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Architekturbiennale: Bei der Architekturbiennale in Venedig kommt der Kick aus Afrika

Architekturbiennale

Bei der Architekturbiennale in Venedig kommt der Kick aus Afrika

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    Ein Symbol für die kaputte Natur im Nigerdelta: Afrika steht im Mittelpunkt der Architekturbiennale 2023 in Venedig.
    Ein Symbol für die kaputte Natur im Nigerdelta: Afrika steht im Mittelpunkt der Architekturbiennale 2023 in Venedig. Foto: Christa Sigg

    Alles ist im Fluss, alles verändert sich. Wer das akzeptiert, kann loslassen und hat die Chance, etwas Neues anzustellen oder um es etwas drastischer auszudrücken: zu überleben. Das ist die banale wie wahre Nachricht der 18. Architekturbiennale von Venedig, die tatsächlich Lust auf den Wandel macht. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass die Hälfte der 89 Teilnehmer aus Afrika stammt oder zumindest afrikanische Wurzeln hat wie Lesley Lokko, die Kuratorin dieser internationalen Mega-Schau. Und ja, die beliebten Muskelspielchen der Wohlstandsarchitektur haben endgültig ausgedient.

    Das hilft der Gesellschaft ja nicht weiter, erklärt Lokko. Gerade in der Architektur seien große Teile der Menschheit ignoriert worden. Die Tochter eines Ghanaers und einer Schottin bezieht das zwar auf Afrika und überhaupt den globalen Süden, aber man darf das ruhig auch auf all diejenigen ausweiten, die mit ihren Bedürfnissen zu unwichtig erscheinen oder einfach am Rand stehen. Das betrifft genauso die nördliche Hemisphäre.

    Mit einer "Werkstatt", "Sanitärraum", "Versammlungsraum" sowie einer "Teeküche" soll der Pavillon ein "gelebter Ort der (Re-)Produktion" sein, hieß es von den Kuratoren.
    Mit einer "Werkstatt", "Sanitärraum", "Versammlungsraum" sowie einer "Teeküche" soll der Pavillon ein "gelebter Ort der (Re-)Produktion" sein, hieß es von den Kuratoren. Foto: Robert Messer, dpa

    Doch Lokko begnügt sich nicht mit schönen Worten – die setzt die Architekturtheoretikerin lieber in ihren ziemlich politischen Bestsellerromanen ("Wie auf Wolken", "Wenn die Götter küssen"). Vielmehr hat sie die Biennale zum Labor ausgerufen. Da passiert etwas, da wird gearbeitet, und man kann das kaum eindringlicher erleben als im Deutschen Pavillon.

    Der ist "Wegen Umbau geöffnet", ein schöner Dreh, und kaum hat man die neue barrierefreie Rampe genommen, öffnet sich auch schon eine Mischung aus Rumpelkammer und Warenlager. Alles Überbleibsel von der letzten Biennale, die sonst auf dem Müll gelandet wären. "Damit wird jetzt gebaut und repariert – quer durch Venedig", sagt Juliane Greb von den Kuratoren um Anh-Linh Ngo von der Zeitschrift "Arch+" Zum Team zählt außerdem das Architekturbüro Summa cum Femmer, das zusammen mit Greb in München das sozial fortschrittliche Wohnprojekt "San Riemo" umgesetzt hat.

    Im Deutschen Pavillon geht es auch um die Gemeinschaft

    Es geht im Pavillon um Nachhaltigkeit, wer mag, darf selber Hand anlegen, hobeln, hämmern, auch Taschen nähen. Genauso wichtig sei die Gemeinschaft, das Zusammenleben, betont Greb. Deshalb hat das Team den Pavillon demonstrativ instand gesetzt, eine Teeküche und einen Toilettenkomplex mit inklusivem Urinal für jedes Geschlecht eingebaut, der ebenso "Reste verwertet". Was bleibt, wird im "Nutrient Harvester" zu rapsgelbem Dünger verdunstet (im Finnischen Pavillon wird dagegen eine Holzschnitzel-Kompostier-Toilette gefeiert – es geht im Sanitärbereich einfach zu viel Wasser flöten).

