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Wissenschaft: Unser Bild der Welt: Vom Götterhimmel zur Gottesformel

Wissenschaft

Unser Bild der Welt: Vom Götterhimmel zur Gottesformel

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    Roswell, US-Bundesstaat New Mexico: Wo einst ein Ufo abgestürzt sein soll, gibt es heute in der von Künstler Bryan Ward gestalteten Erlebniswelt einen Schwarzlicht-Spacewalk.
    Roswell, US-Bundesstaat New Mexico: Wo einst ein Ufo abgestürzt sein soll, gibt es heute in der von Künstler Bryan Ward gestalteten Erlebniswelt einen Schwarzlicht-Spacewalk. Foto: Bryan Smith, dpa

    Es ist, als schaue die Menschheit in einen Spiegel. Mehr noch: in den größten und spannendsten, den bedeutendsten und alles entblößenden Spiegel. Denn was immer der Mensch in seiner Geschichte sieht, wenn er den Blick vom festen Boden des irdischen Alltags hebt und zum Himmel, ins Universum richtet – es verrät mindestens so viel über ihn selbst.

    Auf welche Art meint er, die größten Rätsel seiner Existenz lösen zu können? Was glaubt er zu wissen und zu was macht ihn das selbst? Sind wir flüchtiger Sternenstaub? Sind wir Ebenbilder eines ewigen Schöpfers?

    „Die Grundmuster unseres Verhaltens sind dabei immer gleich geblieben“, sagt Rolf Heilmann, „Wir schauen zum Himmel, um zu erfahren, woher wir kamen und wohin wir gehen werden. Es war zwar immer Angst mit im Spiel – aber auch Hoffnung. Daran hat sich seit Jahrtausenden nichts geändert.“ Heilmann forschte früher selbst am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und lehrt heute als Professor in München Studenten und in Büchern Laien.

    Einst Angst vor der Sintflut, heute vor der Klimakrise

    Heilmann schreibt in „Der Himmel!“, seinem neuesten Werk: „Früher fürchtete man sich vor unheilvollen Himmelszeichen, die Schwefel- und Feuerregen oder eine neue Sintflut ankündigten. Heute sehen wir mit Bangen, wie sich die Atmosphäre immer mehr aufheizt. Seit Uhrzeiten verknüpfte man über die Astrologie menschliche Schicksale mit Gestirnen. In unseren Tagen suchen wir mit physikalischen Methoden in den Weiten des Weltalls Antworten auf die Fragen, wie alles entstanden ist und wohin wir uns entwickeln werden.“

    Aber ist der Fortschritt nicht eindeutig? Heilmann etwa schildert die Geschichte des hawaiianischen Vulkans Maua Kea: Während für Insulaner der 4200 Meter hohe Gipfel in der Nähe der Götter heilig ist, sehen Forscher in ihm den perfekten Standpunkt für 30-Meter-Spiegelteleskope für den forschenden Blick ins All. Allzu leicht wirkt das wie ein Konflikt um die „Zwischenstation“ zwischen Himmel und Erde von einer im Archaischen verharrenden, geradezu naiv anmutenden alten Kultur des Glaubens mit einer selbstbewusst technisch voranschreitenden modernen Kultur des Wissens.

    Aber unterschätze niemand die Faszination, wie vielfältig und kunstvoll die Menschheit den Götterhimmel ausgestaltet, belebt und ans eigene Schicksal geknüpft hat – und die Bedeutung einer eigenen Wahrhaftigkeit dieses Glaubens im lebenswirklichen Vollzug. Und allzu leicht erscheint im Fokus auf die „Expedition in die Welt über uns“ als reine Technik- und Pioniergeschichte als absolut selbstgewiss. Als führte der Weg zur Wahrheit nur über jenen Fortschritt.

    Die Frage nach Sinn kann die Physik nicht beantworten

    Immerhin offenbart er auch in diesem Buch allerlei spannende Erkenntnisse. Zum Beispiel: dass es jenen anfangs erwähnten festen Boden des irdischen Alltags gar nicht gibt – denn mit den Gezeiten wird dieser und wir mit ihm bis zu einem halben Meter angehoben. Oder dass rechnerisch das Verhalten der Himmelskörper in unserem Sonnensystem viel besser aufgehen würden, wenn da ein neunter Planet wäre, um einiges größer und schwerer als die Erde – aber bislang hat ihn niemand gefunden.

