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Emanzipation: Mit Lust: Auf dem Weg zur neuen Frau?

Emanzipation

Mit Lust: Auf dem Weg zur neuen Frau?

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    Frei nach DaVinci, bloß eben mit Frau und mit der Frage: Was ist das ideale Verhältnis zum eigenen Körper?
    Frei nach DaVinci, bloß eben mit Frau und mit der Frage: Was ist das ideale Verhältnis zum eigenen Körper? Foto: Fotolia

    „Das beherrschte Geschlecht“ heißt eines der vielen aktuellen Bücher, die sich derzeit um die Lage der Frauen im 21. Jahrhundert drehen. Es geht darin nicht etwa hauptsächlich um die Abgründe im Geschlechterverhältnis, die noch weltweit klaffen – wie Zwangsheirat, Zwangsbeschneidung, kulturelle und religiöse Unterdrückung. Es geht auch nicht zuvörderst um jene Schockwellen, die seit einem halben Jahr unter dem Stichwort #MeToo Enthüllungen durch die vermeintlich doch so aufgeklärten und gleichberechtigten westlichen Gesellschaften fluten (und zu denen bei einer groß angelegten Umfrage von YouGov gut 40 Prozent ganz normaler deutscher Frauen angaben, bereits selbst einmal Opfer von männlichen Übergriffen geworden zu sein).

    Nein, wie die meisten aktuellen Bücher zum Thema leuchtet „Das beherrschte Geschlecht“ der Psychologin Sandra Konrad nicht nur die offenkundige, weil längst öffentliche Seite der Frauenthematik aus: Tatsachen etwa, dass Mädchen im Durchschnitt mit besseren Abschlüssen aus den Schulen hervorgehen, aber seltener Karriere machen und weniger verdienen; dass vom größten Verarmungsrisiko noch immer fast ausschließlich Frauen betroffen sind, weil sie nach Trennungen in aller Regel als Alleinerziehende zurückbleiben. Auf all dies versucht die Gesellschaft im 21. Jahrhundert ja immerhin Antworten zu geben, nach dem Repräsentationsprinzip: Quoten für Frauen in Führungspositionen von Ministerien und Unternehmen sollen dafür sorgen, dass deren spezifische und allgemeine Interessen gleichrangig vertreten und durchgesetzt werden. Auch wenn sich dieser Ansatz neuerdings zusätzlich noch im Rahmen der umgreifenden Gender-Problematik bewähren muss. Als Zwischenschritt ließe sich auf dem Weg in eine gleichberechtigte Zukunft zwischen Frau und Mann wohl bewerten, dass die schwankenden Rollenmuster und die prekäre Frage der Vereinbarkeit von Familie und Karriere ja zusehends beide Geschlechter betreffen.

    „Das beherrschte Geschlecht“ formuliert nun einen viel konkreteren und damit tiefer gründenden Konflikt, der zum Hauptgegenstand einer neuen Emanzipationswelle werden müsse. Es geht um den Körper der Frau. An diesem, so erklärt es die derzeit renommierteste Soziologin im Interview mit dem Philosophie-Magazin, lassen sich auch unerwünschte Folgen der bisherigen Emanzipation ablesen, Eva Illouz: „Frauen sind die großen Verliererinnen der sexuellen Befreiung.“ Aber ging es da nicht betont um Feminismus? Ihre Erklärung: „Die Sexualität zu befreien, ohne die wirtschaftliche und politische Macht der Männer anzutasten, bedeutet, Frauen in eine strukturell prekäre Lage zu bringen.“

    Und damit sind wir auch bei Sandra Konrad und dem „beherrschten Geschlecht“: Die Herrschaft bezieht sich eben nach wie vor auf den weiblichen Körper, und sie offenbart sich im Blick auf ihn. Und zwar nicht nur im Blick von Männern. Während diese laut Konrad nämlich im Lauf der vergangenen Jahre zu deutlich größeren Teilen gelernt hätten, eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu führen, sei das öffentliche Bild der Frau nahezu unverändert das eines Objekts geblieben, auf das sich Ideale, Lust und Macht projizierten. Und diesen Blick haben auch die Frauen selbst längst bis ins Intimste verinnerlicht. Das zeigt sich nicht nur an der immer weiter fortschreitenden Kampfzone der Schönheitsoperationen: Deren neueste Trends in der Masse sind Korrekturen im weiblichen Intimbereich, die gestraffte Ästhetik altersloser Schamlippen, und in der Spitze das Herausnehmen des kurzen Rippenpaares, sodass die Taille noch dünner werden kann und damit die weiblichen Reize der Kurven zwischen Brust und Hüfte forciert wirken können. Es ist die offenkundig sinnbildliche Zurichtung der Frau zu einem Element des (Lust-)Marktes, die zu Beginn des 21. Jahrhundert nicht nur immer noch, sondern immer mehr Konjunktur hat.

