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Interview: Viola Davis: „Jede Frau trägt eine Kriegerin in sich“

Interview

Viola Davis: „Jede Frau trägt eine Kriegerin in sich“

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    Eindrucksvoll auf dem Filmplakat in Szene gesetzt: Hauptdarstellerin und zugleich Produzentin Viola Davis.
    Eindrucksvoll auf dem Filmplakat in Szene gesetzt: Hauptdarstellerin und zugleich Produzentin Viola Davis. Foto: Sony Pictures

    Ms. Davis, Ihr neuer Film „The Woman King“ erzählt eine größtenteils wahre Geschichte, die es noch nie auf der Leinwand zu sehen gab. Waren Sie mit den Agojie, der rein weiblichen Armee im Königreich Dahomey im 19. Jahrhundert, vertraut?

    Viola Davis: Ich hatte von den sogenannten Dahomey-Amazonen gehört, aber wirklich etwas gewusst habe ich über ihre Geschichte nicht. Für mich ist das Besondere an „The Woman King“ allerdings auch noch etwas anderes. Es ist so unglaublich wichtig für uns Schwarze Menschen, unsere eigenen Geschichten zu erzählen, damit nicht immer bloß reproduziert wird, was uns die von Weißen geprägten Geschichtsbücher vermitteln. Meine Karriere dauert mittlerweile 33 Jahre, und natürlich war ich in dieser Zeit an einigen wundervollen Projekten beteiligt. Aber sehr viel häufiger habe ich Rollen gespielt, bei denen ich keine Ahnung hatte, wer ich eigentlich sein soll. Weil niemand sich dafür interessierte, was diese Figur ausmacht oder welchen kulturellen Hintergrund sie hat. Ein Film wie „The Woman King“, wo es so dezidiert darum geht, afrikanisch und schwarz zu sein, ist so wichtig, weil es eine der wenigen Gelegenheiten ist, wo ich uneingeschränkt mich selbst als schwarze, sehr dunkelhäutige Frau einbringen kann, statt auf etwas reduziert zu werden, was andere in mir sehen.

    Sie haben schon häufig über die Heilsamkeit von Kunst gesprochen und eben die Relevanz, die eigene Identität repräsentiert zu sehen. Ist das Herstellen dieser Kunst, das Spielen solcher Rollen für Sie auch heilsam?

    Davis: Das ist eine fantastische Frage. Das Erste, was man als Schauspielerin ja lernt, ist eine Art Menschenflüsterer zu werden. Man begibt sich in das Leben einer anderen Person, und die erste Regel dabei ist, dass man diese Person so akzeptiert, wie sie ist, und nicht verurteilt. Selbst wenn das jemand ist, der eiskalt fünf Menschen erledigt und danach ungerührt zu Hause Süßkartoffeln kocht. Es ist meine Aufgabe, diese Person dem Publikum nahezubringen, und das geht nicht ohne Empathie und Mitgefühl. Und diese Emotionen und Erfahrungen nimmt man natürlich mit in sein eigenes Leben. Das verändert einen, man blickt anders auf die Welt und seine Mitmenschen. Das ist das Beste an diesem Beruf, ein echtes Geschenk. Und in der Tat heilsam.

    Viola Davis bei der Premiere von "The Woman King".
    Viola Davis bei der Premiere von "The Woman King". Foto: Chris Pizzello, dpa

    Die im Film gezeigte Welt existiert so nicht mehr. Was können wir trotzdem heute noch von den Agojie lernen?

    Davis: Ich denke, dass der Film Frauen auf der ganzen Welt zeigen kann, dass jede von uns eine Kriegerin in sich trägt. Wir alle haben die Kraft, nicht nur Drachen zu erschlagen, sondern auch gesellschaftliche Umstände und Lebenskonzepte, die für uns nicht oder nicht mehr funktionieren. Wir können auf die Macht der Freundschaft setzen, auf Zusammenhalt und Gemeinschaft, und gemeinsam mit denen kämpfen, denen es ähnlich geht. Und so können wir die Geschichte verändern. Das ist als Botschaft unverändert wichtig, denn viel zu oft wird uns gesagt, dass wir chancenlos sind, noch bevor wir mit dem Kampf überhaupt begonnen haben.

    Apropos kämpfen: Selten waren Sie in einem Film körperlich so gefordert wie hier, oder?

    Davis: Das können Sie wohl sagen. Das Training war unglaublich. Mehrere Monate lang haben wir fünf Tage die Woche trainiert: anderthalb Stunden Gewichtheben, drei Stunden Martial Arts, dazu Sprinten, der Umgang mit Speeren und Macheten, Nahkampf. Auch unsere Ernährung mussten wir umstellen. Es war unglaublich anstrengend, aber mir hat das auch erstaunlich viel Spaß gemacht.

    Sie sind auch als Produzentin verantwortet. Wie schwierig war es, diesen Film in der südafrikanischen Savanne umzusetzen?

    Davis: Was heißt schon schwierig? Als Schwarze Künstlerin ist alles, was ich tue, irgendwie schwierig. Es ist schon schwierig, verstanden zu werden. Es ist eine Herausforderung, meine Ideen und Wünsche so zu kommunizieren, dass ein Raum voller Menschen, die weder meine Hautfarbe noch meine Erfahrungen teilen, sie nachvollziehen können. Entsprechend war es schon schwierig, „The Woman King“ überhaupt auf die Beine zu stellen und finanziert zu bekommen. Das hat viele Jahre gedauert.

