Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Roman: Thomas Cromwell: Erst ganz oben, dann hingerichtet

Roman

Thomas Cromwell: Erst ganz oben, dann hingerichtet

    • |
    Hans Holbein der Jüngere hat wahrscheinlich 1532 dieses Porträt von Thomas Cromwell angefertigt.
    Hans Holbein der Jüngere hat wahrscheinlich 1532 dieses Porträt von Thomas Cromwell angefertigt. Foto: akg images

    Es stand nicht gut um den Ruf von Thomas Cromwell zu seinen Lebzeiten. Beim Volk galt er wahlweise als berechnender Schwindler, Gotteslästerer oder gar als Ghul, der Kinder stiehlt und Herzen isst. 1540 starb der einstige Lordsiegelbewahrer auf dem Schafott. Die Gunst seines Königs hatte er nicht zuletzt auch deswegen verloren, weil er es nicht mehr verstand, Heinrich VIII. glücklich zu machen. Anna von Kleve, von ihm als vierte Ehefrau an den Hof geholt, war für den Herrscher eine einzige Enttäuschung.

    Es stand auch in den Jahrhunderten danach nicht gut um den Ruf von Thomas Cromwell, jedenfalls bis Hilary Mantel sich des Mannes annahm. „Für die meisten war er nach wie vor ein karikaturhafter Bösewicht“, musste die Schriftstellerin zu Beginn ihrer Arbeit feststellen, den allermeisten aber sagte sein Name gar nichts mehr. Nun aber, mehr als ein Jahrzehnt später, steht er dank Mantel und ihrer Trilogie zumindest bei Romanlesern weltweit in höchster Gunst.

    Die beiden ersten Bände „Wölfe“ (2009) und „Falken“ (2012) sind Weltbestseller, beide mit dem Booker-Preis geadelt. Eben erschienen ist nun der abschließende Band drei, „Spiegel und Licht“, und da ist er also wieder, dieser spezielle Mantel-Sound. Kostprobe von Seite 1: „Der kleine Körper liegt auf dem Schafott, so wie er gestürzt ist: Bäuchlings, die Hände ausgestreckt, schwimmt er in einer Lache aus flüssig-finsterem Purpur, das Blut sickert zwischen die Bretter.“ Der Kopf der Königin liegt abgetrennt davor …

    Thomas Cromwell ist ganz oben auf der Karriereleiter angelangt

    Nichts ist damit verraten, die Fakten sind bekannt. Anna Boleyn wird auf der ersten Seite sterben, etwa in der Mitte des Romans ihre Nachfolgerin Jane Seymour, Thomas Cromwell auf Seite 1081. Da ist der Schmiedsohn aus Putney ganz oben angelangt auf der Karriereleiter: engster Berater des Tudor-Königs, längst geadelt, als Ritter im altehrwürdigen Hosenbandorden aufgenommen, sein Wohnsitz Austin Friars zum Palast ausgebaut.

    Aber weiter nach oben geht es nicht, auch wenn Cromwell sich angesichts des schlechter werdenden Gesundheitszustandes des Herrschers den Gedanken gelegentlich zu denken traut, ob nicht er die Regentschaft … Also bleibt nur noch – der Fall. Betrieben von einigen Adelsfamilien Englands, die Cromwell gegen sich aufgebracht hat, denen er nicht zu Diensten sein will. Er wird gewarnt: „Lassen Sie sich auf keine Schlacht mit den edlen Familien Englands ein. Die haben Sie verloren, bevor sie anfängt. Wer sind Sie? Ein einzelner Mann.“ Aber Crumb, wie er genannt wird, folgt auch nur einem einzigen Mann: Heinrich VIII., Spiegel und Licht.

    Es ist ein Wahnsinnsunterfangen, das Cromwell in diesen vier Jahren stemmt. Allein den König bei Laune zu halten, dessen Gemüt sich mit zunehmendem Alter, Schmerzen und abnehmender Potenz immer häufiger verdunkelt. Ein Volksaufstand im Norden muss niedergeschlagen werden. Wahre und falsche Informationen analysiert werden. „Wenn sie frisch sind, sind sie falsch, wenn alt, könnten sie stimmen, sind aber ebenfalls wertlos.“

    Die Intrigen und Ränkespiele am Hofe

    Rom droht dem abtrünnigen Herrscher mit Ausschluss – 1538 tritt die Papstbulle zur Exkommunikation in Kraft. In Europa muss England nach neuen Bündnispartnern suchen. Und dann all die Intrigen und Ränkespiele am Hofe, vor allem aber und über alles andere entscheidend: die Frauengeschichten. Eine Königin tot, wer soll die nächste werden. Heiratspolitik also. Anfangs zumindest scheint Heinrich VIII. vom Porträt der deutschen Prinzessin Anna von Kleve noch recht angetan.

