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Theater Ulm: Die Welt ist eine Drehscheibe

Theater Ulm

Die Welt ist eine Drehscheibe

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    Stefan Maaß als Soldat auf dem Hindukusch.
    Stefan Maaß als Soldat auf dem Hindukusch. Foto: Martin Kaufhold

    Menschen, die Höhenangst haben, klaustrophobisch veranlagt sind oder schnell seekrank werden, werden auf der Website des Theaters Ulm gewarnt. Dazu kommt vor der Vorstellung von „Die lächerliche Finsternis“ eine Sicherheitseinweisung einer Theater-Stewardess, als stünde kein Stück auf dem Spielplan, sondern ein Kunstflug. Doch die Sensiblen können aufatmen: Sie werden physisch nur sanft durchgeschüttelt – und bekommen dazu einen gelungenen Theaterabend, der ins Dunkel der Globalisierung führt.

    Für seine letzte eigene Inszenierung schickt der scheidende Intendant Andreas von Studnitz maximal 100 Zuschauer auf die Drehbühne im Großen Haus. Die fährt vor, zurück, rauf, runter und rotiert langsam, wodurch man tatsächlich ein bisschen die Orientierung verliert. Es passt zur Handlung: „Die lächerliche Finsternis“ ist eine Bearbeitung von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ beziehungsweise von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“. Es handelt von zwei Bundeswehrsoldaten, die den – vom Autor zum Fluss ernannten – Hindukusch hinaufschippern, um einen angeblich durchgedrehten Oberstleutnant zur Strecke zu bringen.

    Am Anfang schildert ein Somalier (Aglaja Stadelmann) vor einem deutschen Gericht, wie er zum Diplom-Piraten wurde. Dann beginnt die Reise der Soldaten (Stefan Maaß und Benedikt Paulun). Sie begegnen seltsamen Typen, gespielt von Frauen. Der italienische Blauhelm (Tänzerin Beatrice Panero) erzählt von Drogeneskapaden seiner Kindergartenzeit. Der serbische Händler (Christel Mayr), der vom Kanu aus laktosefreien Ziegenkäse verkauft, berichtet geschäftsfördernd vom Kollateral-Tod seiner Familie. Der amerikanische Missionar (Julia Baukus) preist die Befreiung der muslimischen Frau von ihrem Zwangsgewand, weil ihr sexy Körper endlich zur Geltung kommt.

    „Die lächerliche Finsternis“ des 36-jährigen Wolfram Lotz bildet die Wirklichkeit nicht ab, sondern macht sie durch die teils absurde Handlung erfahrbar: die Logik einer postkolonialen, kapitalistischen Welt, in der der Westen in Panik vor Terrorismus und Massenzuwanderung zittert, aber kein Problem damit hat, in der sogenannten Dritten Welt die Bodenschätze auszubeuten. Das überzeugt in dieser konzentrierten, in den richtigen Momenten auch überdrehten und albernen Produktion dank der sehr eindringlich agierenden Darsteller. Ein würdiger Abschied für den Regisseur Andreas von Studnitz, der sich selbst einen großen Auftritt spendiert: Der gesuchte Oberstleutnant ist der Intendant selbst – als riesige Videoprojektion.

    am 11., 13., 22. und 24. Januar, Vorstellungen bis April.

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