    Oder dass auch der große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant (klar: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“) über außerirdisches Leben schrieb und seine Existenz für wahrscheinlich hielt. Oder „dass die Netzstruktur des Universums offenbar verblüffende Ähnlichkeiten mit dem neuronalen Netz des menschlichen Gehirns zeigt“.

    Aber Heilmann weiß nicht nur: „Die Physik allein reicht oft nicht, um die Welt in ihrer Komplexität zu beschreiben. Letzte Fragen – insbesondere nach dem Sinn des Ganzen – bleiben offen.“ Er zeigt zudem, wie umfassend Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen bis heute sind, zum Beispiel durch die „dunkle Materie“ und die „dunkle Energie“, deren Existenz rechnerisch angenommen werden muss, um etwa die Expansion des Kosmos erklären zu können, „dass wir von 95 Prozent des ‚Inhalts‘ unseres Kosmos überhaupt noch nicht wissen, woraus er besteht!“.

    Starphysiker Michio Kaku und die Supersymmetrie in der elften Dimension

    Aber zugleich ist da das ebenfalls aktuell erschienene, neue Buch des prominentesten Physikers der Gegenwart, Michio Kaku, das als endgültigen Ersatz des alles erklärenden Götterhimmels schon im Titel nicht weniger als „Die Gottesformel“ verspricht. Als der Kandidat für die „Theorie von Allem“ erklärt der in New York forschende und lehrende Physiker die Stringtheorie, „die besagt, dass das Universum nicht aus punktförmigen Teilchen, sondern aus winzigen schwingenden Saiten (Strings) besteht, wobei jeder Ton einem subatomaren Teilchen entspricht“. Und weiter: „Die Chemie ist die Melodie, die man auf ihnen spielen kann. Das Universum ist eine Symphonie. Und der Geist Gottes (…) ist kosmische Musik, die durch die Raumzeit widerhallt.“

    Was Kaku hier so poetisch fasst, ist freilich eine hochkomplexe Theorie, an der die Vorstellung scheitert, wenn von „winzigen Gummiringen“ im elfdimensionalen Raum die Rede ist, aus denen sich statt eines Universums gleich Multiversen entfalten. Das hieße: „Vielleicht ist die dreidimensionale Welt, in der wir leben, nur ein Schatten der realen Welt, die eigentlich zehn- oder elfdimensional ist.“ Aber mathematisch lassen sich durch diese Theorie offenbar alle Probleme lösen, die etwa in Verbindung der Allgemeinen Relativitäts- mit der Quantenfeldtheorie bislang auftraten – und das noch in der Schönheit einer Supersymmetrie, die den Forscher schwärmen lässt: „eine Formel, aus der man im Prinzip sämtliche andere Gleichungen ableiten könnte, vom Urknall bis zum Ende des Universums. Es wäre das Endergebnis von 2000 Jahren wissenschaftlichen Bemühens, seit die Menschen der Antike fragte: Woraus besteht die Welt?“

    Das würde den Menschen nicht zum Sinn seines Lebens führen, aber in eine Zukunft des Lebens selbst abseits der Erde, die Kaku unweigerlich früher oder später für geboten hält. Es wäre der endgültige Aufbruch des Menschen in den Himmel. Aber erst wenn die wahren Prinzipien hinter der Stringtheorie erkennbar würden, ließe sich diese experimentell prüfen, und „vielleicht werden wir erst dann endgültig sagen können, ob es sich um eine Theorie von allem handelt oder eine Theorie von nichts“. Es gibt jedenfalls Streit unter Physikern und so manchen, der bei Kongressen sagt: Angesichts der Abenteuerlichkeit elfdimensional im Raum schwingender Gummiringe käme einem die Annahme eines dreifaltigen ewigen Schöpfergottes geradezu plausibel vor. So oder so: ein Wunder?

    Die Bücher

    - Rolf Heilmann: Der Himmel! Eine Expedition in die Welt über uns. Hirzel Verlag, 192 Seiten, 18 Euro - Michio Kaku: Die Gottesformel: Die Suche nach der Theorie von Allem. Rowohlt Verlag, 240 Seiten, 24 Euro

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