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Krisenzeiten: Herbst trifft Energiekrise: Hallo, Dunkeldeutschland!

Krisenzeiten

Herbst trifft Energiekrise: Hallo, Dunkeldeutschland!

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    In sogenannten normalen Zeiten sieht man hier den Kölner Dom und die Rheinbrücken stimmungsvoll beleuchtet – nur befinden wir uns derzeit eben auch hier offenkundig nicht in solchen.
    In sogenannten normalen Zeiten sieht man hier den Kölner Dom und die Rheinbrücken stimmungsvoll beleuchtet – nur befinden wir uns derzeit eben auch hier offenkundig nicht in solchen. Foto: Roberto Pfeil, dpa

    Dunkel war’s, der Mond schien helle, frierend schwitzte alle Flur, als dies Land so blitzeschnelle langsam in die Krise fuhr. Drinnen saßen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft …

    Aber halt, nein, nein, nein, nein, nein, nein: Sind das, ob nun mit Doppelwumms oder Piff und Paff, etwa Zeiten, in denen Witzgedichte auf den Zustand unserer Heimat umgewidmet werden sollten? Als stünden nicht alle Zeichen auf ein Ende der Spaßgesellschaft! Vor kurzem, ja, da wirkten auch noch die vorauseilenden Selbstverdunkelungen etwa in Augsburg am Rathaus oder in Köln an Dom und Rheinbrücken erhaben wie moralische Fackeln, in ihrer Schwärze blendend, lodernd geradezu, wie sie da als bloße Konturen aus all dem Alltags- und Konsumgelichter herausragten, in viel höherem Sinne plötzlich Wahrzeichen. Die Fortsetzung von Christos Verhüllungen mit anderen Mitteln quasi, und zum bloß ästethischen auch noch ein ethischer Kitzel dazu.

    Was hat Marx zur Energiekrise zu sagen?

    Inzwischen aber hat auch dieser je nur ein paar Euro pro Nacht bringende Spaß ein Loch. Denn mit dem Herbst schwindet ja auch das andere Licht und damit die erhellenden Kontraste. Die Dämmerung bricht immer früher herein, manche Tage bleiben ganz in Grauschleiern verborgen, mitunter schluckt Nebel, ob er aus dem Boden steigt oder sich vom Himmel senkt alle Farben – und in der Nacht dürfen nicht mal mehr die Verheißungen des Kapitalismus die Innenstädte beflackern, bestrahlen, beseelen.

    Die neuen Beleuchtungsverordnungen zur Energieknappheitsvorsorge entfalten ihre Wirkung. Angeordnete Verdunkelung, ein Begriff aus Kriegszeiten, als sich Städte unsichtbar machen wollten. Ein Witzgedicht ist da höchstens mit dem Hinweis auf den alten Hegelianer Marx zu entschuldigen, nach dem sich (siehe „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“) Geschichte eben doch wiederholt: „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“

    Zurück zu den heruntergedimmten Städten

    Und so kehren in einem längeren historischen Bogen die heruntergedimmten Städte zurück, einst am Rande der Existenz und in der Angst vor Vernichtung, nun mitten drin in der multimedialen Wohlstands- und Selbstoptimierungsgesellschaft, in der selbst der Traum vom Paradies erfüllbar scheint. Bloß als virtuelles Ersatzleben leider auch eine Frage der Datenübertragung und damit des Energieverbrauchs, siehe Metaverse, siehe Second Life, siehe die Seiten zuvor. In einem kürzeren Bogen wendet sich ein ideologisch gegen den nach stumpf rechts tendierenden Osten geprägter Begriff nun mit ironischer Spitze zum an die Vernunft aller appellierenden Bundesregierungspragmatismus: Hallo, Dunkeldeutschland!

    So wenigstens (wieder)vereint? Eher nein, denn beäugt wird nun, ob nicht gerade dagegen die eigentlich DDR-Leiderprobten und doch zugleich Russland-Näheren von (ehemals) Drüben nun ihr Bürgerrecht fordern: auf heimisches Licht im Weltendunkel, aufs warme Nest in der Krisenkälte. So besehen könnten diese Zeiten gleich doppelt trostlos wirken. Weil es immer ist wie beim Menschen, der nicht unmittelbar in seiner Existenz bedroht ist: Wie relativ klein das Leiden auch sei, er ist jederzeit in der Lage, es zu verdoppeln durch das Bewusstsein, das er davon hat. Was soll da am Ende des Tunnels kommen? Licht?

    Wird der Nachbar zum Lichtprotz? Einfach weil er es (sich leisten) kann?

    Zweierlei Perspektive wie im Fall der Corona-Maßnahmen immerhin. Wenn sich angesichts der Krise der Mensch in seinem Gewese zurücknimmt, profitiert sofort das Gegenüber, das man Natur nennt. Hier etwa durch weniger an sogenannter Lichtverschmutzung, die Orientierung und Rhythmen nicht nur der Tierwelt beeinträchtigt. Und im verordneten allgemeinen Weniger könnte auch der private Mensch selbst ein eigentliches Mehr entdecken. Besinnung auf das Wesentliche. Wie in der Pandemie bleibt das freilich die Romantik Besserverdienender, solange es keine gesellschaftliche Umverteilung nach Notwendigkeit gibt.

    Aber bitte: Wie sollten sonst noch Gleichungen der „sozialen Markt“-Wirtschaft aufgehen? Tritt in der Nachbarschaft bald neu in Erscheinung: der Lichtprotz, der Garten wie Fassade Tag und Nacht bestrahlt, einfach, weil er (es sich leisten) kann? Und will der Stasi-Spitzel von nebenan ihn an die Energiepolizei verpetzen? Sollen Ordnungsämter im Namen der Vernunft in Stadt und Land patrouillieren? Otto Neurath schrieb vor 90 Jahren über den modernen Menschen: „Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen oder aus besten Bestandteilen neu errichten können.“ Jetzt auch noch im Dunklen? Im aufziehenden Sturm, bei aufbrausender See?

    Trost bietet allein, dass in so verdunkelten und zusehends kälteren Innenstädten die Gastronomie immer mehr eine letzte Herbergswirkung entfalten. Drinnen, in der Wärme, an der Theke, ob stehend oder sitzend, jedenfalls zusammenfinden, schweigend ins Gespräch vertieft …

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