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Jubiläum: Ins Jenseits an der Hand von Dante

Jubiläum

Ins Jenseits an der Hand von Dante

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    Gustave Doré schuf einen Zyklus von Grafiken zu Dantes „Göttlicher Komödie“ – hier Dante, von Vergil begleitet, beim Gang in die Unterwelt. Unten die Büste des Dichters in Florenz.
    Gustave Doré schuf einen Zyklus von Grafiken zu Dantes „Göttlicher Komödie“ – hier Dante, von Vergil begleitet, beim Gang in die Unterwelt. Unten die Büste des Dichters in Florenz.

    Die Frauen, so hat es Giovanni Boccaccio uns Nachgeborenen hinterbracht, die Frauen hätten beim Anblick des Dichters Dante Alighieri auf der Straße getuschelt, da komme der, der Zutritt zu der Hölle habe, so dunkel, wie der Teint seines Gesichtes sei – geschwärzt ganz offenbar vom Ruß jener Unterwelt, in der das Feuer die verstorbenen Sünder peinigt. Wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote des Dante-Zeitgenossen und „Decamerone“-Verfassers Boccaccio über seinen Dichter-Kollegen auch immer zu bewerten sein mag, illustriert er doch aufs Schönste, was die Faszination Dantes über viele Jahrhunderte hinweg ausmacht: Die unerhört bildmächtige Beschreibung jener Sphären, über die zumindest der gläubige Mensch sich zwar seine Gedanken macht, derer ansichtig er jedoch erst nach seinem Tode wird – das Jenseits.

    Die Schilderung der Hölle und ihrer Qualen, auf welche der Dichter die Darstellung der Gefilde der Läuterung und schließlich den Aufstieg zum Paradies mit der verheißenen Ansicht Gottes folgen lässt, ist Gegenstand von Dantes Hauptwerk, der „Göttlichen Komödie“. Ein Werk, das ihn nicht nur zum Nationaldichter Italiens gemacht und sein Konterfei – mit Adlernase unter Lorbeerkranz und Lederkappe – auf Olivenöl und Zwei-Euro-Münzen aufgeprägt hat, sondern das auch in so gut wie alle Literatursprachen der Welt übertragen wurde. Eine dreiteilige Dichtung von 100 „Gesängen“ mit insgesamt über 14233 Versen, die trotz der mittlerweile beträchtlichen historischen Ferne auch in der heutigen, weit mehr auf das Dies- als auf das Jenseits ausgerichteten Welt nach wie vor in Bann zu ziehen vermag.

    Die Vaterstadt jagte ihn davon

    Wer ist dieser Dante, der vor 700 Jahren, am 14. September 1321, gestorben ist? Dass sein Ableben in Ravenna erfolgte und er dort auch begraben ist, wurmt seine Vaterstadt Florenz, wo er im Frühjahr 1265 zur Welt kam, bis auf den heutigen Tag. Doch die Vaterstadt trägt selber Schuld daran. Dante, dem niederen Adel entstammend und früh dichterisch tätig, war im Florentiner Rat politisch tätig, wählte im damals schwelenden Streit zwischen Kaiserlichen und Papstanhängern jedoch die falsche Partei und wurde, als die Papstanhänger die Macht errangen, 1302 aus der Stadt verbannt. Florenz sah er nie wieder, die verbleibenden Jahre seines Lebens verbrachte er überwiegend in Verona und zuletzt in Ravenna. In diesen knapp zwei Jahrzehnten entstand die „Komödie“.

    Das Epos spiegelt die Krise, in die Dante geraten war. Und das nicht nur in übertragenem, sondern auch in buchstäblichem Sinn, denn Dante tritt dort selbst auf, er ist der Wanderer, der als Lebender die drei Jenseitsreiche durchschreitet. „Nel mezzo del cammin di nostra vita“, „Mittwegs auf unsres Lebens Reise …“, so hebt das Dante-Ich mit der Erzählung an, um fortzufahren (in der Übersetzung von Friedrich von Falkenhausen): „ …fand / In finstren Waldes Nacht ich mich verschlagen, / Weil mir die Spur vom graden Wege schwand.“ In dieser aussichtslos scheinenden Lage begegnet Dante der römische Dichter Vergil, der ihn fortan durch das Inferno führt, jene neun immer enger werden Kreise der Hölle, in den allerhand Missetäter, Mörder und Ehebrecher, Räuber und Verräter, mythische und reale Figuren ihre Strafen verbüßen, indem sie von der Schar der Teufel malträtiert werden.

    Das Dante-Denkmal in Florenz.
    Das Dante-Denkmal in Florenz. Foto: Stock.adobe.com

    Dann, jenseits des tiefsten Kreises, geht es spiegelbildlich im „Purgatorium“ den Läuterungsberg hinauf, diesmal unter Führung der früh verstorbenen Beatrice, einer Jugendflamme Dantes, und erneut begegnet der Jenseitsfahrer einer ganzen Reihe von Gestalten, die ihm ihre Geschichte erzählen, diesmal jedoch in Aussicht göttlicher Vergebung. Und so steigt Dante schließlich weiter durch die Stufen des „Paradieses“, um ganz oben angelangt das göttliche Licht zu erblicken.

