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Live-Musik: Warum gehen wir so gerne auf Konzerte?

Live-Musik

Warum gehen wir so gerne auf Konzerte?

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    Eine CD könnte niemals ein Live-Konzert ersetzen, erklärt ein Musikwissenschaftler.
    Eine CD könnte niemals ein Live-Konzert ersetzen, erklärt ein Musikwissenschaftler. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Im Bestseller „Homo Deus“ vergleicht der israelische Historiker Yuval Harari die Verehrung antiker Pharaonen mit dem Kult um Elvis Presley. In beiden Fällen sei der Mythos rund um die Figur wichtiger gewesen als die lebende Person; dem Erfolg der „Marke“ habe auch der Tod eher genützt als geschadet.

    Viele Fans nähmen es mit dem Unterschied zwischen Realität und Wunschdenken nicht so genau, sagt auch Harald Lange. Er forscht am bundesweit einzigartigen Institut für Fankultur in Würzburg. Elvis sei durch seine Musik bis heute präsent: „Der Großteil des Fanseins spielt sich virtuell ab, über das Anschauen von Videos, das Anhören von Musikbändern.“ Einem allerdings setzt der Tod ein Ende: dem Besuch von Konzerten. Zwar gibt es Versuche, Verstorbene in Hologrammen wieder auftreten zu lassen; durchgesetzt hat sich das bislang jedoch nicht.

    Warum gehen wir so gerne auf Konzerte?

    Aber warum gehen Menschen überhaupt so gerne auf Konzerte? Was ist das Besondere an Livemusik – in einer Zeit, in der doch im Digitalen alles jederzeit und überall verfügbar ist? Lange sieht gerade in der Unmittelbarkeit des Erlebens eine Erklärung dafür, dass Musikliebhaber lange Warteschlangen und mitunter horrende Ticketpreise in Kauf nehmen. Es werde schwieriger, Gemeinschaften zu leben. Hier aber sorge die Dramaturgie vor Ort dafür, dass alle Anwesenden sich auf dieses eine Ereignis fokussierten. „Wir genießen das Gefühl, mit dem Ereignis, das nur hier und jetzt stattfindet, zu verschmelzen.“

    Der Musikwissenschaftler Michael Kaufmann sieht es ähnlich. Auch suchten die Menschen nach Ereignissen, die den Alltag aufbrechen. „Eine Zäsur, ein Ruhepunkt, auf andere Gedanken kommen: Diese Impulse sind unbedingt notwendig, um aus dem Hamsterrad des Alltags herauszukommen.“

    Kaufmann verweist zudem auf die historischen Wurzeln von Konzerten. In der Autonomie der Kunst hätten die Bürger spätestens in der Epoche der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts eine Befreiung von staatlicher oder auch kirchlicher Obrigkeit gesucht. Um 1900 sei die Zahl der Gottesdienstbesucher beispielsweise in Berlin gesunken, die Zahl der Konzertgänger dagegen gestiegen. Zugleich wurden in vielen Konzertsälen sukzessive Orgeln installiert – „auch, um den sakralen Charakter der Kunst zu unterstreichen“.

    Eine CD kann ein Live-Konzert niemals ersetzen

    Heute gibt es mehr Möglichkeiten, Musik zu konservieren. Jedoch könne eine CD ein Live-Konzert niemals ersetzen, so Kaufmann. „Die Definition eines musikalischen Kunstwerks ist klar: Ein Musikstück erklingt immer nur einmal in einer Interpretation – in dem Moment, in dem es erklingt. Alles andere kann diesen Moment nur dokumentieren.“

    Genau das versuchen Menschen, wenn sie bei Konzerten mehr mit ihren Smartphone-Kameras beschäftigt sind als mit dem Geschehen auf der Bühne. Zahlreiche Musiker beklagen sich darüber. „Seit alle nur noch ihre Handys hochhalten, ist es wahnsinnig frustrierend, Konzerte zu geben“, sagte der Rockmusiker Jack White kürzlich im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Es entstehe keine Verbindung mehr zwischen ihm und dem Publikum. Popstar Justin Bieber hat Auftritte wegen Handy-Frust ebenso abgebrochen wie der polnische Pianist Krystian Zimerman. Andere Künstler lassen die Telefone der Gäste sperren.

    Der Nutzen von Smartphones auf Konzerten

    Fanforscher Harald Lange kann verstehen, dass Menschen manchen „genialischen Moment für die Ewigkeit einfangen“ möchten. „Sie opfern ein Stück der Gegenwart, indem sie das Handy nutzen, die Kamera einstellen, sich womöglich selbst in Szene setzen. Das tun sie im Hinblick auf die Zukunft, um den Moment in zwei Stunden oder zwei Wochen noch einmal ansehen zu können.“ Die Hoffnung, die Unmittelbarkeit wiederholen zu können, sei eine Illusion. „Höchstens entsteht der Effekt wie bei Urlaubsfotos“, meint Lange: „Eine schöne Erinnerung, aber ohne das Genialische.“

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