    Und der Dreh selbst?

    Davis: Natürlich waren das fünf Monate, die nicht unkompliziert waren. Mitten in der Natur, meist ohne Handy-Empfang, das ist nicht easy. Aber auch solche Erfahrungen können die Erfüllung eines Lebenstraums sein. Und wie Denzel Washington immer sagt: „Leichtigkeit ist manchmal eine größere Gefahr für den Fortschritt als Mühsal.“ Wenn’s zu problemlos läuft, muss man sich nicht beweisen und wird nicht auf die Probe gestellt. Sicherlich waren wir vom Wetter abhängig und hatten manchmal mit Schlangen und anderen Tieren zu tun. Aber das Ganze in einem Studio in Atlanta zu drehen, hätte ich viel schwieriger gefunden. So standen wir mit beiden Beinen auf dem echten roten Sand in KwaZulu-Natal und spürten die Seele Afrikas. Das machte nicht nur die Arbeit zu etwas Besonderem, sondern auch den fertigen Film.

    Hauptdarstellerin und Produzentin gleichzeitig zu sein, wird das nicht manchmal zu viel?

    Davis: Doch, wenn es zu den eigentlichen Dreharbeiten kommt, ist das zu viel. Wenn ich mich meiner Figur widme, muss die Produzentin in mir zwangsläufig in den Hintergrund treten. Was ja auch geht, schließlich bin ich nicht die einzige, die für den Film verantwortlich zeichnet. Ganz abschalten kann ich allerdings nie. Was wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass ich die längste Zeit in meinem Leben und meiner Karriere keine Stimme und kaum Chancen hatte. Deswegen rechne ich auch heute noch immer überall damit, auf mich aufmerksam machen zu müssen, zu kämpfen, um erhört zu werden. Ich habe ein feines Gespür für Ungerechtigkeiten und will auch als Produzentin immer dafür sorgen, dass jeder am Set gut behandelt wird und alles hat, um seinen oder ihren Job so gut wie möglich zu machen. Da kann es auch um Kleinigkeiten gehen. Als Produzentin geht es ja nicht nur darum, dafür zu kämpfen, dass man noch 500.000 Dollar mehr für ein paar Reitpferde ausgeben kann. Sondern auch darum, dass alle Statist:innen genug Wasser zu trinken bekommen.

    Letzte Frage noch mit Blick auf die Außergewöhnlichkeit von „The Woman King“: Welchen Stellenwert nimmt der Film Ihrer Meinung nach in der Kinogeschichte ein?

    Davis: Das müssen Sie andere fragen. Und vielleicht auch nicht schon jetzt, wo der Film gerade erst anläuft. Ich denke nicht an die Kinogeschichte, wenn ich ein solches Projekt stemme, sondern daran, einen tollen Film zu drehen. Allen Ausnahmekünstlern, die ich in meinem Leben bewundert habe – seien es Dramatiker wie Arthur Miller, August Wilson und Eugene O’Neill oder Regisseure wie Sydney Pollack oder Sidney Lumet –, wollten immer nur eines, nämlich etwas schaffen, wodurch sich die Menschen im Theater oder im Kino weniger allein fühlen. Darin liegt die wunderbare Kraft der Kunst. Mein einziges Problem mit diesen Männern, mit Ausnahme von Wilson, war immer, dass ich selbst nie Teil ihrer Geschichten war. Und genau das ist der Punkt, an dem ich heute als Künstlerin ansetze und etwas verändern möchte.

    Zur Person: Lange Jahre war Viola Davis aufgrund ihrer Hautfarbe auf kleine, austauschbare Rollen beschränkt, doch inzwischen ist es längst kein Geheimnis mehr, dass die 57-Jährige zu den größten Schauspielerinnen unserer Zeit gehört. Für „Fences“ wurde sie als beste Nebendarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet, dazu ist sie mit drei weiteren Nominierungen (zuletzt für „Ma Rainey’s Black Bottom“) die meist-nominierte schwarze Schauspielerin aller Zeiten. Einen Emmy für die Serie „How to Get Away With Murder“ und zwei Tonys für Broadway-Arbeiten kommen dazu. Am Donnerstag ist „The Woman King“ in den Kinos angelaufen, bereits ab 20. Oktober ist sie zudem als Amanda Waller wieder in der Comic-Verfilmung „Black Adam“ auf der Leinwand zu sehen. Davis wuchs als eine von zwei Töchtern in ärmlichen Verhältnissen in einem Städtchen ganz im Nord-Osten der USA auf, die Mutter Fabrikarbeiterin und engagiert in der Bürgerrechtsbewegung, der Vater Pferdepfleger und ein auch mal gewalttätiger Alkoholiker. An der High School entdeckte Viola die Schauspielerei für sich und studierte diese dann am College und der New Yorker Juilliard School. Ihr Karriere begann am Broadway. Davis ist seit bald 20 Jahren verheiratet mit dem Kollegen Julius Tennon, das Paar hat eine adoptierte Tochter.

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