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Foto: xMarco Riebler, SF
Foto: xMarco Riebler, SF

„Wir neigen dazu, zu viel von der Kunst zu verlangen“, sagt Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele.

Salzburger Festspiele 2022
21.07.2022

Intendant Markus Hinterhäuser: „Toxisches Sponsoring ist für die Salzburger Festspiele inakzeptabel“

Von Birgit Müller-Bardorff

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, hatte mit unsauberen Sponsorengeldern und Vorwürfen an russische Künstler zu kämpfen. Am 26. Juli 2022 eröffnet das Festival.

Herr Hinterhäuser, Dantes „Göttliche Komödie“ ist der Ankerpunkt für das Programm der diesjährigen Salzburger Festspiele. Wie kommt es dazu?

Markus Hinterhäuser: Ich hatte die Idee, „Il Trittico“ von Puccini aufzuführen. Puccini beruft sich ganz eindeutig auf Dantes „Göttliche Komödie“, das ist wirklich ein Referenzpunkt für die Komposition. Nachdem also diese Idee gereift ist, erinnerte ich mich an mein Stöbern in den Archiven der Festspiele anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums 2020. Immer wieder ist mir das 1973 uraufgeführte Mysterienspiel „De temporum fine comoedia“ von Carl Orff durch den Kopf gegangen, damals von Herbert von Karajan dirigiert. Ich habe mir die Aufnahme angehört und war fasziniert von diesem Stück. Auch hier handelt es sich um ein Triptychon und auch der Titel selbst spielt auf die „Göttliche Komödie“ an. Auch hier gibt es diesen Dreischritt aus Hölle, Fegefeuer und Paradies. Das Interessante ist aber natürlich, dass ich damals noch keine Ahnung von dem hatte, was am 24. Februar passieren würde.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine.

Hinterhäuser: Genau. Das Große, das Einzigartige an Kunstwerken ist, dass sie uns so unglaublich viel erzählen können über das Leben, über unsere Verfasstheit, dass diese beiden Stücke, die an einem Abend gespielt werden, nun eben auch in diese spezielle Zeit passen. Die Kunstwerke in unserem Programm, auch Janaceks „Katja Kabanova“ oder Marie Luise Fleißers „Ingolstadt“, wenden sich nicht irgendwelchen abstrakten Phänomenen zu, sondern den kleinen Leuten, dem wirklichen Leben in all seiner Not und all seiner Bedrängnis, auch in seiner Freude. Und das fand ich für die gedankliche Planung des Programms so faszinierend.

Das Leben gegenwärtig wird bestimmt durch den Krieg in der Ukraine. Was bedeutet das für die Salzburger Festspiele?

Hinterhäuser: Wir neigen dazu, zu viel von der Kunst zu verlangen. Kein Kunstwerk kann einen Krieg beenden. Kein Künstler kann einen Krieg beenden. Die Kunst kann aber eine Verfeinerung des Denkens und Reflexionen ermöglichen. Kann Denkräume öffnen, kann Fragen stellen. Orffs „De temporum fine comoedia“ ist von einer – ja, ich verwende jetzt dieses Wort, das ich nicht gerne sage – Aktualität oder Dringlichkeit, wie wir uns das alle überhaupt nicht erwarten konnten. Ich habe Ilija Trojanow zur Eröffnung der Festspiele am 26. Juli eingeladen und er wird eine Rede halten, die ein hartes Statement ist. Wir veranstalten auch ein Symposium, das sich mit der Frage des Krieges beschäftigt, mit der Kunst in Zeiten des Krieges. Wir haben keine Festspiele, die eskapistisch unterwegs sind. Die Idee für die Salzburger Festspiele wurde 1917, während eines Weltkrieges, geboren. Nicht von Politikern oder Wirtschaftsleuten, sondern von Künstlern wie Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss als ein Gegenentwurf, wie man sich mit den Mitteln der Kunst der Welt stellen kann. Das ist eine Verpflichtung für uns.

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Russische Kunstschaffende und russische Kultur sind nun in manchen Häusern nicht mehr gern gesehen. Sie plädieren für eine differenzierte Betrachtung.

Hinterhäuser: Diese Situation ist nicht zu bewältigen, indem wir pauschal und von einem selbst gezimmerten moralischen Hochsitz aus Beurteilungen vornehmen. Das ist wirklich eine unfassbar komplizierte Situation. Wir wissen nicht, wie das Leben in einer Diktatur ist, und die Grausamkeit einer Diktatur zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass diktatorische Systeme Meinungen verbieten. Nein, sie zwingen auch Menschen, Dinge zu sagen, die gegen ihr Gewissen und gegen ihre Einstellung sind. Auftrittsverbote auszusprechen ist wirklich eine ganz schwierige Geschichte.

Haben Sie diese Überlegungen geleitet, als sie den griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis, der im Mai noch auf einer von Gazprom gesponserten Konzertreise in Russland unterwegs war, nicht ausluden, wie dies in Wien, München und Paris der Fall war?

