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Wissenschaft: Wie fühlt sich der nahende Tod an?

Wissenschaft

Wie fühlt sich der nahende Tod an?

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    Sehen wir ein Licht am Ende eines Tunnels, den eigenen sterbenden Körper oder zieht das Leben noch einmal vor dem inneren Auge vorbei?
    Sehen wir ein Licht am Ende eines Tunnels, den eigenen sterbenden Körper oder zieht das Leben noch einmal vor dem inneren Auge vorbei? Foto: Gerhard Zwerger-Schoner (Symbolbild)

    Menschen, die dem Tod in buchstäblich letzter Sekunde von der Schippe gesprungen sind, berichten oft von erstaunlichen Nahtoderfahrungen. Eine Ursache dafür könnte ein im Augenblick des Sterbens hyperaktives Gehirn sein. Das legt zumindest die Studie eines US-Forschungsteams nahe, deren Ergebnisse im Fachblatt Proceedings der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht wurden. Ein weißes Licht am Ende des Tunnels, der eigene sterbende Körper von oben oder das Leben im Schnelldurchlauf: Derartige Erlebnisse werden immer wieder von Menschen berichtet, die etwa einen Herzstillstand überlebt haben. Über die wissenschaftliche Erklärung für solche Nahtoderfahrungen wird indes noch diskutiert. Nun liefert eine Studie unter Leitung von Hirnforscherin Jimo Borjigin von der University of Michigan Hinweise auf einen Aktivitätsschub, der mit dem Bewusstsein im sterbenden Gehirn korreliert.

    Bestimmte Hirnwellen zeigen auffällige Muster

    Bereits vor zehn Jahren hatte Borjigins Forschungsteam mit Versuchen an Ratten gezeigt, dass in den ersten 30 Sekunden nach einem Herzstillstand bei den Tieren auffällig synchrone Muster ganz bestimmter Hirnwellen messbar waren. Anhand der damaligen Studie schlossen die Wissenschaftler, dass das Gehirn im frühen Stadium des klinischen Todes zu gut organisierter elektrischer Aktivität fähig ist. In der neuen Arbeit berichtet das Team von ähnlichen Signaturen in den Gehirnen sterbender Menschen, die einen Herzstillstand erlitten. Konkret zeichneten die Forschenden bei vier komatösen, im Sterben liegenden Patienten die Hirnaktivitäten per Elektroenzephalografie (EEG) auf. Ein EEG macht die Hirnstromwellen sichtbar, die entstehen, wenn Neuronen über elektrische Impulse miteinander kommunizieren. Verschiedene Hirnstromwellen schwingen je nach Bewusstseinszustand in unterschiedlichen Frequenzbereichen: Die im Tiefschlaf besonders starken Delta-Wellen oszillieren beispielsweise mit einer Frequenz von ein bis drei Hertz pro Minute, während diese Frequenz bei den sehr schnellen Gamma-Wellen zwischen 25 und 140 Hertz liegt.

    Eben jene Gamma-Wellen zeigten zumindest bei zwei der Patienten auffällige Muster: Bei ihnen löste das Absetzen der Beatmungsgeräte einen vorübergehenden und umfassenden Anstieg der Gamma-Wellenaktivitäten aus sowie einen Anstieg der Herzfrequenz. Gamma-Oszillationen sind beim gesunden Hirn mit erhöhter Aufmerksamkeit und Konzentration, Informationsverarbeitung und dem Abrufen von Erinnerungen verbunden. Darüber hinaus sind sie beim Träumen und während tiefer Meditation messbar. Eine im vergangenen Jahr im Fachblatt Frontiers in Aging Neuroscience veröffentlichte Arbeit hatte anhand eines einzelnen Patienten, dessen Gehirnaktivitäten 15 Minuten rund um seinen Tod aufgenommen wurden, bereits von ähnlichen Hirnwellen-Mustern berichtet. Dieser Patient hatte nach einer Operation am Kopf plötzlich epileptische Anfälle gezeigt.

    Das Gehirn kann während eines Herzstillstandes aktiv sein

    Auch bei den zwei in der aktuellen Studie beschriebenen Patienten mit der angestiegenen Gamma-Wellenaktivität waren zuvor Anfälle aufgetreten, allerdings nicht in der Stunde vor ihrem Tod. Darüber hinaus wurden bei ihnen Aktivitäten in einem Bereich des Gehirns festgestellt, der bereits mit Träumen, visuellen Halluzinationen bei Epilepsie und veränderten Bewusstseinszuständen in Verbindung gebracht wurde. Insgesamt deute ihre Studie darauf hin, dass das menschliche Gehirn während eines Herzstillstandes aktiv sein kann, und lege den Grundstein für die weitere Erforschung des menschlichen Bewusstseins, fassen die Autorinnen zusammen. Angesichts der geringen Stichprobenzahl warnen sie indes davor, pauschale Aussagen über die Bedeutung der Ergebnisse zu machen. Zudem sei es unmöglich zu wissen, was die Patienten erlebten, da sie verstarben. Im Forschungspapier heißt es dazu: „Wir können nicht ausschließen, dass der Anstieg der Gammawerte ein Zeichen für einen pathologischen Prozess ist, der nur in der Sterbephase auftritt und nichts mit der bewussten Verarbeitung zu tun hat."

    Tatsächlich führt der durch den Tod einsetzende Sauerstoffmangel zu einer ganzen Reihe von Veränderungen im Gehirn, die es schwer erscheinen lassen, Zeichen von Bewusstsein klar zu erkennen: Steht der Blutkreislauf still, stellt das Gehirn die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ein, bestimmte Rhythmen in der Hirnelektrik verschieben sich, die Zellen haben noch einmal einen elektrischen Output in Form einer sich ausbreitenden Entladungswelle. (Alice Lanzke, dpa)

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