Herr Ceylan, im Song „Yallah Hopp“ schildern Sie, wie Sie morgens um 6 Uhr aufstehen und Ihren Kindern Frühstück machen. Beschreiben Sie die Realität oder eine Wunschvorstellung?
BÜLENT CEYLAN: (lacht) Kommt ganz auf den Tag an. Heute war es meine Frau, die den Hunger der Kinder gestillt und sie zur Schule gebracht hat. Der frühe Morgen ist meist nicht so meine Zeit, ich hole sie dafür häufig wieder ab. Nachher gehe ich mit meinem Sohn zum Basketball und schaue ihm beim Training zu. Der ist richtig gut.
Wie viele Kinder haben Sie eigentlich?
CEYLAN: Vier. Die Tochter aus meiner ersten Ehe ist schon groß und aus dem Haus. Dann habe ich noch drei Kinder im Alter von ganz klein bis ins Grundschulalter. Ich spreche nicht so gern über meine Kinder, die sollen ihr Privatleben haben, aber ich kann sagen, dass sie wirklich sehr witzig sind.
Wie witzig waren Sie denn selbst in der Grundschule?
CEYLAN: Na ja, ich habe vielleicht mal meine Mutter zum Lachen gebracht, aber sonst war ich eher zurückhaltend. Ich habe als Schüler Mobbing erlebt, mich oft als Außenseiter gefühlt, das war alles nicht so schön.
Denken Sie, für ein Kind mit Migrationshintergrund ist es heute leichter oder eher schwerer als zu Ihrer Zeit in den Siebzigern und Achtzigern?
CEYLAN: Ich denke, der Rassismus, den es früher gab, war schlimmer und extremer als der, den es heute gibt. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater war Türke. Als die beiden sich kennenlernten, war das Problem nicht so sehr die Religion. Er war nicht der Moslem, er war der „Türk“. Heute, so zumindest ist meine Überzeugung, sind die meisten Menschen in Deutschland gastfreundlich, tolerant und weltoffen. Sie mögen nicht immer glücklich mit der aktuellen Regierung sein, aber die ganz große Mehrheit ist nicht rechtsextrem und will mit Nazis nichts zu tun haben.
Sind Sie sicher?
CEYLAN: Von den Leuten, denen ich so begegne, Handwerkern zum Beispiel, da sagen schon manche, dass sie unzufrieden sind und dass sie es nicht leicht haben, über die Runden zu kommen. Diese Dreier-Koalition macht viele unglücklich, das stelle ich schon fest. Trotzdem käme den allermeisten nie in den Sinn, eine rechtsradikale Partei zu wählen.
Diese Menschen gibt es allerdings auch. Sie singen gegen sie an. „Klopf Klopf“, „Rüstung aus Hass“ und „Lieder gegen Nazis“ richten sich gegen Internethetze, Hass und Spaltung. Ist eine klare Haltung für einen Künstler aktuell wichtiger denn je?
CEYLAN: In der Tat ist es gerade besonders wichtig, ganz klar Flagge zu zeigen gegen die ganze Scheiße. Ich bin selbst überrascht, was für eine Bedeutung ein Stück wie „Rüstung gegen Hass“ gerade bekommt. Ich stelle ganz klar: In meinen Shows sollen alle sitzen und sich wohlfühlen – Juden, Moslems, Christen, große, kleine, dicke oder dünne Menschen, ganz egal. Bei mir regiert nicht der Hass, bei mir herrscht die Liebe.
Und das schon im Albumtitel. „Ich liebe Menschen“ klingt etwas sarkastisch, fast subversiv.
CEYLAN: (lacht) Ja, schon. Ich hätte nicht gedacht, dass der Titel den Nerv jetzt so sehr trifft. Das kannst du nicht vorhersagen. Eigentlich ist es traurig, dass man die Nächstenliebe so herausstellen muss, aber es ist notwendig in diesen Zeiten. Ich will ja nicht so der Moralapostel sein, aber die Leute danken es dir, wenn du in der Öffentlichkeit stehst und Gesicht zeigst, sei es gegen rechts, sei es gegen Religionskriege, sei es gegen Kriege überhaupt. Da draußen gibt es viel Schlimmes, da will ich nicht noch ein Album machen, das düster und negativ ist. Die Leute kennen mich ja sowieso eher als einen, der will, dass sich alle vertragen.
„Sie sind im Grunde noch wie Affen und auf dem Weg, sich abzuschaffen“, singen Sie im Titellied. Lieben Sie die Menschen, gerade weil sie so unperfekt und fehlerhaft sind?
CEYLAN: Absolut. Dieses Album ist eine Waffe, es ist meine Liebeswaffe. Weil viele so krass hassen, halte ich umso stärker dagegen. Man hört ja nur noch schlechte Nachrichten, Krieg, Klimawandel, AfD, alles solche „Was ist denn jetzt los?“-Meldungen. Ich muss aber doch meinen Kindern ein bisschen Optimismus einpflanzen, eine grundsätzliche Zuversicht in diese Welt und in ihre Zukunft.
Ihre Haltung wird gerade von Hunderttausenden geteilt, die auf die Straße gehen, um gegen Rechtsextremismus und Hass zu demonstrieren.