Hinterhäuser: Ich kenne Teodor Currentzis seit vielen Jahren. Ich habe von ihm niemals irgendetwas gehört, das ihn in die Nähe zu dem System Putin gebracht hätte oder als Befürwortung des Krieges gedeutet werden könnte. Sein Orchester und Chor musicAeterna besteht zu einem Großteil aus russischen Musikern, aber es gibt dort auch ukrainische Musiker. Niemand von diesen ukrainischen Musikern hat sich bisher geweigert, mit ihm zu spielen. Teodor Currentzis war einer der großen Verteidiger des Regisseurs Kirill Serebrennikow. Currentzis war eine der entscheidenden Figuren in diesem großen „Dau“-Filmprojekt, einer ganz harten Abrechnung mit dem Sowjetsystem. Currentzis hat Programmumstellungen gemacht, hat Musik von ukrainischen Komponisten in ein Tournee-Programm hineingenommen. Es gibt so viele Zeichen, die dagegen sprechen, Currentzis zu verurteilen. Und lassen Sie mich auf „De temporum fine comoedia“ zurückkommen, das Currentzis am 26. Juli dirigiert: Man sollte sich wirklich anhören, was dieser russische Chor dort singt, was dort kommuniziert wird. Und vielleicht wird man dann auch zu einer Form von Ergriffenheit finden über das, was trotzdem möglich ist.

Heftige Kritik hat Ihnen auch sogenanntes „ toxisches Sponsoring“ eingebracht. Die Festspiele hatten mit dem Schweizer Bergbauunternehmen Solway einen Sponsor, der im Verdacht steht, für Menschenrechtsverletzungen in Guatemala verantwortlich zu sein. Muss man das Sponsoring hinsichtlich ethischer Kriterien neu überdenken?

Hinterhäuser: Wir alle sind uns bewusst, dass die Sensibilisierung das Sponsoring betreffend so viel stärker geworden ist, und das völlig zu Recht. Es ist aber auch so, dass wir manchmal auch nicht wissen können, wie sich die Situation entwickelt, denn ein Sponsoring-Vertrag wird ja nicht nur über die zweimonatige Dauer der Festspiele geschlossen, sondern über mehrere Jahre. Wie sich eine Firma entwickelt, da erleben wir manchmal auch unangenehme Überraschungen.

Von Solway haben sich die Salzburger Festspiele mittlerweile getrennt.

Hinterhäuser: Wir haben, nachdem eine Rechercheplattform die Vorfälle in Guatemala bekannt gemacht hatte, sofort von Solway eine Untersuchung eingefordert. Nur, wir müssen auch Geduld haben und die Ergebnisse dann abwarten. Wir haben eine wirklich hohe zivilisatorische Errungenschaft, die ist in einem Satz zu benennen: im Zweifel für den Angeklagten. Das dürfen wir nicht achselzuckend aufgeben. Nachdem die Ergebnisse vorlagen, war für uns völlig klar: Dieses Sponsoring geht für die Salzburger Festspiele nicht.

Aber über Lukas Bärfuss und Yana Ross, die ihnen praktisch ein Ultimatum setzten, waren Sie schon ein bisschen erbost, oder?

Hinterhäuser: Was heißt erbost? Ich finde das fast schon peinliches Heldentum, die Salzburger Festspiele im Kasernenhofton via Pressemeldung aufzufordern, das und das und das zu erfüllen, sonst platze die Inszenierung. Und am gleichen Tag erklären Lukas Bärfuss und Yana Ross, auch wenn die Salzburger Festspiele an der Geschäftsordnung festhalten sollten, würden sie diese Produktion zeigen, weil der Steuerzahler und die Öffentlichkeit ein Recht auf diese Arbeit haben. Das ist ein Heldentum, wirklich! Da ist für mich jede Peinlichkeit überschritten.

Dann gibt es auch die Vorwürfe, die Festspiele seien ein Auffangbecken für russisches Geld.

Hinterhäuser: Es gab 2019 ein einziges Mal direktes russisches Sponsoring durch Gazprom für die Oper „Boris Godunow“, die dann wegen der Pandemie nicht stattgefunden hat. Wir haben jeden erhaltenen Cent zurücküberwiesen und danach gab es nie wieder eine Annäherung zwischen Gazprom und den Salzburger Festspielen. Absolut niemals. Rückblickend gesehen war diese Annäherung ein Fehler. Und dazu stehe ich.

Wie werden es die Salzburger Festspiele also in Zukunft mit dem Sponsoring halten?

Hinterhäuser: Wir müssen über diese Dinge sprechen, das halte ich für sehr wichtig. Und wir müssen moralische und politische Kriterien stärker berücksichtigen. Aber wir müssen auch eine Art von, wie soll ich sagen, von Überlebensfähigkeit mitdenken. Die Festspiele haben einen Etat von 62,5 Millionen Euro. Knapp ein Viertel wird von öffentlichen Geldern getragen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir nicht nur in hohem Maße Karten verkaufen, nämlich um die 70 Prozent, sonst bricht diese Systematik auseinander, wir sind auch auf Sponsoren angewiesen. Wir müssen intelligent über diese Dinge nachdenken und nicht in diesem Empörungseifer, in dem sich unsere Gesellschaft befindet. Aber Sponsoring – und jetzt verwende ich dieses unsägliche Wort selbst –, das toxisch ist, ist für die Salzburger Festspiele inakzeptabel.

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