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Interview: Sänger Tim Bendzko: "Einer muss ja den Anfang machen"

Interview

Sänger Tim Bendzko: "Einer muss ja den Anfang machen"

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    Rund 1400 Besucher beteiligen sich an dem Versuch unter dem Titel "Restart-19", bei dem der Popsänger Tim Bendzko bei einem Konzert auftritt. Die Wissenschaftler wollen mit Sensoren und anderen Hilfsmitteln Laufwege überwachen und fluoreszierendes Desinfektionsmittel soll sichtbar machen, welche Flächen oft angefasst werden.
    Rund 1400 Besucher beteiligen sich an dem Versuch unter dem Titel "Restart-19", bei dem der Popsänger Tim Bendzko bei einem Konzert auftritt. Die Wissenschaftler wollen mit Sensoren und anderen Hilfsmitteln Laufwege überwachen und fluoreszierendes Desinfektionsmittel soll sichtbar machen, welche Flächen oft angefasst werden. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Tim, vor zehn Jahren wolltest du noch kurz die Welt retten, jetzt singst du „Kein Problem, wenn die Welt untergeht, weil ich in meiner eigenen leb’.“ Das hört sich fast an wie „Ihr könnt mich alle mal“.

    Tim Bendzko: Na ja, der ganze Song ist schon deutlich freundlicher gemeint. Frei nach Herbert Grönemeyer: „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht“. In vielen Lebenssituationen hilft es tatsächlich, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen und sich nicht mehr Stress zu machen als notwendig. Konkret stellt sich der Protagonist in dem Lied die Frage, ob er sich noch anpasst oder bereits verbiegt.

    „Kann jemand mal mein Glas halten, während ich aus dem Fenster springe“, singst du. Ist Small Talk auf Partys wirklich so schlimm für dich?

    Bendzko: Die Zeilen sind natürlich sehr zugespitzt. Ich bin nicht ständig in solchen Situationen, in denen ich einfach nur irgendwo verschwinden möchte. Doch gerade am Anfang meiner Karriere, mit der fehlenden Erfahrung und dem nicht vorhandenen Selbstbewusstsein, war es schwierig, sich bei gesellschaftlichen Anlässen einigermaßen gut zu präsentieren. Ich habe mich dabei oft nicht wohlgefühlt und versucht, mich vor solchen Situationen zu drücken oder wenigstens schnell wieder rauszukommen.

    Hat man gar nicht gemerkt. Du bist ja eigentlich immer recht forsch und fröhlich um die Ecke gekommen.

    Bendzko: Fremd- und Selbstwahrnehmung sind eben nicht immer identisch. Ich bin zwar Berliner, aber am Rand der Stadt, in Köpenick, aufgewachsen. Ich war diesen Trubel aus meiner Jugend nicht gewohnt. Im kalten Wasser musste ich lernen zu schwimmen.

    Köpenick ist halt nicht das „Soho House“, der ach so hippe Privatklub in Berlin-Mitte.

    Bendzko: Ein sehr guter Vergleich. „Kein Problem“ beschreibt alles, was im „Soho House“ so passieren kann. Sehen und gesehen werden. Vielleicht gibt es ja zum Beispiel ein paar Menschen, die da zum Sportmachen hingehen, weil sie das Fitnessstudio so toll finden. Aber die meisten trainieren dort, weil sie sich irgendeinen Vorteil davon versprechen. Ich habe nichts dagegen, aber das ist einfach überhaupt nicht meine Welt. Ich gehe lieber im Wald spazieren.

    Lieber den Finger in die Wunde legen als auf andere damit zu zeigen

    Trotz seines etwas sarkastischen Inhalts kommt der Song schön fröhlich und sommerhitmäßig daher.

    Bendzko: Ja, und das ist auch der Grund, warum wir ihn so relativ spontan veröffentlicht haben, ohne dass ein Album schon fertig wäre. Das Lied geht kritisch mit dem Thema „Oberflächlichkeit“ um, aber es schleicht sich so ein bisschen an. Ich mag es sowieso nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich lege ihn lieber humorvoll in die Wunde.

    Ist es tatsächlich einer deiner Partytricks, so zu tun, als ob du Ahnung von Wein hättest?

    Bendzko: Nein. Von Wein habe ich wirklich gar keine Ahnung. Aber es gibt andere Bereiche, über die ich was gehört oder gelesen habe und dann gleich meine, der absolute Experte zu sein.

    Das Konzert war in Wirklichkeit eine wissenschaftliche Studie

    Welche Bereiche sind das?

