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Foto: Matthias Becker
Foto: Matthias Becker

"Madame Butterfly" von Giacomo Puccini ist kein typisches Stück für die Bregenzer Seebühne.

Bregenzer Festspiele
21.07.2022

"Madame Butterfly" auf der Seebühne ist Poesie statt Spektakel

Von Ingrid Grohe

Plus Das Publikum kann die Puccini-Oper bei der Premiere nur zur Hälfte genießen, denn Gewitter ziehen auf. So viel aber steht fest: Die Regie traut sich was.

Madame Butterfly und ihr Bräutigam Pinkerton versinken gerade in einem innigen Kuss, als die ersten Tropfen fallen. Schnell ziehen die Gäste Regenponchos über, doch als Donner und Blitze am Horizont Giacomo Puccinis Oper kommentieren, brechen die Bregenzer Festspiele am Mittwochabend die Premiere nach der Hälfte der Aufführung ab. Für das Gesehene spendet das beeindruckte Publikum Beifall, während es bei Regen von der Tribüne eilt. Nur 1700 der 7000 Gäste verfolgen den Rest als halbszenische Version im Festspielhaus. Wie den Bregenzern ihr für diesen Sommer so gut wie ausverkauftes „Spiel auf dem See“ bei wunschgemäßem Wetter gelingt, war vorab bei einer Hauptprobe zu erleben.

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Spektakel, knallige Bilder, Stunts und Effekte erwarten die Menschen vom „Spiel auf dem See“. Schon Wochen vor Festspieleröffnung verfolgen viele gespannt, welche Bühnenskulptur am Bodensee entsteht. Der bunte Clownskopf, der zuletzt bei Verdis „Rigoletto“ quasi Mitspieler war, wird zigtausenden Menschen wie eine Ikone in Erinnerung bleiben. In diesem Jahr ist nichts bunt. Ein knittriges Blatt Papier mit ein paar Zeichnungen liegt auf dem Wasser – das war’s. Auf dieser 23 auf 33 Meter großen, aber schlichten Spielfläche wird „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccinizum intensiven, berührenden Musiktheater.

Diese Oper ist kein klassisches Stück für Bregenzer Festspiele

Dass diese Oper bisher nie auf der Seebühne zu sehen war, hat einen guten Grund. Das Stück ist ein Kammerspiel: wenig Personal, keine Massenszenen, stattdessen Intimität und ganz viel Gefühl. Schwierig also für eine Bühne dieser Größe und kaum geeignet für ein Spektakel. Andreas Homoki, Intendant des Opernhauses Zürich, wünschte sich jedoch genau diese Oper, als ihn Intendantin Elisabeth Sobotka fragte, ob er Regie am See führen möchte. Für „Madame Butterfly“ hat Homoki einen ganz neuen Umgang mit diesem besonderen Ort gefunden. Statt auf Sensationen setzt er auf Poesie. Selbst in Seebühnen-Dimensionen entfalten unter seiner Leitung innige Dialoge und einsam besungener Seelenschmerz enorme Kraft.

Bühnenbildner Michael Levine hat die gewellte Kulisse erdacht. Sie stellt eine japanische Berglandschaft dar und zugleich das Haus, in dem die junge Geisha Cio-Cio- San, genannt Madame Butterfly, den amerikanischen Marineoffizier Pinkerton heiratet – um nach seiner Abreise in die USA jahrelang vergeblich auf die Rückkehr zu warten. Zart, kostbar und fragil: So mutet das Blatt Papier an. Eine erlesene Zeichnung, achtlos weggeworfen. Die perfekte Entsprechung zu Cio-Cio-San, deren hingebungsvolle Liebe benutzt und anschließend abserviert wird. Schon der erste Moment der Aufführung zeigt symbolhaft die ganze Brutalität: Das Papier reißt ein, ein Seesack fliegt durch das Loch auf die Bühne, Pinkerton klettert hinterher, und kurz darauf schiebt sich – wie ein Phallus – eine viele Meter hohe Fahnenstange mit der amerikanischen Flagge durch die Öffnung in die Höhe.