    Was sich darin bei Konrad ausdrückt, ist eine traurige Tradition: Die weibliche Lust ist eine (wohl aus Versagensangst und Besitzwille) immer schon von Männern auf ihre Ansprüche genormte und damit in ihrer Eigenständigkeit unterdrückte. Emanzipation heißt demnach heute, vor allem an die Frauen selbst gerichtet, aufklärerisch: Habt Mut, euch eures eigenen Körpers bewusst zu werden.

    Was das heißt, lässt sich bei zahlreichen Aufklärungsbüchern nachlesen – von dem vor einem Jahr bereits erschienenen „Vulva“ von Mithu M. Sanyal bis hin zum aktuellen „Viva la Vagina!“. Ja, hier geht es (bald 40 Jahre, nachdem Nina Hagen legendär in der österreichischen Fernseh-Sendung „Club 2“ Millionen Live-Zuschauern die weibliche Onanie erklärt hat) ganz konkret darum, überhaupt erst einmal zu zeigen, wie vielfältig und eigenständig weibliche Lust konkret ist (und dass nur ein Drittel aller Frauen durch Verkehr regelmäßig zum vaginalen Orgasmen kommen) und wie diese Entdeckung durch das herrschende Frauenbild verhindert wird. Interessant ja allein, wie vielsagend wenig geläufig der Begriff der Vulva ist, der das gesamte primäre weibliche Geschlechtsorgan bezeichnet. Aber ist das nicht einfach ein neuer Schub in einer spätestens vor 50 Jahren eingeschlagenen Richtung, nur jetzt – siehe Eva Illouz – unter hoffentlich veränderten wirtschaftlichen und politischen Umständen?

    Nein, es gilt noch mehr zu lernen über den weiblichen Körper. So schreibt die Publizistin Sabine Kray in ihrem programmatischen Buch „Freiheit von der Pille“: Dereinst als Befreiung ausgerufen, weil die Frau durch sie zu mehr Selbstbestimmung befähigt sei (Schwangerschaft nur noch gemäß der Lebensplanung), habe die Pille zur stärkeren Verfügbarkeit der Frau geführt. Und damit wurde sie also ein zwar gestärktes Subjekt, als souveräner Handelnde, aber eben auch noch mehr Objekt, zum Lustobjekt ohne Folgen nämlich. Und die bis heute in absoluter Mehrheit verwendete Verhütungsmethode habe, so Kray, vor allem bewirkt, dass junge Frauen ihren Körper und damit ihre eigene Lust nicht mehr kennen. Von Beginn ihrer Fruchtbarkeit an mit der Pille hormonell möglichst auf Nummer sicher gestellt, hätten sie nie ihren Zyklus mit den unterschiedlichen Arten des Empfindens durchlebt, nie ihre eigenen Leidenschaften entwickeln können …

    Die Emanzipation des 21. Jahrhunderts ist ein Voran in die Gemeinsamkeit der Gesellschaft wie ein Zurück in die Eigenheit des Körpers. Und beides fordert und fördert auch den aufgeklärten Mann.

    Aktuelle Bücher zum Thema

    - Sandra Konrad: Das beherrschte Geschlecht. Piper, 384 S., 24 Euro

    - Sabine Kray: Freiheit von der Pille. Tempo, 144 S., 10 Euro

    - Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl: Viva la Vagina! S. Fischer, 400 S., 16,99 Euro

    - Mary Beard: Frauen und Macht – Ein Manifest. Übs. Ursula Blank- Sangmeister, S. Fischer, 112 S., 12 Euro

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