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Literatur: Katzen, Hunde, Wale...: Was uns Tiere in Büchern erzählen können

Literatur

Katzen, Hunde, Wale...: Was uns Tiere in Büchern erzählen können

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    Katze oder Kater sind gerne Hauptfiguren - von Michael Köhlmeier bis Walter Moers, von Hape Kerkeling bis Elke Heidenreich.
    Katze oder Kater sind gerne Hauptfiguren - von Michael Köhlmeier bis Walter Moers, von Hape Kerkeling bis Elke Heidenreich. Foto: stock.adobe.com

    Bei Ovid erscheint Obergott Zeus als Stier, bei Goethe tritt der Teufel als Pudel auf. Beim abgründigen Kafka verwandelt sich der existenziell hadernde Mensch in einen Käfer, beim heroischen Hemingway ist der Gegner des mit dem Tod ringenden alten Mannes eigentlich nicht das Meer, sondern ein Schwertfisch. Ein Wal ist in der Bibel für Jonas die Rettung, ein Wal ist bei Melville Ahabs Verhängnis.

    Seit Menschen Geschichten erzählen, um sich selbst, die Welt und alles andere darin zu bespiegeln, spielen Tiere immer tragende Rollen. Das ist vor allem klassisch in den freien Fantasien der Märchen so und macht Fabeln seit Äsop zu dem, was sie sind – das ist aber bis hin zu persönlichen Bekenntnissen Prominenter in Sachbüchern so.

    Hape Kerkelings Katze und der Hund von Denis Scheck

    Seit Wochen steht Hape Kerkeling mit seiner Katzenliebe in „Pfoten vom Tisch“ da ganz oben, und zumindest Erfolg verspricht nun auch „Der undogmatische Hund“ von Denis Scheck mit Ehefrau Christina, die ihrem Jack-Russell-Terrier huldigen – und, wie es sich für Buchkritiker gehört, dabei auch einen „caniden Kanon“ liefern, literarische Rollen des Hundes beleuchten also, von Virginia Woolf bis Thomas Mann, mit Tolkien, Stephen King, Paul Auster, Jack London… Die Karriere von Kollegin Elke Heidenreich wiederum hat mit den Geschichten um den Kater Nero Corleone in Italien überhaupt erst Fahrt aufgenommen, und von Italiens Maestro Andrea Camilleri erscheint nun posthum „Rendezvous mit Tieren“, in dem er erkundet: „Was sie uns erzählen können.“

    Damit gibt er auch für hier die Richtung vor – denn frei nach Günter Grass, für den „Der Butt“ ja ein sprechender Männerberater war, scheint das Verhältnis von Mensch und Tier unendlich: ein weites Feld.

    Holen wir uns also Rat bei zwei Experten. Der eine muss der Österreicher Michael Köhlmeier sein, denn der hat gerade nicht nur einen Roman mit einem Kater als Titelhelden vorgelegt – „Matou“ –, es wird darin das ganze Verhältnis von Mensch und Tier samt seiner literarischen Niederschläge mitbespiegelt. Matou, der in seinen sieben Leben zwischen Französischer Revolution und heute auch alle einschlägigen Werke gelesen hat, von Tiecks „Der gestiefelte Kater“ zu Kiplings „Das Dschungelbuch“, empört sich im Namen der Tiere geradezu darüber: „Wir sollen herhalten für Vergleiche mit euch!“

    Köhlmeier: "Ich schaue meine Frau an, als wäre sie eine Katze"

    Aber geht es wirklich darum? Warum also die Tierfiguren, Michael Köhlmeier? „Ich sehe unsere Katze an, sie setzt sich auf meinem Schreibtisch hinter meinen Laptop, sie drückt gegen den Bildschirm, ich drücke dagegen – sie ist mir so fremd und doch so nah. Fremd und nah – das ist eine gute Position beim Schreiben .“ Und dann? „Ich schaue meine Frau an, als wäre sie eine Katze, eine schöne Katze, und dann schaue ich unsere Katze an, als wäre sie eine Frau, eine schöne Frau. Stimmt das? Ich weiß nicht. Wer könnte mir beweisen, dass ich etwas Falsches sage, wenn ich so tue, als wäre ich Matou, der Kater? Meine Katze könnte mich tadeln. Die tut es nicht. Ich bin Schriftsteller geworden, weil die Einbildungskraft frei sein darf. Mehr Freiheit ist nicht möglich.“

    Aber was hat das mit dem Tier zu tun? Darüber wird Köhlmeier gleich sprechen. Aber zuvor zum zweiten Experten, einem ganz anderen. Walter Moers hat zwar im Roman „Der Schrecksenmeister“ auch einen Kater als Hauptfigur zum Sprechen gebracht – vor allem aber besteht seine ganze literarische Welt Zamonien aus Tieren, die teils sehr eng, teils sehr frei denen unserer Wirklichkeit entlehnt sind. Warum diese Figuren? Walter Moers, der übrigens ohne Haustier lebt: „Beim Schreiben kommen mir mehr Ideen, wenn ich meine menschliche Hülle ablegen und exotischere Identitäten annehmen kann, etwa von Tieren oder fantastischen Wesen. Das schützt auch vor der verbreiteten Berufskrankheit, zu viel von sich selbst zu reden. Außerdem kann ich Tiere besser zeichnen als Menschen. Da ich meine Geschichten selbst illustriere, spielt das eine wichtige Rolle.“

    Moers: "Tiere sind auch noch in ganz anderen Welten zu Hause"

    Konkreter. Im „Schrecksenmeister“ treten „Ledermäuse“ auf, die nicht nur sprechen können; Lesende können mit ihnen auch erleben, wie es ist, mit der Wahrnehmung einer Fledermaus durch die Nacht zu fliegen. In einem der berühmtesten philosophischen Aufsätze des 20. Jahrhunderts war das das Paradebeispiel für Fremdheit, Thomas Nagels „What is it like to be a bat?“ – wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Hier zeigt sich die Grenze menschlicher Erkenntnis, weil wir zwar erforschen können, wie die Tiere wahrnehmen, aber nie erfahren können, wie es sich anfühlt.