    Schon Dantes Zeitgenossen erkannten und bewunderten, dass in der „Comedia“ – das Beiwort „Divina/Göttlich“ stammt nicht vom Autor selbst, wurde erst posthum hinzugefügt – mehr als nur die christliche Jenseitsvorstellung ins Bild gefasst wurde, dass hier vielmehr religiöse, philosophische, ethische und moralische Vorstellungen zu einem sehr eigenen und zugleich tragfähigen Konstrukt zusammenfinden. Eine Eigenschaft, die es der „Göttlichen Komödie“ im Lauf ihrer Verbreitung ermöglichte, auch für gänzlich andere und keineswegs nur christlich-religiöse Konzepte anpassungsfähig zu sein – und zugleich Voraussetzung ist für stets sich erneuernde Aktualität.

    Die Sprache des Volkes wurde zur Sprache der Literatur

    Bedeutsam ist das Hauptwerk Dantes aber auch in literarisch-sprachlicher Hinsicht. Denn verfasst ist es nicht in der damals gebotenen Sprache für gehobene Themen, dem Latein. Der Florentiner Dichter hat vielmehr ein dem Alltagsgebrauch entstammendes Toskanisch verwendet, worüber die Renaissance-Humanisten noch lange die Nase rümpften. Umsonst, denn Dantes volgare, die Sprache des Volkes, wurde stilbildend für die Dichtung seines Landes, ja für die italienische Sprache überhaupt.

    Die zunächst ganz und gar ungewöhnliche Sprachwahl verhinderte auch nicht, dass die „Göttliche Komödie“ schon bald außerhalb der italienischen Städte gelesen wurde. Man behalf sich mit Übersetzungen, kurioser wie naheliegender Weise erst einmal in Latein – die Göttinger Romanistin Franziska Meier hat gerade in „Besuch in der Hölle“, einer aspektreichen Rezeptionsgeschichte der „Komödie“, diese Vermittlungspfade nachgezeichnet.

    Dante - in der Bootsmitte links neben Vergil - setzt über ins Reich der Toten. Illustration von Gustave Doré..
    Dante - in der Bootsmitte links neben Vergil - setzt über ins Reich der Toten. Illustration von Gustave Doré.. Foto: Stock.adobe.com

    Dass Dantes Schilderungen, ob nun von Höllentorturen oder von göttlichem Licht, so ungemein assoziationsstark waren, hatte und hat Auswirkungen auf vielerlei Künste, nicht zuletzt die Bildenden. Der Renaissance-Maler Sandro Botticelli widmete dem Epos einen Zyklus von Zeichnungen; noch nachhaltigeren Einfluss entfaltete der Franzose Gustave Doré im 19. Jahrhundert mit seiner Folge von Stichen zur „Göttlichen Komödie“. In der Dichtkunst fand Dante gerade im 20. Jahrhundert starken Widerhall, nicht so sehr durch moderne Jenseitsfahrten als durch eine Vielzahl von Reverenzen. Die Nähe des Dante’schen Infernos zu den Lagern totalitärer Regime schien zudem naheliegend, und der Auschwitz-Überlebende Primo Levi beispielsweise spricht in seinem Erfahrungsbericht „Ist das ein Mensch?“ mehrfach von Dante. Dagegen hat Martin Walser als Beobachter der Frankfurter Auschwitz-Prozesse auf die Problematik aufmerksam gemacht, als Außenstehender die Leiden der Holocaust-Opfer durch Parallelsetzung mit dantesken Höllenbeschreibung erfahrbar machen zu wollen – ein vergeblicher Versuch, wie Walser meinte.

    Manchen gilt er mittlerweile als Rassist

    Die globale Gültigkeit von Dantes „Weltliteratur“ steht heute nicht mehr auf solch felsenfestem Grund wie noch im 19. Jahrhundert, als die europäische Romantik den Dichter und seine „Komödie“ vergötterte. Mancher Dante-Leser aus postkolonialer Kultur beklagt, in dem Gedicht schlichtweg nicht vorzukommen. Andere gehen noch weiter und halten dem Verfasser Islamophobie und Rassismus vor, weil er im „Inferno“ den Propheten Mohammed schlimme Pein für seine Religionsabspaltung erleiden lässt.

    Und doch ist das nur die eine Seite heutiger Wahrnehmung. Mangas und Computerspiele mit Bezug auf den Dichter und die „Göttliche Komödie“ zeigen, dass beide inzwischen sogar in der Popkultur Wurzeln zu schlagen vermögen. Der Weg Dantes und seines „Jahrtausendbuchs“ (Franziska Meier) wird auch im 21. Jahrhundert nicht an ein Ende kommen.

    Tipps zum Lesen von Dante

    Die „Göttliche Komödie“ ist vielfach ins Deutsche übersetzt worden. Mal in metrisch gebundener bzw. gereimter Form – Dante schieb in Terzinen, in Kettenreimen nach dem Muster aba, bcb, cdc …, mal in Prosa. Empfehlenswerte Übertragungen der „Komödie“ aus jüngerer Zeit sind diejenigen von Hartmut Köhler (bei Reclam) sowie die Prosaübersetzung von Kurt Flasch (Fischer Taschenbuch). Beide Ausgaben verfügen über einen ausgezeichneten Kommentar.

    Franziska Meiers Rezeptionsgeschichte der „Göttlichen Komödie“ ist unter dem Titel „Besuch in der Hölle“ bei C.H.Beck erhältlich. Hier auch, von derselben Autorin, der knapp gehaltene Band „Dantes Göttliche Komödie – Eine Einführung“.

    Giovanni Boccaccios „Büchlein zum Lob Dantes“, die wohl erste Biografie von Dante überhaupt (geschrieben um 1350), ist in einer Neuübersetzung im Verlag Das kulturelle Gedächtnis erschienen.

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