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Antisemitismus-Skandal: Auf der dunklen Seite des Mondes: Wie umgehen mit dem Fall Roger Waters?

Antisemitismus-Skandal

Auf der dunklen Seite des Mondes: Wie umgehen mit dem Fall Roger Waters?

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    Roger Waters, Mitbegründer der Band Pink Floyd, hat in diesem Jahr fünf Konzerte in Deutschland geplant. Doch in allen Städten gibt es Proteste.
    Roger Waters, Mitbegründer der Band Pink Floyd, hat in diesem Jahr fünf Konzerte in Deutschland geplant. Doch in allen Städten gibt es Proteste. Foto: Onni Ojala, Lehtikuva/dpa

    Vorsicht! Neuerdings könnte Sie der unbedachte Konsum von Songs wie "Money", "Time" oder "Us And Them" – samt und sonders Bestandteile des Jahrhundertalbums "The Dark Side Of The Moon" – unverhofft in die antisemitische Ecke rücken. Weil nämlich ein gewisser Roger Waters daran mitwirkte, seines Zeichens Gründungsmitglied von Pink Floyd, Bassist, Ideengeber und Texter des im März 1973 erschienenen Werkes für die gerne zitierte einsame Insel. Und dieser Waters reklamiert jetzt auch noch die Deutungshoheit über die zehn genialen Songs für sich und hat das Album einfach noch einmal eingespielt, "um die politische und emotionale Botschaft neu zu adressieren".

    Also erscheint "The Dark Side Of The Moon" am kommenden Freitag anlässlich des 50. Geburtstags als üppiges Deluxe Box Set frisch remastert neben einem "Making-of"-Buch und einer Liveaufnahme aus dem Londoner Wembleystadion von 1974. Der 79-jährige Engländer will seine Version dann im Laufe des Jahres veröffentlichen. Da sprudeln die Tantiemen für den ohnehin schon betuchten Waters – mit geschätzten 310 Millionen Dollar Vermögen das reichste Pink Floyd-Mitglied – gleich doppelt, und Geld braucht er gerade sowieso, um seine Anwälte im Mehrfrontenkrieg gegen deutsche Städte in Kampfeslaune zu halten.

    Israels Isolation als Ziel: Waters unterstützt die BDS-Kampagne

    Momentan gehört Roger Waters zu den umstrittensten Kulturschaffenden des Planeten, weil er sich mit wachsender Verve in haltlosen, altersschrulligen Provokationen versteigt und dabei vor allem in Deutschland einen Aufschrei der Empörung nach dem anderen auslöst. So wollen München, Frankfurt und Köln, wie mehrfach berichtet, die geplanten Konzerte seiner "This is not a drill"-Tour Ende Mai am liebsten verhindern, Hamburg oder Berlin überlegen noch. Während in Frankfurt bereits ein entsprechender Beschluss für die Festhalle auf dem Messegelände gefällt wurde, entscheidet der Münchner Stadtrat über das Gastspiel am 21. Mai in der Olympiahalle am Mittwoch, 22. März, – nicht ohne vorher eine rechtliche Einschätzung der Regierung von Oberbayern eingeholt zu haben, wie Stefan Hauf, der Leiter des Presse- und Informationsamtes, unserer Redaktion erklärte.

    Die Städte wollen damit einen plakativen Beitrag zur Antisemitismus-Debatte leisten, in deren Zentrum Waters steht; nicht zum ersten Mal. Oft äußert er sich kritisch über die Siedlungspolitik Israels, nennt das Land einen Apartheidstaat (wie dies im Übrigen auch Amnesty International tut) und fordert Kolleginnen und Kollegen öffentlich dazu auf, nicht in Israel aufzutreten. Kaum ein Konzert bleibt ohne eine handfeste Entgleisung. So ließ er einen Davidstern auf ein fliegendes Gummischwein drucken. Damit untermauert der Musiker sein jahrelanges Engagement für die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen), die den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell isolieren will.

    So etwas ist schlechterdings ein Unding im Land der Schoa, das auch nach 80 Jahren immer noch um einen annehmbaren, würdevollen Umgang mit der Kollektivschuld ringt. Die Verunsicherung hierzulande geht freilich so weit, dass scheinbar jede Kritik an staatlichen Maßnahmen wie der geplanten Justizreform der nationalistisch-religiösen Koalition von Premier Benjamin Netanjahu einen heftigen Antisemitismus-Reflex auslöst. "Dass Roger Watersʼ Hass in München keine Bühne bekommen darf, ist für mich eine Frage der demokratischen Selbstachtung", gab Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, den Härtegrad der Diskussion vor.

