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Konzert in Augsburg: Deichkind feiern in Augsburg Deutschlands klügste Party

Konzert in Augsburg

Deichkind feiern in Augsburg Deutschlands klügste Party

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    Deichkind haben am Dienstagabend ein Konzert in der Schwabenhalle in Augsburg gespielt. Von einer Hip-Hop-Band haben sie sich zu einem Pop-Phänomen gewandelt.
    Deichkind haben am Dienstagabend ein Konzert in der Schwabenhalle in Augsburg gespielt. Von einer Hip-Hop-Band haben sie sich zu einem Pop-Phänomen gewandelt. Foto: Bernd Rottmann

    Wenn zur Zeit immer wieder gefragt wird, wie diese neuen Zwanzigerjahre wohl werden, und wie sie dem Tanz auf dem Vulkan ein Jahrhundert zuvor ähneln könnten: Ein Konzert von Deichkind ist wie eine Antwort darauf. Wobei: Konzert? Es ist die wohl klügste Party Deutschlands derzeit, die aber selbst langsam zu kippen droht durch all das, was sie unweigerlich vom Zeitgeist in sich aufnimmt. Und es ist vor allem eine Performance, in der kritischer Geist und blanker Unsinn ringen. Willkommen in der Gegenwart. Bloß tanzen hier die Gegensätze wenigstens miteinander, noch. Wie damals...?

    Deichkind in Augsburg - wie sich die Hamburger Band zu einem Pop-Phänomen entwickelte

    Vor 20 Jahren hat die Hamburger Truppe erstmals mit Hits wie „Bon Voyage“ und „Komm schon!“ auf sich aufmerksam gemacht, die sie freilich bis heute als gefeierte Reminiszenzen im Programm haben – damals als Hip-Hop-Kollektiv. Wenn Deichkind nun aber, an diesem Dienstagabend, auf Tour mit ihrem aktuellen Album „Wer sagt das denn?“ in Augsburg Station machen, ist daraus längst etwas ganz anderes geworden: ein deutsches Pop-Phänomen. Rund 5000 Leute füllen die Schwabenhalle gut, die akustisch eigentlich immer schwierig ist. Bloß ist das hier egal. Denn die Musik kommt wuchtig vom DJ, die Stimmen von der Bühne dringen durch, mehr braucht es nicht als Grundlage dieser Performance.

    Es beginnt ohnehin mit Kunst. Nachdem die Stimme des legendären Regisseurs Werner Herzog zur Begrüßung auf die plötzliche Dunkelheit der Halle und die bald folgenden Lichtblitze eingestimmt hat, läuft ein zehnminütiges Video auf den weißen Bühnenvorhang projiziert: Lars Eidinger, der deutsche Schauspieler der Stunde, liegt nackt in einem weißen Nirgendwo, wird daraufhin an den Füßen kopfüber in die Höhe gehievt, mit dem ganzen Körper in einen blauen Farbtopf versenkt und dann wie als Pinsel über den Boden gezogen. Schlieren über Schlieren. Unlesbare Zeichen der Zeit? Dann geht es los.

    Konzert in Augsburg: Ist Deichkind mittlerweile untanzbar geworden?

    Wuchtige Bässe, ein mächtiges Techno-Geballer, zu dem die Sprechsänger Philipp Grütering alias Kryptik Joe und Sebastian Dürre alias Porky das Feiern und den in ihm liegenden Hedonismus eigentlich beerdigen: „Keine Party“. Es folgt „Richtig gutes Zeug“, zu dem Eidinger bereits im offiziellen Musikvideo mitspielte und das den Konsumwahn bildstark auf die Schippe nimmt, ohne je zu einem richtigen Song zu werden. Hier, live, gibt es keine Videos zu Liedern, dafür stets eine Choreografie in irren, wechselnden Klamotten und Masken, inmitten sich automatisch über die Bühne bewegender Stelen und Podeste.

    Deichkind sind dabei ein meist maskiertes, siebenköpfiges Kollektiv, das dann auch noch in „Endlich autonom“ die Mobilität der Zukunft aufspießt, in dem es, wie so oft popreferentiell, den NDW-Hit „Ich will Spaß!“ von Markus auf „Autobahn“ von Kraftwerk treffen lässt. Oder in „Cliffhänger“ (mit ä) den Streaming-Wahn bespiegelt, in „Quasi“ die alltäglichen Ausreden ablauscht, dass man ja eigentlich noch was arbeiten wollte, eigentlich kein Nazi sei, aber... Die Zuschauer folgen gebannt, getanzt wird zu diesen wenn auch noch so wuchtigen Diskurssongs des neuen Albums in der ersten Hälfte aber nicht. So weit ist es mit Deichkind, mit unserer Zeit also schon gekommen. Untanzbar?

    Techno-Performance statt Hip-Hop: Deichkind-Show ist kein reiner Rausch der Doppeldeutigkeit mehr

    Der Fortgang ist wie eine Reise zurück, als das noch ging. Bis am Ende der zweieinhalb Stunden mit „Limit“ und „Remmidemmi“ die Songs folgen, mit denen für Deichkind der Weg vom Hip-Hop zur Techno-Performance begonnen hat, sind fast all die Übergangs-Hits gespielt: „Arbeit nervt“ und „Leider geil“, „Bück dich hoch“ und „Niveau weshalb warum“. Sie haben sich vielfach umgezogen und maskiert, sind wie immer zu „Roll das Fass rein“ tatsächlich in einem großen Bierfass durchs Publikum gefahren, haben dazu einzig vom neuen Material passend das mit Rammstein-Sänger Till Lindemann eingespielte „1000 Jahre Bier“ bald hinterhergeschickt. Aber die tatsächlichen Bierduschen von früher für die ersten Reihen, die fallen aus, die gibt es nur noch in einem weiteren zehnminütigen Video in der Show-Mitte.

    Und so ist ein gutes Deichkind-Konzert wie dieses in Augsburg Anfang der neuen Zwanzigerjahre eben auch schon kein reiner Rausch der Doppeldeutigkeit mehr – dafür sind die Hamburger, die zugleich Prolls und Hipster sind, mit Vorschlaghammer und Sezierbesteck umzugehen wissen, zu klug. Die Party hat auch schon das letzte Aufflammen in brachialer Ironie überlebt, „Quasi“. Es mag noch „Leider geil“ wirken, aber wer nicht nur auf „1000 Jahre Bier“ vertraut, könnte auch mit einem Song dieses Abends grölen: „Die Welt ist fertig“. „Wer sagt denn das?“ in Zeiten von Fake News? Deichkind, ihre Performance, die Kunst – die neuen Zwanziger?

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