    So tatkräftig und durchaus bodenständig geht es in keinem anderen Pavillon zu. Das zeigt aber auch eindringlich, wie sehr alles miteinander zusammenhängt. Ohne die zeitweise vergessene Wiederverwertung wird es nicht gehen. Da darf sich die um keine unnütze Erfindung verlegene Industrie noch einiges einfallen lassen. Von Alltäglichkeiten wie langlebigeren Haushaltsgeräten bis hin zu sinnvolleren Baumaterialien. Nur zur Erinnerung: Acht Prozent der weltweiten Treibhausemissionen verursacht der Zement. Der ist nicht eben mal zu ersetzen, völlig naiv sind die Biennale-Teilnehmer nicht. Aber man kann für vieles Alternativen finden. Deshalb präsentiert man im Belgischen Pavillon zum Beispiel pilzbasierte Baustoffe: Die Myzellenplatten wachsen, so sie gewässert werden. Lässt man das bleiben, werden sie wie Kork oder Styropor. Das schaut schräg bis schimmlig aus, doch es gibt ja Tünche.

    Die Realisierbarkeit steht in der Hauptausstellung im Vordergrund

    Auch in der Hauptausstellung steht die Realisierbarkeit im Vordergrund. Und natürlich sieht man tolle Architektur, die oft genug von mehreren Traditionen aus gedacht ist – auch das könnte in vielen Bereichen eine Lösung sein. Pritzkerpreisträger Francis Kéré aus Burkina Faso (mit Büro in Berlin) setzt auf die natürlichen Materialien eines Landes. Als er nach dem Studium zurück in seiner Heimat Schulen und Krankenhäuser zu planen begann, riefen alle nach westlichem Glas-Stahl-Beton-Chic. Es hätte großer Überredungskünste bedurft, die Menschen vom Sinn etwa des traditionellen Lehms und einfacher Kühlsysteme zu überzeugen, erzählt er. 

    Dass Kéré damit genau richtig liegt, verdeutlicht letztlich auch die Klimabilanz Afrikas: Der Kontinent mit der am stärksten wachsenden Bevölkerung sei nur für vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Noch. Wenn der immense Bedarf nicht klimaverträglich gedeckt wird, ist die Katastrophe vorprogrammiert. Und nicht nur auf dem "schwarzen" Kontinent mit seinem Nigerdelta und anderen importierten Tragödien.

    Ohne die Natur läuft in den Plänen nichts mehr

    Die architektonische Umsetzung kann ganz fabelhafte Formen annehmen. David Adjaye, Brite mit Wurzeln in Tansania, hat große – gemeinschaftsstiftende – Bauten realisiert, die man sofort besuchen möchte. Das reicht von der Thabo Mbeki Presidential Library in Johannesburg bis zum Newton Enslaved Burial Grounds and Museum in Barbados.

    Wenn es denn sein soll, geht es bald mit Captain Future umweltverträglich auf Tour. Olalekan Jeyifous verkündet schon einmal prophylaktisch das "African Age". In seiner Vision von einem "All-Africa-Protoport" gibt es Schnellbahnen, Wassermobile und sogar Flugzeuge. Das Personal führt gleich mit knallbunten, coolen Uniformen vor Augen, dass ohne die Natur gar nichts läuft. Man denke an die Kraft der Algen, Gezeitenkraftwerke oder die Sonne, also effektive Energie- und Biotechnologien, die selbst den Urbanismus umweltverträglich gestalten könnten.

    Das ist ein klares Bekenntnis, endlich selbst das innovative Steuer in die Hand zu nehmen und sich nicht jede neue Technik aus Asien oder Amerika andrehen zu lassen. Auch das gehört zur geforderten Dekolonisation, die lange nicht nur Afrika betrifft.

    18. Architekturbiennale in Venedig bis 23. November, www.labiennale.org

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