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Foto: Andres Schwinn
Foto: Andres Schwinn

Das Bürgerhaus von Mohrenhausen ist ein Beispiel für ein echtes Sommermärchen.

Sommermärchen
26.08.2018

Wenn ein Dorf anpackt - so entsteht ein Sommermärchen

Von Denis Dworatschek

An vielen Projekten spielten Zugereiste eine entscheidende Rolle. Ein Soziologe klärt, welche Dynamik dahinter steckt.

In der Sommermärchen-Reihe sind viele interessante Geschichten zusammengekommen. Zum Beispiel hat ein Dorf Gelder für seine Kirche gesammelt, wodurch diese erhalten wurde. Impulsgeber war kein Einheimischer, sondern ein Zugereister. Auch in anderen Märchen waren Menschen von außerhalb Initiatoren oder aktiv dabei. Wie kann so etwas soziologisch erklärt werden?

Schmidt: Meinen Erfahrungen nach ist es eine Milieufrage. Menschen umgeben sich gerne mit Gleichgesinnten. In den politisch und ökologisch bewegten 1970er und 80er Jahren dachten viele: arbeiten in der Stadt, leben im Grünen. In Dörfern waren es aber zunächst oft die Traditionalisten, die den Ton angaben, zum Beispiel im Gemeinderat. Viele Neulinge regten aber vor Ort Projekte an.

War möglicherweise die Kirche oder der katholische Glaube dann ein wichtiges Bindeglied bei der obigen Geschichte?

Schmidt: Glaube und Kirche sind sicher oft etwas Verbindendes, das Unterschiede und Differenzen auf anderen Ebenen überbrücken kann. In meinen Forschungen bot die Kirchengemeinde vor Ort manchmal eine gemeinsame Plattform, um sich kennenzulernen und gemeinsam tätig zu werden. Zum Beispiel der Kirchenchor: Miteinander Gottesdienste mal anders zu gestalten, das fanden auch viele Einheimische gut. Da kommen die Leute eben zusammen. Anders sah das in meinen Studien beim Gemeinderat aus: Da gibt es viel mehr Punkte, bei denen Konflikte entstehen können und eher das Gegenteil geschieht.

Wie meinen Sie das?

Schmidt: In der von mir untersuchten Gemeinde ging es oft um Ökologie gegen Landwirtschaft. Muss da schon wieder eine Maschinenhalle in die schöne Landschaft gesetzt werden? Der Bauer muss wirtschaften, der andere nutzt die Landschaft vielleicht mehr zum Spazierengehen. Je nachdem schaue ich mit verschiedenen Augen auf denselben Lebensraum. Solche Fragen bieten viel Stoff für Konflikte. Da üben die Zugereisten mit ihren Vorstellungen, die sie manchmal auch sehr gut platzieren können – auch in der Presse –, natürlich auch Druck auf die Traditionalisten oder ortsansässigen Bauern aus.

Zugereiste rufen manchmal große Dinge ins Leben

In einer anderen Geschichte hat ein gebürtiger Saarländer, der schon viele Jahre in einem schwäbischen Dorf lebte, eine Ferienbetreuung für Kindergartenkinder ins Leben gerufen. Ist der Zugereiste irgendwann ein Einheimischer?

Schmidt: Diese Grenze ist nie so klar zu ziehen. Da reicht ein Seitenblick auf die Migrationsgeschichte oder die aktuelle Migrationsdebatte: Ab wann ist jemand integriert? Ab wann gehört er wirklich dazu? Das Beispiel mit dem Kindergarten zeigt aber, wie es zu anderen Verläufen von Projekten kommt. Zugereiste rufen vielleicht etwas ins Leben, weil es auch um ihre eigenen Interessen geht, wie das Kümmern um die eigenen Kinder. Dafür will ich mich einsetzen. Und wenn es gut läuft, holen sie damit auch andere ab. Es gibt fast immer auch solche vor Ort, die sowohl mit den Traditionalisten wie auch den Neuen gut können. Das sind oft Vermittler.

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Foto: Denis Dworatschek
Foto: Denis Dworatschek

Dr. Tobias Schmidt, 39, ist Soziologe an der Hochschule Augsburg. Seine Studie zu einem oberbayerischen Dorf ist erschienen unter dem Titel „Einheimische und Zugereiste“.

Funktionieren solche Projekte, weil die Zugereisten eine neue Perspektive haben? Werden solche Aktionen durch Neue erst angeregt?

Schmidt: Die Forschung legt schon nahe, dass der Anstoß zur Erneuerung oft von Zugereisten ausgeht. Raumpioniere sind da ein Stichwort. Das sind Leute, die von außen zuziehen und dann die Innovationskraft mitbringen. Die haben sie aber nicht einfach, weil sie neu sind. In meiner Studie hatten die auch meistens studiert. Und sie waren mit kreativen Köpfen, Wissenschaftlern und Fachleuten anderswo befreundet und gut vernetzt. Man sollte aber vorsichtig sein. In vielen Orten gehen neue Impulse freilich auch nicht von Zugereisten aus. Beispiele wären, wenn ein neuer Bewohner sich gerne künstlerisch ausleben möchte und vielleicht eine Galerie eröffnet, die mit dem Ort gar nicht viel zu tun hat und nur von Auswärtigen besucht wird. So was kann auch ins Negative umschwenken und abgrenzend wirken. Manchmal ist der Abstand zwischen dem Gewohnten und dem Neuen also zu weit.

Neue Ideen stoßen manchmal auf massiven Widerstand

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Schmidt: In einer Studie, die ich durchgeführt habe, wollte eine Frau den Gottesdienst radikal umgestalten. Sie hätte am liebsten Sofas in die Kirche gestellt. Da haben Leute aus dem Kirchengemeinderat gemeint: „Das geht uns zu schnell, du musst uns ein bissl mehr Zeit lassen mit deinen neumodischen Ideen.“

Ist das allgemeingültig?

Schmidt: Nicht immer funktioniert es, dass Zugereiste als Innovatoren wirken. Das kann man nicht pauschal für jeden Ort sagen. Es kann immer auch scheitern.

Woher kam die Idee zur Studie?

Schmidt: Zunächst war es eine Abschlussarbeit im Studium. Ich hab mich aber schon seit meiner Kindheit gefragt, warum eigentlich nicht alle gleich sein können – obwohl man doch im selben Ort wohnt. Auch wegen meinem eigenen kleinen „Migrationshintergrund“.

Der wäre?

Schmidt: Ich bin in einem Dorf bei Ingolstadt aufgewachsen und meine Eltern galten auch als zugezogen im Dorf.

Und zu welcher Gruppe gehören Sie? Noch zugereist oder schon einheimisch?

Schmidt: Ich fühlte mich eher als Wanderer zwischen den Welten. (lacht) Meine zwei besten Freunde waren aus dem Dorf, der eine vom Bauernhof, der andere aus einer Künstlerfamilie. Ich mochte beide, die konnten eher wenig miteinander anfangen. Nachmittags auf dem Bauernhof habe ich Dialekt gesprochen und abends bei den Eltern oder bei meinem anderen Freund halt nicht.

Der Dialekt ist nicht das Wichtigste für die Integration

Ist Dialekt dann auch ein Zugang?

Schmidt: Das spielt schon eine Rolle. Es ist vielleicht nicht entscheidend. Wichtiger ist, wenn man erkennt: Der interessiert sich für uns, der arbeitet was und meint es ernst. Auf lange Sicht sind solche Faktoren wichtiger als der Dialekt.

Wie sehr spielen Kinder eine Rolle?

Schmidt: Ich glaube, es geht darum, in Kontakt zu kommen. Über Kinder kommen Eltern oft in Kontakt. Über diese Brücke freundet man sich vielleicht an. Bringt die Kinder zum Verein, damit sie zusammen spielen können. Aber ähnlich wie Dialekt reicht das allein auf Dauer nicht.

Was verbindet dann?

Schmidt: Die gemeinsame Arbeit oder gemeinsame Erlebnisse verbinden. Ein Kindergartenausflug oder das Mithelfen im Verein. Auch wenn man zusammen etwas durchgestanden hat.

Wie ein Sommermärchen vielleicht?

Schmidt: Ganz richtig. Gemeinsame Erfolge. Wir haben ein tolles Fest oder einen tollen Ausflug organisiert, dann gibt es einen Erfahrungsschatz, den man teilt. So etwas schweißt zusammen.

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