    Herr Moers? „Wenn man Tiere beobachtet, bemerkt man immer wieder, dass sie auch noch in anderen Welten zu Hause sind, die sich mit unserer nur an manchen Punkten überschneiden. Sie bewegen sich in Geruch- und Geräuschdimensionen oder Farbwelten, die uns größtenteils verschlossen sind. Man braucht nur einen Spaziergänger mit seinem Hund zu betrachten: Der Mensch trottet gedankenverloren vor sich hin und schenkt seiner Umwelt kaum Beachtung oder quasselt in sein Handy, während der Hund total aufgeregt auf Entdeckungsreise ist und am liebsten in alle Richtungen gleichzeitig rennen und sich ins Erdreich wühlen würde. Er erlebt offensichtlich viel mehr als der Mensch, selbst beim alltäglichen Gassigehen. Diese fremden Welten und Wahrnehmungen schreibend zu erforschen, finde ich immer noch interessant. Auf der Erde leben über acht Millionen Arten, daher wird mir der Stoff wahrscheinlich nicht so bald ausgehen. Der große Grottenolm-Roman ist noch ungeschrieben.“

    "Es tut gut, sich einzubilden, man wäre ein Tier"

    Nun aber: Wozu? Soll uns die Perspektive auch dem Tier verbundener machen, zu mehr Moral im Umgang führen, Herr Köhlmeier? „Was ein Buch aussagt, ist, was in dem Buch drinsteht. Wenn ich besonders schlau sein und dem Leser mit einer Geschichte etwas eintrichtern möchte – dann bin ich … Was bin ich dann? Ein Depp. Ein unsympathischer dazu. Ein Depp, weil ich mir so viel Mühe mache. Ich schreib doch nicht 950 Seiten für eine Aussage, die auf der Rückseite einer Visitenkarte Platz hätte. Und noch etwas – ein Idealzustand: Ich kann mir beim Schreiben alles einbilden, auch dass ein Stein eine Seele hat. Ich darf mir sogar einbilden zu wissen, was eine Seele ist. Also tut es gut, sich einzubilden, man wäre ein Tier.“

    Geht es also gar nicht um die Nähe zu wirklichen Tieren? Die von Walter Moers werden bald auch (Genaueres darf er noch nicht sagen) in Verfilmungen aus Hollywood zu erleben sein – wo die sogenannte CGI-Technik inzwischen ermöglicht, unsere Mitwesen in Perfektion zu animieren. Führt das nicht zu einem neuen Begegnen auf Augenhöhe, Herr Moers? „Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund der hyperrealistischen Tierdarstellungen in computeranimierten Filmen der letzten Zeit, wie etwa in Neuverfilmungen vom ‚Dschungelbuch‘ oder des ‚König der Löwen‘. Ich vermisse da die Abstraktion und die Karikatur, zwei der reizvollsten und wirksamsten Mittel des Animationsfilmes, auf die zugunsten des Realismus – ohne großen Gewinn – verzichtet wird. Ich finde das nicht besonders kreativ und meistens schon nach ein paar Filmminuten langweilig. Jede BBC-Tierdokumentation ist aufregender als fünf Millionen perfekt animierte Fellhaare. Dem Wesen der Tiere kommen wir durch CGI jedenfalls nicht näher, fürchte ich.“

    Trauriges mit Andrea Camilleri und T. C. Boyle

    Aber wollen wir das überhaupt in Tierfiguren? Siehe Köhlmeier und Moers: Gewinnt der Mensch durch sie nicht nur Freiheit für die Fantasie und den Blick auf sich selbst? Der Gang über die Grenze führte etwa bei T. C. Boyle zuletzt mit dem Schimpansen Sam in „Sprich mit mir“ zu einem traurigen Ende. Und Camilleri schreibt angesichts von Forschern, die sagen, im Jahr 2056 könnten die Gefühle und Gedanken von Tieren gelesen werden: „Wenn wir wirklich eines Tages erfahren sollten, was Tiere von uns denken, wird uns – da bin ich sicher – nichts anderes mehr übrig bleiben, als zutiefst beschämt von dieser Erde zu verschwinden… Ich werde zum Glück nicht mehr da sein.“

    Bis dahin bleibt es wohl wie mit den Geschichten von Gott und Teufel, in welcher Gestalt auch immer: Sie erzählen in all ihren Spiegelungen doch nur von unseren Ängsten und Zweifeln, unserer Liebe und Hoffnung. Matou regt das auf: „Was bildet ihr euch eigentlich ein!“ Man müsste ihm wohl antworten: Das geht dich überhaupt nichts an. Wir versuchen doch nur zu verstehen, was wir sind, weil wir nicht können, was wir mitunter neidvoll gerade euch andichten – einfach sein.

    Die Bücher

    - Michael Köhmeier: Matou. Hanser, 960 Seiten, 34 Euro - Walter Moers: Der Schrecksenmeister. Penguin, 400 Seiten, 26 Euro - Hape Kerkeling: Pfoten vom Tisch. Piper, 304 Seiten, 22 Euro - Denis Scheck und Christina Scheck: Der undogmatische Hund, Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 22 Euro - Andrea Camilieri: Rendezvous mit Tieren. Kindler, 176 Seiten, 22 Euro

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