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Kritik: Münchens neuer Parsifal hat eine klaffende Wunde

Kritik

Münchens neuer Parsifal hat eine klaffende Wunde

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    Die Blumenmädchen um Parsifal (Jonas Kaufmann) sind schwer gealtert und auch etwas übergewichtig.
    Die Blumenmädchen um Parsifal (Jonas Kaufmann) sind schwer gealtert und auch etwas übergewichtig. Foto: Foto: Ruth Walz

    Dass die weiße Taube ausbleibt, die final laut Richard Wagners Szenenanweisung über Parsifals Erlöser-Kopf zu „schweben“, nicht zu flattern hat, ist verschmerzbar, ja verständlich. Würde wohl auch ein bisschen sakralkitschig wirken.

    Dass aber auch der Gral an sich abgängig bleibt, zwingt uns zum Nachdenken. Dieser Gral, nach dem sich der Titelheld im ersten Aufzug angelegentlich erkundigt hatte mit den Worten: „Wer ist der Gral?“ – worauf Gurnemanz mit einer dieser vielen Rätsel-Formeln des Werks antwortet: „Das sagt sich nicht.“ Dabei hätte Gurnemanz auch antworten können, dass der Gral der Kelch des letzten Abendmahls Jesu sei und sein Blut am Kreuz auffing. Tut er aber nicht.

    Und jetzt, bei der ersten großen Premiere der Münchner Opernfestspiele 2018, tauchen also weder Taube noch Gral auf; stattdessen imaginiert sich die Bruderschaft der Gralsritter das Heiligtum mit verdeckten Augen innerlich. Aber eine Kult- und Weihestätte gibt es. Sie hat der gewiss respektierte Maler und Bildhauer Georg Baselitz als Zentrum seines Bühnenbildes errichten lassen – und sie bleibt so ziemlich der einzige etwas gehobene Interpretationsgedanke dieser Inszenierung. Fünf behauene Baumstämme, zusammengebunden in der Höhe, ragen wie ein überdimensioniertes Lagerfeuer in spe empor, doch die Stämme sind abstrahierte Beine auf abstrahierten Stöckelschuhen, ein gern von Baselitz verwendetes Motiv. Und um diese ansehnliche Stamm-Bein-Skulptur herum kreist die Gralsrittergemeinschaft bei der Enthüllung des nicht vorhandenen Grals, will wohl bedeuten: Der Gral ist die Kunst von Baselitz – was ja durchaus einhergeht mit Wagners großem Anspruch auf Kunstreligion.

    Baselitz illustriert lediglich

    Auch sonst hat Baselitz, heuer 80, durchaus kräftige Bilder für diesen „Parsifal“ entworfen – in der Summe dunkel, düster, unheilvoll, endzeitlich. Etwa einen absterbenden Tann, später kopfstehend, etwa eine marode Klingsor-Burg und schwer gealtertes „Helden“-Personal. Aber letztendlich illustrieren seine Bilderfindungen – zusammen genommen – nur gediegen. Sie interpretieren nicht – schon gar nicht unter Maßgabe der Frage, was der „Parsifal“ uns heute noch zu sagen hat.

    Und weil diesbezüglich auch vom Regisseur Pierre Audi nichts kommt, gar nichts außer Singen im Stehen, Gehen, Liegen, Knien, bleibt die szenische Seite dieses Bühnenweihfestspiels nahezu unbefriedigend, etwas dünn – um nicht zu sagen: bitter.

    Jedoch: Das, was die musikalischen Stars dieser Festspiel-Premiere gemeinschaftlich offerieren, ist eine Sternstunde im Weltklassen-Musiktheater. Wohin man hört, wohin man lauscht und horcht, in Solistenkehlen, Chorwucht und Orchesterfeinarbeit: Die Leistung ist über alle Maßen beeindruckend, quasi aus dem Stand heraus, also ungeschnitten, veröffentlichungswert auf CD. Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester zaubern flüssig einen kammermusikalisch ausdifferenzierten „Parsifal“. Licht, transparent, leicht – und dennoch tragend. Die Vorspiele und Verwandlungsmusiken strahlen in ihrer Klangentfaltung, in ihrer Dichte und Dramatik; doch ansonsten dient das glänzend aufgelegte Orchester den Sängern, die nicht einmal voll auszusingen brauchen – weswegen ein Maximum an Textverständlichkeit und individueller vokaler Schönheit herrscht. Ganz große Klasse.

    Jonas Kaufmann als überragende Titelfigur

    Da wird ein Boden bereitet, auf dem sich Jonas Kaufmann, Christian Gerhaher, René Pape, Wolfgang Koch und Nina Stemme mit ihren jeweiligen Luxus-Organen kostbar entfalten können. Wie dunkel doch, mit einer schönen nasalen Beimischung, der Tenor Jonas Kaufmanns als schuldbewusster Parsifal zu klingen vermag! Kein gekrähter Spitzenton, kein tenorales Imponiergehabe, alles sensibel abschattiert! Und

    So viel zur Glücksseligkeit des Abends, der auch durch den (optisch irritierenden, akustisch frappierenden) Staatsopernchor erblühte (Einstudierung: Sören Eckhoff). Jubel für die Musiker, deutliche Kritik an den Verantwortlichen der Szene. Schade, dass hier eine Lücke klaffte, eine Wunde. Der ziemlich mickrige Speer in dieser Produktion konnte sie nicht schließen.

    Nächste Aufführungen im Rahmen der Opernfestspiele: 1., 5., 8., 31. Juli (ausverkauft); dann wieder, mit geänderter Besetzung, im März 2019. Am Samstag, 8. Juli 2018, kostenlose Übertragung auf www.staatsoper.tv

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