    Bendzko: Das Naheliegendste ist gerade Corona. Wir alle sind Corona-Experten, wissen über jeden Impfstoff Bescheid, wussten schon vor einem Jahr, wie die Pandemie verlaufen wird, manche kennen sogar die Inzidenz von jedem einzelnen Kreis.

    Du selbst hast Corona wissenschaftlich begleitet mit einem experimentellen Konzert im vergangenen Jahr.

    Bendzko: Das stimmt, aber das war tatsächlich kein Konzert, sondern eine wissenschaftliche Studie, in der wir immer wieder für 15 Minuten ein Konzert simuliert haben. Das hat alles unter sterilen Bedingungen stattgefunden. Ich fand es wichtig und spektakulär, Teil von so einer Sache zu sein. Die Ergebnisse dieser Studie waren auch mutmachend, kamen aber genau in der Phase, als die zweite Welle Fahrt aufnahm. Die Politik konnte schlecht sagen: „Alles andere verbieten wir mal, aber Konzerte können stattfinden, da gibt es tolle und sichere Konzepte.“ Gleichzeitig war es einmal mehr total bitter für die Veranstaltungsbranche, die richtig Geld ausgegeben hat für diese Konzepte – und am Ende ging doch nichts.

    Es klingt wie die Antwort auf "Nur noch kurz die Welt retten"

    Du selbst wolltest ursprünglich in diesem Jahr komplett pausieren. Fiel dir die Decke auf den Kopf oder wie ist „Kein Problem“ entstanden?

    Bendzko: Grundsätzlich ist es ja totaler Luxus, als Selbstständiger sagen zu können, man arbeitet jetzt mal nicht. Ein paar Monate lang habe ich das auch durchgehalten – bis ich die Anfrage bekam, für ein spezielles Projekt einen Song zu schreiben. Das war dann nicht so einfach, ich hatte den Kopf auch voll mit dem Baby und bin trotz einiger Nachtschichten nicht rechtzeitig für das Projekt fertiggeworden. Jetzt denke ich „Kein Problem“ klingt wie die Antwort auf „Nur noch kurz die Welt retten“, der vor genau zehn Jahren rausgekommen ist.

    Du bist Ende 2020 Vater geworden. Wie macht sich der Sohn denn so?

    Bendzko: Prächtig. Man macht sich vorher unendlich viele Gedanken, wie das Vatersein wohl wird, und dann ist es genauso, wie man es sich vorgestellt hat. Und auch wieder nicht. Denn Gefühle kann man sich ja nicht vorstellen, die muss man erleben. Also kurzum: Ich finde es super, Vater zu sein, auch wenn es anstrengend ist.

    Sein Beitrag: Er fährt seit vier Jahren rein elektrisch

    Wer sich entscheidet, ein Kind zu bekommen, glaubt ja grundsätzlich an die Zukunft der Menschheit. Geht der Planet nun doch nicht unter?

    Bendzko: Ein sehr komplexes Thema! Seit ich denken kann, habe ich das Gefühl, dass wir fast jedes Jahr irgendeine riesige Krise haben. Medial gesehen sind gute Nachrichten auch einfach nicht so populär wie schlechte. Mir ist klar, dass diese Krisen real sind, an Corona sind jeden Tag Menschen gestorben und sterben noch immer, aber es passieren eben auch gute Sachen, die man aus meiner Sicht nicht oft genug würdigt.

    Was zum Beispiel?

    Bendzko: Allein schon, wie schnell wir diese Pandemie mit Impfstoffen weitgehend in den Griff bekommen. Und wenn ich sehe, wie meine Familie vor 20 Jahren gelebt hat, und wie meine Eltern jetzt leben, ohne dass sich ihre berufliche Situation verändert hätte, dann fällt mir schon auf, wie stark der Lebensstandard in dieser Zeit gestiegen ist. Wir nehmen einfach nicht richtig wahr, wie vieles sich verbessert und weiterentwickelt hat. Viele Sachen entwickeln sich wirklich in eine gute Richtung.

    Ist es demnach gar nicht mehr nötig, die Welt zu retten?

    Bendzko: Doch, natürlich. Nur wird es den einen, alles überragenden Welt-Retter, der die Dinge für uns regelt, nicht geben. Jeder Einzelne von uns muss diese Arbeit übernehmen und einen Beitrag leisten.

    Was ist dein Beitrag?

    Bendzko: Ich fahre seit vier Jahren rein elektrisch, auch wenn die Technik damals noch nicht ausgereift und ein bisschen unwirtschaftlich war. Irgendeiner muss ja den Anfang machen.

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