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Foto: Klaus-Peter Mayr
Foto: Klaus-Peter Mayr

Regen und Gewitter führten zum Spielabbruch auf der Bühne.

Puccinis "Madame Butterfly" kommt in Bregenz in klaren Bildern daher

Homoki denkt bei seiner Inszenierung wie ein Maler. Er lässt belebte Gemälde vor den Augen des Publikums entstehen und übersetzt die imposante Musik Puccinis in klare, eindrucksvolle Bilder. Wenn die Darstellerinnen und Darsteller, oft in strenger Formation, den Strukturen der großen Fläche folgen, verstärkt ihre Bewegung die Klangfarben. Zugleich schälen verblüffende Projektionen Tiefen, Räume und Gestalten aus der Bühnenlandschaft. So wird die Kulisse zum Spiegel der Seele Cio-Cio- Sans; er offenbart Liebe und Zärtlichkeit, Furcht und Hoffnung, am Ende tödliche Verzweiflung.

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Wie naiv muss eine junge Frau sein, die auch nach drei Jahren vergeblichen Wartens an der Liebe ihres Gatten nicht zweifelt? Andreas Homoki charakterisiert Cio-Cio-San keineswegs als törichte Frau, die an kindlichen Illusionen zugrunde geht. Mit ihrem radikalen Lieben hofft sie zwar einen Ausweg aus Armut und der Enge einer traditionsverhafteten Gesellschaft zu finden. Die Liebe verleiht ihr aber auch ungestümen Furor und innere Freiheit. Diese entschlossene Persönlichkeit modelliert Barno Ismatullaeva bei der Premiere mit ausladenden Gesten heraus. Und mit ihrer dynamischen, zugleich empfindsamen Stimme. In wunderschönen Arien und Duetten mit der Zofe Suzuki (Annalisa Stroppa) gestaltet sie starke Emotionen in vielen Schattierungen und fesselt das Publikum selbst während etwas langatmiger Passagen im Mittelteil der Aufführung – dieser ist beim Premierenabend auf der Seebühne nicht mehr zu erleben.

Dirigent und Orchester kosten die Partitur intensiv aus

Giacomo Puccini studierte für sein Werk musikalische Formen Japans sowie das passende Instrumentarium. Fernöstliche pentatonische Figuren verband er beim Komponieren gewandt mit Klangmotiven der USA – unter anderem aus der heutigen amerikanischen Nationalhymne. Dirigent Enrique Mazzola gibt in Bregenz den Wiener Symphonikern viel Raum, um diese speziellen Stimmungen prägnant zu modellieren. Jede Farbe und jede Wendung in der Komposition kostet das Orchester intensiv aus.

So tröstlich die Schönheit dieser Musik ist, so traurig endet doch die Geschichte. Cio-Cio-San zerbricht nicht nur an einer unerwiderten Liebe, sondern auch am Versagen zweier Systeme: der breitbeinig amerikanischen Wegwerfmentalität und der gnadenlosen Strenge des alten Japan. Erstaunlich, dass in dieser traditionalistischen Welt allein die in wehenden Gewändern auftretenden Geister der Ahnen mit blutvoll choreografierten Tänzen Lebendigkeit entfachen.

Bei seiner schlüssigen Interpretation der tragischen Geschichte weiß Regisseur Homoki den Zauber der umgebenden Natur zu nutzen. So scheinen die Farben der klug schematisierten Kostüme mal in den rot-orangen Abendhimmel, mal ins (marine-)blaue Wasser getaucht und der See legt sich bei leichtem Wind in Wellen wie das schwebende Papier. Auch ein paar der Zutaten, die das Publikum beim Operngenuss am Bodensee so schätzt, hält Homoki bereit: Ein Mann fällt ins Wasser, ein Boot gleitet über die Wellen – und am dramatischen Ende gibt es einen spür- und hörbaren Knalleffekt.

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