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Dokumentation: Kinder, die Mörder werden sollen

Dokumentation

Kinder, die Mörder werden sollen

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    Kinder, die Mörder werden sollen
    Kinder, die Mörder werden sollen

    Ganz vorsichtig hält der Junge den kleinen Vogel in der Hand, streicht ihm sacht über das Gefieder und trägt ihn aus dem Zimmer. In der nächsten Szene fragt ihn der Vater, was mit dem Vogel geschehen sei. Der Sohn erzählt, dass der Bruder ihn geschlachtet habe: „Er hat den Kopf heruntergedrückt, und abgeschlagen, genauso wie du das mit dem Mann gemacht hast.“ Fast nebenbei sagt der 13-jährige Osama diesen Satz zu seinem Vater Abu Osama, einem Rebellenführer der Al-Nusra-Brigaden. Es ist eine der erschütterndsten Szenen des Films „Of Fathers and Sons“, denn sie zeigt, wie das Töten für einen 13-Jährigen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Und wie die väterlichen Vorbilder in einer patriarchalischen Gesellschaft Gewalt legitimieren. „Radikalisierung ist eine Frage der Erziehung und der Bildung“ sagt Talal Derki, der Regisseur dieses Filmes, der mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden ist und für einen Oscar in der Sparte Dokumentarfilm nominiert war.

    „Ich wollte Gewalt darstellen, ohne die Gewalt zu zeigen“, sagt Derki. „Es geht mir nicht um den Krieg, sondern die Erziehung dazu – woher Gewalt kommt und wohin sie führt.“ Der 41-Jährige, geboren in Damaskus, lebt seit 2014 mit seiner Frau und seinem sechsjährigen Sohn in Berlin. Derzeit ist Derki quer durch Deutschland unterwegs, um seinen Film, der ab heute in den Kinos läuft, vorzustellen. Wie brisant dieser ist, zeigen die Morddrohungen, die er erhalten hat. „Der Oscar hat eine Menge Lärm gemacht.“ So sitzen im Café des Augsburger Liliom-Kinos während des Besuchs des Regisseurs zwei Polizisten in Zivil und mehrere Streifenwagen patrouillieren in den Straßen. Der Film gibt Einblick in eine Welt, die bisher verborgen blieb.

    Im Auto salafistische Lieder mitsingen

    Mit einigen Unterbrechungen verbrachte Derki fast zwei Jahre lang in der Großfamilie des Rebellenführers Abu Osama im Norden Syriens. Er gibt sich als Kriegsreporter und Sympathisant der Dschihadisten aus und erwirbt das Vertrauen eines Mannes, der annimmt, dass er einen Kriegspropagandafilm dreht. Er begleitet Abu Osama mit einem Kameramann rund 300 Tage lang, beobachtet ihn, wie er aus dem Hinterhalt auf Menschen schießt, wie er Minen entschärft und Bomben baut, wie er im Auto salafistische Propagandalieder aus dem Radio mitsingt und Sätze sagt wie diesen: „Gottes Anhänger werden euch zertreten, egal, wie lange es dauert.“

    Die islamistische Ideologie steht für ihn über allem – auch über seiner Familie. Derki zeigt ihn als zärtlichen Vater, der mit seinen Söhnen kuschelt und fürsorglich mit ihnen umgeht. Gleichzeitig erzieht er sie zu „Gotteskriegern“, ist dankbar, dass sein Ältester genau am 11. September 2001, dem Tag der Anschläge auf das World Trade Center, zur Welt kam und gibt ihm den Namen des Al-Kaida-Führers.

    Die verheerende Wirkung der patriarchalen Strukturen

    „Of Fathers and Sons“ zeigt, wie die beiden ältesten Söhne, der 13-jährige Osama und sein ein Jahr jüngerer Bruder Ayman, in einem dschihadistischen Trainingscamp zu Kämpfern herangezogen werden. Während Osama sich dort zum Vorzeigekämpfer entwickelt, geht Ayman lieber wieder zurück und besucht die Schule. „Er war derjenige der beiden Brüder, der viel mit seiner Mutter zusammen war“, erzählt Talal Derki im Gespräch und unterstreicht damit seine Ansicht über die verheerende Wirkung der patriarchalen Strukturen. Frauen sind in seinem Film nicht zu sehen. „Es wurde uns verboten, ihnen zu begegnen.“ Bildung und die Achtung der Rechte von Frauen und Kindern sind in Derkis Augen wirksamere Mittel im Kampf gegen radikale Kräfte als Waffen und Soldaten.

    Die Idee zu „Of Fathers and Sons“ kam Talal Derki, als er einen Vater kennenlernte, der seinem Sohn beibrachte, wie man mit Waffen umgeht und Menschen tötet. „Das fand ich so ungeheuerlich, dass ich darüber einen Film drehen wollte.“ Als er Abu Osama das erste Mal gesehen habe, habe er sofort gewusst, dass dieser sein idealer Protagonist sei. Charismatisch sei er, nicht das Klischee eines finsteren Islamisten, „aber wenn man ihm in die Augen sieht und wenn er vom Weltuntergang spricht, sieht man den Wahnsinn“. Er selbst habe immer noch Albträume, wenn er an ihn und die Zeit mit ihm denke. Doch für Osama sieht er eine Chance: Sein Vater ist im vergangenen Oktober bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen und er ist mittlerweile nicht mehr im Scharia-Camp. „Auch wenn er jetzt Waise ist, ist er freier geworden.“

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