    Androhungen von Verboten sind ein misslungenes Zeichen

    Natürlich fehlt Waters jegliche Trennschärfe. Wie seine Kritiker verallgemeinert er auf gefährliche Weise, vermischt unwiderlegbare historische Tatsachen mit seiner subjektiven Perspektive und verfehlt dabei auffällig oft den richtigen Ton. Aber, um Charlotte Knobloch weiterzudenken: Wäre es nicht auch eine Frage der demokratischen Selbstachtung, einen verwirrten Rockstar einfach mal auszuhalten? Ihn dummes Zeug reden zu lassen, so wie dies leider allzu viele Prominente und auch Politiker ohne Konsequenzen tun dürfen? Und ihm nicht gleich eine Steilvorlage zu liefern, bei der er sich auf das ihm verwehrte Recht auf freie Meinungsäußerung berufen kann?

    Für eine Absage braucht es aus juristischer Sicht eigentlich mehr, als sich Roger Waters hat zuschulden kommen lassen, etwa die Verharmlosung des Holocausts oder einen Aufruf zu Gewalt. Androhungen von Verboten sind ein misslungenes Zeichen, für die Diskussionskultur und auch für die freiheitlichen Werte, die derzeit recht forsch durch öffentliche Debatten geistern. Selbst wenn einem beim Lesen des Interviews, das Waters Anfang Februar der Berliner Zeitung gab, das permanente Gefühl von Übelkeit erfüllt. Da verankert ein verbohrter alter Mann unerschütterlich sein manichäisches Weltbild. "All in all, you’re just another brick in the wall" könnte der geistige Vater von "The Wall" jetzt für sich selbst behaupten. Denn er ist gerade dabei, sich einzumauern.

    Gleiches gilt für das mindestens ebenso verhängnisvolle Geschwurbel um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. So nannte Roger Waters den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen "bedächtigen Staatsmann, dem es vor allem darum geht, Völkermord zu verhindern und Faschisten zu vertreiben". Es scheint wirklich so, um eine Waters-Zeile zu zitieren: "We donʼt need no education …" Aber so nachvollziehbar Konzertabsagen auch sein mögen: Sollte man diese Entscheidung nicht dem Publikum überlassen? Deutschland hat mit hektischem Populismus hinlänglich Erfahrung: 1993 lud Stuttgart den Jazz-Pianisten Chick Corea kurz vor einem geplanten Auftritt wieder aus, weil man sich an seiner Scientology-Mitgliedschaft störte. Oder beim Fall Stefanie Carp: Sie verlor 2020 die Intendanz der Ruhrtriennale, weil sie den Historiker und BDS-Unterstützer Achille Mbembe einlud.

    6000 solidarische Unterschriften für den umstrittenen Roger Waters

    Die Reaktionen auf die beabsichtigten Aussperrungen ließen jedenfalls nicht lange auf sich warten. Das Management des Musikers kündigte juristische Schritte gegen mögliche Absagen an. Diese seien "verfassungswidrig" und "ungerechtfertigt", sie beruhten auf der falschen Anschuldigung, Roger Waters sei antisemitisch, "was er nicht ist". Waters betonte nun selbst: "Antisemitismus ist abscheulich und rassistisch, und ich verurteile ihn ebenso vorbehaltlos, wie alle Formen von Rassismus". Die städtische Betreibergesellschaft der Olympiahalle in München stellte vorsichtshalber bereits klar, dass es rechtlich gar nicht möglich gewesen wäre, Waters den Mietvertrag zu verweigern. Und das Heer der Unterstützer, das sich hinter dem subtilen Wüterich versammelt, wird von Tag zu Tag größer. Auf der Plattform Change.org solidarisieren sich zahlreiche Musiker, Künstler, Schriftsteller und Journalisten mit dem ehemaligen Pink Floyd-Kopf – mittlerweile über 6000.

    Die Initiatoren der in bester Waters-Polemik formulierten Petition schreiben, sie seien zutiefst beunruhigt darüber, dass der Musiker von offizieller Seite "diskreditiert und zum Schweigen gebracht" werden solle. Kollegen wie Eric Clapton, Peter Gabriel, Brian Eno und Robert Wyatt, sogar Pink Floyd-Schlagzeuger Nick Mason oder die Schauspielerin Susan Sarandon, der Regisseur und Monty-Python-Komiker Terry Gilliam sowie der Maler Julian Schnabel verleihen dem Manifest eine schlecht zu ignorierende Bedeutung.

    Die Frage muss nicht heißen: Hat er das tatsächlich verdient? Es geht vielmehr darum, der PR-Maschinerie, die nicht nur Roger Waters, sondern auch all seine kruden Thesen jetzt erst medienwirksam nach oben gespült hat, durch eine pragmatische Deeskalationsstrategie rasch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn wer denkt, sich vor drohenden Gefahren und lästigen Andersdenkenden mithilfe hektischer Verbote schützen zu können, der muss sich nicht wundern, irgendwann auf der dunklen Seite des Mondes aufzuwachen.

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