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Kindergedichte: Kinder, was für eine fantastische Lyrik!

Kindergedichte

Kinder, was für eine fantastische Lyrik!

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    Ausschnitt aus Josef Guggenmos’ Gedicht „Nacht in der Wildnis“, illustriert von Nikolaus Heidelbach.
    Ausschnitt aus Josef Guggenmos’ Gedicht „Nacht in der Wildnis“, illustriert von Nikolaus Heidelbach. Foto: Nikolaus Heidelbach/Beltz & Gelberg

    „Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen, der hebt sie auf, der trägt sie nach Haus und der Kleine isst sie alle, alle auf.“ Wer behauptet, mit Lyrik nichts am Hut zu haben, vergisst, wie ihn schon als Kleinkind Abzählreime wie dieser zum Lachen brachten, welch höllischen Spaß man dabei hatte, Buchstaben und Worte zu verdrehen, Unsinnsreime zu bilden und Sprachschöpfungen zu kreieren.

    Ja, im Grunde genommen ist schon das erste Brabbeln und Plappern ein Ausprobieren und Ausloten, wie Sprache funktioniert. „Alle Menschen kommen ja schon als Dichter auf die Welt“, hat Robert Gernhart einmal in einer seiner Poetikvorlesungen behauptet und damit auf das kindliche Gespür für den Rhythmus der Sprache angespielt. Dennoch finden sich Anthologien mit Kindergedichten nie in den Bestsellerlisten, führt die Kinderlyrik in den Regalen der Buchläden ein Schattendasein. Kindergedichte werden ins Schulbuch abgedrängt, wo sie eher für Verdruss als für Vergnügen sorgen und beim Erwachsenen später Erinnerungen an langweilige Schulstunden wachrufen.

    Kinderlyriker Josef Guggenmos: Das Dichter-Vorbild aus Irsee

    Dem aus Irsee im Allgäu stammenden Kinderlyriker Josef Guggenmos (1922–2003) ergeht es so. Kein Deutschbuch ohne eines seiner Gedichte. Dabei ist Guggenmos einer der Begründer einer modernen Kinderlyrik, die ihren erbaulichen und betulichen Ton abgelegt hat. Das machte jetzt eine Tagung der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Kloster Irsee deutlich, die sich der Bedeutung der Kinderlyrik widmete.

    „Josef Guggenmos hat das Geschwätz aus dem Kindergedicht vertrieben“, stellte dabei der emeritierte Literaturwissenschaftler Hans-Heino Ewers dar. Dieses Verdienst stehe in engem Zusammenhang zu dem Selbstverständnis, das der Allgäuer Dichter von sich als Kinderlyriker gehabt habe. „Ein solcher ist Guggenmos nicht deshalb, weil er Gedichte für Kinder verfasst, sondern allein deshalb, weil er in Kindern ein Publikum sieht, das er in besonderer Weise für geeignet hält, am eigenen lyrischen Erleben von Ich und Welt, von Umwelt und Natur teilzuhaben.“

    Kein Dichter also, der sich zu den Kindern herab beugt, aber trotzdem einer, der auf Augenhöhe zu ihnen spricht. Alles andere sei für Guggenmos „Mache“ gewesen, wie er es selbst im Vorwort zu seiner vielfach ausgezeichneten Sammlung „Was denkt die Maus am Donnerstag“ ausgeführt hat. Für Hans-Heino Ewers zeigt sich dieses Verständnis in Guggenmos’ Gedichten in vielerlei Hinsicht, etwa im Verzicht auf starre Versmaße, allzu glatte Reimerei und stereotype Strophenformen.

    Von Spaßgedichten, Rätselversen und Wortspielereien

    In der Tradition von Josef Guggenmos gibt es mittlerweile eine Reihe von Autoren, die das Kindergedicht pflegen und es aus seinem Schattendasein herausführen möchten. Arne Rautenberg, Franz Hohler oder Michael Hammerschmid, den die Akademie für Kinder- und Jugendliteratur soeben mit dem Josef-Guggenmos-Preis ausgezeichnet hat, sind Namen, die dafür stehen. Frech, mit Mut zum und der Freude am Nonsens und an der Absurdität, spielen sie mit den Möglichkeiten der Sprache, setzen sie in neue Zusammenhänge und öffnen das Bewusstsein des Lesers oder Zuhörers für eine verborgene Welt, für neue Blickrichtungen.

    Das vordergründige Lachen wandeln sie dabei nicht selten in ein tiefgründiges Hinterfragen um. Die Palette reicht vom Spaßgedicht über Poetisches, Nachdenkliches und Ernstes bis hin zu Rätselversen über Abzählreime und Wortspielereien mit Schüttelreimen.

    Was Kinderlyrik auszeichnet und wie wichtig ihre Vermittlung gerade in heutiger Zeit geworden ist, weiß auch Uwe-Michael Gutzschhahn. Früher Lektor beim Hanser-Kinderbuch-Verlag, ist er jetzt einer der profiliertesten Übersetzer von Kinder- und Jugendliteratur, Herausgeber von Kindergedicht-Anthologien und selbst Lyriker. „Gute Kindergedichte machen Sprache bewusst, lassen sie klingen und öffnen den Fantasieraum, der durch Sprache entsteht, in seiner ganzen Breite.“

    Gleiche Qualität bei Erwachsenenlyrik und Kindergedichten

    Heftig wehrt sich Gutzschhahn deshalb dagegen, dass das Kindergedicht die „minderbemittelte Schwester“ der Erwachsenenlyrik ist. Denn in der Qualität stünde die eine der anderen in nichts nach – auch wenn die lyrischen Mittel mitunter verschieden seien. „Kinder wollen spielen, Erwachsene wollen verstehen“, benennt Gutzschhahn den großen Unterschied, den der Lyriker im Auge haben müsse. Anspielungen mit literarischem, politischem oder kunstgeschichtlichem Kontext seien deshalb verfehlt. „Kinder lesen Gedichte eins zu eins, je intellektueller sie sind, desto schneller steigen sie aus.“

    Dass man mit Gedichten bei Kindern aber offene Türen einrennt, davon ist Uwe-Michael Gutzschhahn überzeugt. Lehrern gibt er immer wieder den Tipp, vor jeder Deutschstunde ein Gedicht vorzulesen. „Wenn sie es dann einmal weglassen“, hat Gutzschhahn die Erfahrung gemacht, „kommt automatisch die Nachfrage der Kinder, die wieder ein Gedicht hören wollen.“

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