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Filmfestspiele in Cannes: Eröffnung zwischen Politik und Kino

Filmfestival Cannes

Wohlgefühl über alle Krisen hinweg: Filmfestspiele in Cannes eröffnet

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    Juliette Binoche (l) und Meryl Streep mit Ehrenpalme bei der Eröffnung des 77. Filmfestivals von Cannes.
    Juliette Binoche (l) und Meryl Streep mit Ehrenpalme bei der Eröffnung des 77. Filmfestivals von Cannes. Foto: Vianney Le Caer, Invision/AP/dpa

    Dunkle Wolken ballen sich über der Croisette. Es ist ein Klischeebild, das zur Eröffnung des diesjährigen Festivals von Cannes passt. Und das liegt nicht nur am verhangenen Himmel, der vereinzelt Regentropfen über die Gäste in ihrer Luxusgarderobe ausschüttet. Selten sahen sich die Filmfestspiele mit derart vielen bedrohlichen Szenarien konfrontiert. 

    Auch bei den Filmfestspielen in Cannes drohen Anti-Israel-Demonstrationen

    Eine Vereinigung der Festivalbeschäftigten hat zum Streik im Protest gegen prekäre Arbeitsbedingungen aufgerufen und will die 12-tägige Veranstaltung stören, um einen angemessenen Tarifvertrag zu erhalten. Wie bereits beim Eurovision Song Contest drohten Aktionen von Anti-Israel-Demonstranten. Gerüchten zufolge plante eine französische Publikation, pünktlich zum Festival neue "MeToo"-Enthüllungen über die heimische Branche zu veröffentlichen. Im Vorjahr hatten kritische Stimmen moniert, man könne keinen Film mit Johnny Depp in der Hauptrolle zur Eröffnung zeigen. Diese Kontroverse wirkte im Vergleich zu 2024 ebenso belanglos wie harmlos. 

    Meryl Streep beim Filmfestival von Cannes.
    Meryl Streep beim Filmfestival von Cannes. Foto: Scott Garfitt, Invision/AP/dpa

    Doch die Chefs von Cannes gaben sich wetterfest. "Wir haben uns entschlossen, ein Festival ohne Polemiken durchzuführen. Das Hauptinteresse für uns alle ist das Kino", so der künstlerische Leiter Thierry Frémaux. Das waren keine Lippenbekenntnisse. Im Vorfeld fanden 15 Sitzungen zu Sicherheitsmaßnahmen statt – rund dreimal so viel wie im Vorjahr. Auf der Festivalmeile Croisette und in deren Umgebung wurden Protestaktionen strikt verboten. Durften bei der Oscarverleihung offizielle Teilnehmer mit roten Pins gegen den Anti-Hamas-Feldzug in Gaza protestieren, geht das in Cannes nicht. Um das zu überprüfen, sind im Umfeld des Festspielzentrums KI-betriebene Kameras im Einsatz. 

    Jury-Vorsitzende Greta Gerwig versinkt in einem Tränenstrom

    Bei der Eröffnung funktionierte die Strategie der festen Burg. Das Wohlgefühl der Festivalgemeinde wurde nicht weiter gestört. Man konzentrierte sich auf schicke Roben und Schwelgen in cineastischem Enthusiasmus. Moderatorin Camille Cottin beschwor den "Strudel von Cannes", in dem das Gespür für die triste Realität verloren geht. Passenderweise war der erste Höhepunkt der Veranstaltung der Tränenstrom von Jurypräsidentin Greta Gerwig, die angesichts der superlativischen Elogen auf ihre Karriere in überschwänglicher Gerührtheit zerfloss.

    Jurypräsidentin Greta Gerwig bei der Eröffnungsfeier des 77. Filmfestivals von Cannes.
    Jurypräsidentin Greta Gerwig bei der Eröffnungsfeier des 77. Filmfestivals von Cannes. Foto: Vianney Le Caer, Invision/AP/dpa

    Und das war erst der Beginn der großen Emotionalität. Denn danach folgte Juliette Binoche, die die Laudatio auf Meryl Streep, die Preisträgerin der Goldenen Ehrenpalme hielt – immer wieder bewegt in ihrem Text stockend – verbunden mit gelegentlichen Weinattacken. Die teilte sie mit der Geehrten, die – offenbar vor lauter Bewegtheit – erst mal von der Bühne gehen wollte, um dann doch in die gefühlt endlosen Lobeshymnen einzutauchen. Immerhin wirkten die Reaktionen der beiden Oscargewinnerinnen einigermaßen authentisch und spontan, dass man bei dem tränenreichen Schauspiel tatsächlich die raue Welt vergessen konnte. 2022 hatte Wolodymyr Selenskyj per Videoschaltung noch einen Appell an die Festivalbesucher gerichtet – es wirkte Jahrzehnte her. 

    Das Festival in Cannes ist nach wie vor eine Männersache

    Die weiblichen Akteure der Eröffnung lenkten auch ein wenig davon ab, dass das Festival nach wie vor eine Ägide der Männer bleibt. Von den 21 Filmen des Festivalwettbewerbs wurden vier von Frauen inszeniert. Und die heiß erwartetsten Titel des Programms stammen von den Senioren der Branche - "Megalopolis" von Francis Ford Coppola, 85, das Westernepos "Horizon" von Kevin Costner, 69, das Musical "Emilia Perez" von Jacques Audiard, 72, nicht zu vergessen "Furiosa: A Mad Max Saga" von George Miller, 79.

    Mit Quentin Dupieux saß auch ein Mann auf dem Regiestuhl des Eröffnungsfilms "Le Deuxième Acte". Während die Feierlichkeiten sich darauf konzentrierten, eine schöne Gegenwelt zu bieten, versuchte die Tragikomödie immerhin Fiktion und Realität zu kontrastieren. Die Figuren sind Schauspieler bei Dreharbeiten, die selbstreferenziell ihre eigene Funktion hinterfragen und sich mit dem Orchester auf der Titanic vergleichen. Das Spiel mit den Metaebenen wirkt zwar nicht ganz durchdacht und verstrickt sich in Widersprüchen, aber hier zerreißt zum ersten Mal bei der Eröffnung der Vorhang vor der Wirklichkeit. Zahlreiche Lacher im Pressepublikum deuteten darauf hin, dass man genau auf so etwas gewartet hatte. 

    Die Frage bleibt: Wird dieser Vorhang während des gesamten Festivals weiter aufreißen? Wird die französische Polizei den cineastischen Festungsbau sichern können? Und wird es Filme geben, die mehr bieten außer ästhetischer Feinkost? Momentan steht nur eines fest: Die dunklen Wolken bleiben auch am zweiten Tag. Und der Regen tröpfelt.

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