    Zugleich baut und verteilt Cromwell um, verschiebt den Reichtum von der Kirche zum Staat, modernisiert, reformiert, belohnt, bestraft. Und entwirft nebenbei noch eine Apparatur, mit der sich ein Hühnchen besser rösten ließe ... „So viele Worte, Schwüre und Taten, dass wenn die Leute später mal von ihnen lesen, sie nicht glauben werden, dass so ein Mann wie Lord Cromwell auf Erden wandelte“, sagt sein Sohn Gregory vorwurfsvoll: „Sie tun alles. Sie haben alles. Sie sind alles.“ Aber am Ende scheitert Cromwell nicht zuletzt auch deswegen, weil er seine grundlegende Aufgabe nicht schafft. Die er so formuliert: „Selbst in der Republik der Tugend brauchst du einen Mann, der die Scheiße wegschaufelt, und irgendwo steht geschrieben, dass er Cromwell heißt.“

    Ob Cromwell so gesprochen hat. Irgendwer in diesem 16. Jahrhundert? Bei Mantel lesen sich die Dialoge so gegenwärtig, als hätte sie nur ein wenig Staub herunterpusten müssen. Sie erzählt im Präsens, dringlich, elegant, mit Witz. Und – der entscheidende Kniff – sie erzählt alles aus einer Perspektive, nämlich aus der Sicht Cromwells selbst. Gedanken, Dialoge, Beobachtungen, Rückblicke. Er ist ein genauer Beobachter, dieser Cromwell, mit Sinn für Schönheit und Details, und er vergisst nichts. „Die einzigen Dinge, die er sich nicht erinnerte, sind die, die er nie wusste.“

    Im dritten Teil fehlt es Cromwell an ebenbürtigen Gegenspielern

    Schon nach dem ersten Band rühmten die Kritiker, Mantel habe den historischen Roman neu erfunden, entrümpelt, modernisiert. Das alles gilt auch für den Abschluss dieser furiosen Trilogie, dennoch entstehen auf den über 1000 Seiten des dritten Bandes auch Längen. Das liegt vor allem an der Dramaturgie: Es fehlt Cromwell diesmal an ebenbürtigen Gegenspielern wie Thomas Morus oder Anna Boleyn. Es gibt nicht das beherrschende Duell, stattdessen ist Cromwell in ständige Scharmützel verwickelt.

    Und so dehnt sich der Roman phasenweise aus wie das Einsatzgebiet des mächtigen Mannes: Aufstand dort, Verhör hier, dann wieder Audienz. Warum Mantel nicht die Geschichte mehr gestrafft hat wie noch bei den Vorgängern: Vielleicht wollte sie das Ende ihres Helden beim Schreiben noch ein wenig hinauszögern. Das beschreibt sie jedoch mit funkelnder Brillanz: „Das frühe Licht ist zart, der Himmel eierschalenblau. Er kann bereits spüren, dass es ein weiterer heißer Tag wird …“ Ab dann sind es noch sechs Seiten. Während Cromwells Kopf rollt, heiratet der König schon die Nächste.

    Im Wohnzimmer von Hilary Mantel hingen die Porträts der beiden all die Jahre übrigens in Eintracht. Am Morgen, nachdem sie ihre Trilogie endlich abgeschlossen hatte, lag Heinrich VIII. am Boden. Cromwells Bild aber hing sicher an der Wand. Das, so hat Mantel erklärt, habe ihrem Gefühl entsprochen, wer der eigentliche Verlierer war. Die Cromwell-Versteherin Mantel jedenfalls wurde 2014 für die Verdienste um die englische Sprache von der Queen geadelt.

    Hilary Mantel: Spiegel und Licht. A. d. Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont, 1100 Seiten, 32 Euro.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden