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Nachruf Michel Piccoli: Kein menschlicher Charakter war ihm fremd

Nachruf Michel Piccoli

Kein menschlicher Charakter war ihm fremd

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    Charakterkopf, Charakterdarsteller: Michel Piccoli (1925–2020).
    Charakterkopf, Charakterdarsteller: Michel Piccoli (1925–2020). Foto: dpa

    Mal mimte er den kalten Zyniker, der für seine Frau, so schön und anziehend sie auch sein mag, nur noch Verachtung aufbringt, dem Filmtitel „Die Verachtung“ entsprechend. In „Das große Fressen“ gab er sich einer ausufernd-dekadenten gastronomischen und fleischlichen Orgie hin. Dann wieder schlüpfte er in Nanni Morettis komödiantischem „Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“ in die Rolle eines überforderten Kirchenoberhauptes, das eigentlich lieber Schauspieler geworden wäre und sich nun diesem immensen Amt stellen muss.

    Michel Piccoli gehörte zu den bedeutendsten Charakterdarstellern des französischen Kinos. Romy Schneider, Catherine Deneuve und Brigitte Bardot waren seine Filmpartnerinnen, er drehte mit illustren Regisseuren wie Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Claude Sautet, Roger Vadim, Louis Malle oder auch mit Alfred Hitchcock. Zu seinen Freunden zählten der Musiker und Schriftsteller Boris Vian ebenso wie der Philosoph Jean-Paul Sartre. Und eine der drei Frauen, die er heiratete, war die Chansonsängerin Juliette Gréco. Mit seiner ersten Ehepartnerin, der Schweizer Schauspielerin Eléonore Hirt, hatte er eine Tochter und mit seiner dritten Frau, der Drehbuchautorin Ludivine Clerc, zwei Adoptivkinder.

    Filme mit Piccoli wurden oft zu Klassikern

    Bereits vor einer Woche, am 12. Mai, starb der französische Film- und Theaterschauspieler, Produzent und Regisseur im Alter von 94 Jahren „in den Armen seiner Frau Ludivine und seiner kleinen Kinder Inord und Missia an den Folgen eines Schlaganfalls“, wie seine Familie am Montag über seinen Freund Gilles Jacob, den früheren Präsidenten der Filmfestspiele von Cannes, mitteilen ließ. In mehr als 200 Filmen spielte Piccoli mit, darunter befanden sich Klassiker wie „ Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, „Belle de Jour – Schöne des Tages“, „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“, „Die Dinge des Lebens“ oder „Das Mädchen und der Kommissar“. Er war Ritter der französischen Ehrenlegion und Träger des nationalen Verdienstordens. 1980 nahm Piccoli bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme für die Hauptrolle in Marco Bellocchios Drama „Der Sprung ins Leere“ entgegen. Beim Filmfestival Locarno wurde er unter anderem für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

    1925 in Paris geboren und aufgewachsen, kam Michel Piccoli von klein auf mit einem bourgeois-künstlerischen Milieu in Berührung. Sein italienischstämmiger Vater Henri Piccoli war Geiger, seine Mutter Marcelle Expert-Bezançon Pianistin. Früh interessierte er sich für die Schauspielerei, nahm Unterricht und begann an verschiedenen Pariser Bühnen aufzutreten. Nach einem Filmdebüt kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde seine Karriere in der Folge zunächst ausgebremst, bevor sie zehn Jahre später in Gang kam. Übernahm er zunächst nur kleinere Rollen, etwa in Jean Renoirs „French Can Can“, so machten ihn ab den 60er Jahren Filme von Luis Buñuel, darunter „Tagebuch einer Kammerzofe“, und vor allem „Die Verachtung“ von Jean-Luc Godard zur Ikone.

    Piccoli war kein Star vom Schlage eines Delon oder Belmondo

    Hierbei half Piccoli sein großes Repertoire, das vom zynischen Erpresser über den eiskalten Mörder bis zum romantisch Verliebten reichte. Mit seinen buschig-schwarzen Augenbrauen, den früh ergrauten Haaren und seiner hohen, frei liegenden Stirn galt er nie als purer Schönling vom Schlage eines Alain Delon und auch nicht als viriler Rebell à la Jean-Paul Belmondo – eher als Anti-Star mit diskretem Charme, der menschliche Abgründe brillant darzustellen wusste. Seine Berühmtheit nutzte er zudem für politische Stellungnahme, sprach sich als Mitglied der kommunistischen „Bewegung für den Frieden“ wiederholt gegen den rechtsextremen Front National aus und unterstützte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

    Auch auf der Theaterbühne feierte er bis ins hohe Alter hinein Erfolge. Seine letzte Filmrolle übernahm er noch im Jahr 2014, mit 88 Jahren. Dass das Spielen sein Leben war, dessen Ende er fürchtete, gab Piccoli 2015 in einem Gesprächsbuch mit Gilles Jacob preis: „Man wünscht sich, dass es niemals aufhört, aber es wird aufhören“, sagte er damals. Und setzte hinzu: „Das ist sehr schwierig.“

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