
Gestrandet auf der Insel der Unseligen

Plus Bei der Erstaufführung „In der Dämmerung“ gehen die beiden Schauspielerinnen nicht nur wegen der Corona-Hygiene auf Abstand
Gestrandet im Nirgendwo, auf sich selbst zurückgeworfen und vor die Aufgabe gestellt, sich zu orientieren: Das ist der Ausgangspunkt der Figuren im Stück „In der Dämmerung“, das jetzt am Landestheater Schwaben (LTS) in Memmingen als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne kam. Ähnlich mag es den Akteuren des LTS gegangen sein, als im März wegen Corona der Theaterbetrieb zum Erliegen kam. Doch schnell meldete sich das Team um Intendantin Kathrin Mädler mit Lebenszeichen zurück. Seit Beginn der Spielzeit mit dem Titel „Zwischen den Zeiten“ präsentiert es sich, von der Ausnahmesituation kreativ inspiriert, mit kraftvollen Inszenierungen.
Nach einer Probe am 18. März herrschte Stillstand: alle Vorstellungen abgesagt. Das LTS verschwand aber nicht in der Versenkung, es kam mit einem Online-Spielplan zu den Zuschauern. Einen künstlerisch offensiven Kurs im Umgang mit Corona und den Einschränkungen kündigte Mädler im Mai an: Das Programm „Reset now“ wurde auf 2021/2022 verschoben. Statt geplante Produktionen in pandemietaugliche Rumpfversionen zu verwandeln, hatte das Team in vier Wochen ein neues Programm erstellt, das in Formaten und Inhalten die Sondersituation spiegelt.

Die neue Spielzeit trägt den Titel "Zwischen den Zeiten"
Bei Proben auf Abstand kam ab Juni wieder Leben in das Haus, und nach draußen in die Stadt trat das Theater im Juli und August mit den Rundgängen „Helden/Heldinnen“. Ensemblemitglieder machten sich mit kleinen Zuschauergruppen auf die Suche nach Heldentum in der Gegenwart und ließen Figuren aus Historie, Literatur oder Kunst auftreten. Seit Mitte September läuft – mit Hygienekonzept – die neue Spielzeit. Dass die laut Mädler „jenseits von allem Gewohnten“ stattfindet, bewies schon das Auftaktstück: Es war der erste Teil der Reihe „Monologe ohne alles“, bei der ein Schauspieler allein, ohne Requisiten und Bühnenbild auftritt. John Clancys „Event“, eine humorvolle Reflexion über Theater und Leben, zeigte eindrucksvoll, welche Eindringlichkeit ein derart reduziertes Format erreichen kann.
Mit „In der Dämmerung“ bringt das LTS nun ein Werk der mehrfach ausgezeichneten britischen Autorin Zinnie Harris erstmals in deutscher Sprache auf die Bühne und tastet sich mit dem Zwei-Personen-Stück weiter voran. Dass Regina Vogel als Robyn und Anke Fonferek als Helen auf Abstand bleiben, sich nie tatsächlich berühren, ist nicht nur eine Notwendigkeit der Corona-Zeit, sondern ein genialer Effekt bei der Inszenierung von Ingrid Gündisch.
"Paradise" hat nur als Wunsch, Illusion und Traum Bestand
Zunächst scheint es, als müssten beide – nach einem Unglück an einen Inselstrand gespült – nur einen Ausweg aus dieser Lage finden. Doch nach und nach wächst eine schreckliche Ahnung, warum keine echte Nähe zwischen ihnen mehr sein kann. Robyns zunehmende Verstörtheit lässt sich weder durch Helens gutes Zureden noch durch deren Optimismus mildern – wie ein störendes Rauschen schieben sich Bilder und Erinnerungen in Robyns Wahrnehmung. Die Realität bricht in sich zusammen, die Leuchtschrift „Paradise“ im Hintergrund erlangt schmerzhafte Bedeutung: als Wunsch, der nur als Illusion oder in einer Traumwelt Bestand hat.
An dessen Stelle tritt das schwarze Loch, das sich mit der Einsicht auftut, dass ein geliebter Mensch nie wieder zurückkehrt. Ein Schmerz, dem das Stück die Figuren voll aussetzt – ohne Happy End, aber mit der Aussicht, dass Leben und Notwendigkeit zu einer Art Akzeptanz führen. Emotional packend ist das umso mehr, da man im dünn besetzten Saal als Einzelner angesprochen ist. Die Inszenierung braucht indes kaum mehr als sparsame Bühnen- und Lichteffekte und das berührende Spiel der Darstellerinnen.
Aufführungen am 6., 7., 8. und 28.Oktober, jeweils 20 Uhr.
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