keine Antworten bekommen werden. Natürlich, auch ich frage mich „Warum?“. Aber niemand kann diese Frage beantworten. Ich gehörte zu den Menschen, die ihn sehr gut und sehr lange kannten, aber ich werde es nie verstehen.

    Bennington ging offen mit seiner Krankheit um

    Wenige Monate vor seinem Tod haben wir noch in Berlin über das damals neue Linkin-Park-Album „One More Light“ gesprochen. Chester war gut drauf, sehr reflektiert, und er sprach offen über seine Probleme, seinen Alkoholrückfall, seine Wut und seine seelischen Nöte.

    Der Suizid von Linkin-Park-Sänger Chester Bennington schockte Fans auf der ganzen Welt.
    Der Suizid von Linkin-Park-Sänger Chester Bennington schockte Fans auf der ganzen Welt. Foto: Maxim Zmeyev, afp

    Shinoda: Ich weiß. Er hat sich so sehr geöffnet, wie sich Menschen mit dieser Krankheit nur selten öffnen. Er zeigte sich so ehrlich und so verletzlich. Chester hatte seit vielen Jahren mit Süchten zu kämpfen, es war ein Auf und Ab. Während der Arbeit an „One More Light“ hatte er eine schlechte Phase, aber wir dachten, es ginge bergauf. Viele Menschen unterstützten ihn, viele haben ihn aber auch regelrecht fertig gemacht, weil sie nicht einverstanden waren mit den klanglichen Entscheidungen, die wir auf „One More Light“ getroffen hatten. Er war sauer, weil die Leute so widerlich zu ihm waren. Die Verrisse des Albums haben ihn sehr verletzt.

    Hatten Sie Angst um ihn?

    Shinoda: Wir haben immer versucht, so gut es geht, aufeinander aufzupassen. Im Hinterkopf ist die Sorge immer da, man schaut schon hin. Doch manches, was in einem Menschen vorgeht, bekommst du nicht zu Gesicht.

    Im Song „Place To Start“ hört man, wie Freunde auf den Anrufbeantworter sprechen, um sich nach Ihnen zu erkundigen.

    Shinoda: Ja, es haben sich unheimlich viele Menschen gemeldet. Die Fragen waren immer „Was ist passiert?“ und „Wie geht es dir?“ Wenn ein Familienmitglied oder enger Freund stirbt, dann erkundigt sich normalerweise ein enger Kreis nach dir. Wenn du in der Öffentlichkeit stehst und die ganze Welt Bescheid weiß, dann ist dieser Kreis ungleich größer. Ich habe diese Fragen also sehr, sehr oft beantwortet. Meist online. Ich konnte in den ersten Wochen das Haus so gut wie gar nicht verlassen.

    Warum nicht?

    Shinoda: Zum einen wollte ich Zeit für mich und meine Trauer haben. Und einmal ging ich Mittagessen, und es kamen die Paparazzi. Sie umstellten mein Auto und belagerten mich förmlich. Ich konnte nicht mehr weg, ohne die Leute mehr oder weniger umzufahren. Und dann dieses „Mike, erzähl’ mal“, „Mike, bist du traurig?“ Ich habe nur gesagt, dass sie sich schämen sollten und mich wochenlang daheim verkrochen.

    Die Trauer wirkt sich auch auf die Musik aus

    Die frühen Songs wie „Watching As I Fall“ und „Nothing Makes Sense Anymore“ sind viel düsterer und verzweifelter als jüngere Nummern, etwa „Lift Off“ oder das HipHop-Stück „About You“. Ist Ihnen das bewusst?

    Shinoda: Ja. Ich habe immer versucht, das Gefühl, das ich gerade hatte, in der Musik einzufangen. Die Phasen der Trauer kommen nicht immer in der klassischen Reihenfolge, sie passieren eher nach dem Zufallsprinzip. Aber grundsätzlich war mein Jahr eine Reise von einem sehr dunklen, traurigen Ort zu etwas Hellerem und Neuen. Chester lebt nicht mehr. Er war ein ganz besonderer Mensch mit einer der besten Stimmen unserer Zeit. Wir waren alle glücklich, ihn gekannt zu haben. Ich will nicht sagen, dass man sich damit abfinden muss, denn das schaffe ich nicht. Ich finde es immer noch unbegreiflich. Aber man muss irgendwie damit zurechtkommen.

    Wie wichtig ist Humor bei der Trauer?

    Shinoda: Viel wichtiger, als ich dachte. Wir saßen und sitzen oft zusammen, Chesters Frau Talinda, meine Frau Anna und ich. Manche Gespräche waren sehr düster, aber viele waren auch ziemlich lustig. Innerhalb dieses „Was machen wir eigentlich hier?“-Gefühls haben wir sehr viel zusammen gelacht. Chester konnte so witzig sein. Er war ein Mensch, der gern auf andere zuging. Er liebte es, sich mit wildfremden Leuten zu unterhalten.

    Ob und wie es mit dir und Linkin Park weitergeht, ist weiter unklar, oder?

    Shinoda: Ja. Wir haben keine Pläne. Ab und zu treffen wir uns zum Essen oder im Studio, wir machen dann auch Musik, aber nur für uns, ohne das Ziel, etwas zu veröffentlichen. Wir müssen uns noch an die Situation gewöhnen, eine neue Stabilität finden und neue Versionen von dem kreieren, was unser Leben war. Das braucht Zeit. Und egal, wie es mit Linkin Park weitergeht, als Gemeinschaft werden wir immer eng verbunden bleiben. Ich liebe diese Jungs, und ich glaube, sie lieben mich auch. Interview:

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