CEYLAN: Das ist die Liebeswaffe in groß. Ich unterstütze diese Proteste zu hundert Prozent. Ich denke, sie sind speziell für die Leute, die Migrationshintergrund haben, ein ganz wichtiges Zeichen. In meinem Bekannten- und Freundeskreis herrschen gerade viele Ängste, auch wir als Familie machen uns manchmal Gedanken, was denn wäre, wenn das hier in eine noch bedrohlichere Richtung gehen würde. Können wir dann überhaupt noch in Deutschland wohnen? Ich habe eine deutsche Mama, ich liebe dieses Land, ich liebe die Menschen. Ich will hier nicht weg.
Glauben Sie, dass die Proteste Wirkung zeigen?
CEYLAN: Diejenigen, die aus Protest rechtsextrem wählen, werden hoffentlich so langsam wach. Man kann die Regierung kritisieren, aber wenn es bei der nächsten Wahl darauf ankommt, dann sollte man schon lieber das kleinere Übel wählen, sprich nicht einer der rechten Parteien seine Stimme geben. In jedem Land gibt es Arschlöcher, die Nazis wählen oder Nazis sind, aber die gab es auch schon immer.
Mit ihrem Comedy-Programm sind Sie schon beim Festival in Wacken aufgetreten. Wie kamen Sie auf die Idee, jetzt eine Heavy-Metal-Platte zu machen?
CEYLAN: Im Grunde genommen geht hier für mich ein Jugendtraum in Erfüllung. Als Teenager spielte ich in einer Band, aber dann hatten wir andere Interessen, es ging auseinander, ich verbrachte mehr und mehr Zeit mit Comedy. Aber die Musik war immer in mir drin. Natürlich habe ich mein ganzes Leben sehr viel Metal gehört, Metallica, Korn, Rage Against The Machine, Tool. Und dann habe ich 2019 bei der ersten Staffel von „The Masked Singer“ mitgemacht und kam mit meinen Rocksongs bis ins Finale. So ist dann die Idee entstanden, weil mich auch viele Fans meiner Comedyshow seit vielen Jahren danach fragen, ob es nicht mal ein ganzes Album von mir gibt. Jetzt kriegen die Leute, was sie wollten. Und vielleicht kann ich nebenbei das typisch deutsche Schubladendenken aufbrechen.
Wie meinen Sie das?
CEYLAN: Niemand muss sich entscheiden, ob er Comedy oder Rockmusik macht. Es geht beides.
Was ist der Unterschied?
CEYLAN: Als Comedian habe ich das oberste Ziel, die Leute zum Lachen zu bringen. In der Musik kann ich auch mal eine Liebesballade singen wie „Engel landen weich“. Dieses Album, das ist Bülent pur.
Wie findet Ihre Mutter die Platte?
CEYLAN: (lacht) Sie sagt: „Bülent, dass du das aushältst, immer dieser Lärm.“ Aber bei „Wenn Metaller traurig sind“ hat sie gelacht und generell findet sie als katholische, die Nächstenliebe sehr hochhaltende Frau die Texte sehr gut. Sie meint, die Botschaft ginge ihr richtig unter die Haut.
Ist sie froh, dass mit Peter Maffay, der mit Ihnen das Duett „Anders gleich“ singt, auch ein Musiker aus ihrer Generation dabei ist?
CEYLAN: Klar, aber noch lieber hört die Mama Roland Kaiser.
Wollen Sie nicht mal zusammen singen?
CEYLAN: Das machen wir jetzt! Ich bin in seiner Jubiläumsshow „Giovanni Zarrella präsentiert: 50 Jahre Roland Kaiser“ dabei. Wir präsentieren „Santa Maria“ zusammen, er singt wie immer, ich singe Hardrock. Ich finde es toll, dass Roland sich darauf eingelassen hat. Es wird sowieso Zeit, die Rockmusik in Deutschland mal wieder salonfähiger zu machen. In Island geht sogar der Präsident auf ein Metal-Festival und feiert richtig mit. Stell dir jetzt nur mal Olaf Scholz in Wacken vor (lacht).
Das würde ihm wahrscheinlich ganz guttun.
CEYLAN: Ja, das glaube ich auch. Wenn er mal einen Abend lang richtig abgerockt hat, geht er danach vielleicht mehr aus sich raus. Metal ist wirklich auch eine supergeeignete Therapie, um mal den Frust rauszulassen.
Sie engagieren sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Haben Sie schon mal überlegt, selbst in die Politik zu gehen?
CEYLAN: Politiker zu sein ist keine leichte Aufgabe. Du hast sehr viel Verantwortung, brauchst ein dickes Fell und musst Entscheidungen treffen, die nicht immer einfach sind. Einen gewissen Respekt gegenüber Politikerinnen und Politikern finde ich daher sehr wichtig, sonst wirst du keinen jungen Menschen mehr finden, der sich das antun möchte. Wir können kritisieren, aber wir dürfen nicht fertigmachen oder drohen. Ich finde es ganz schrecklich, wenn Politiker Angst haben müssen vor den Bürgern.
War das jetzt ein „Ja“ oder ein „Nein“?
CEYLAN: Ein „Nein“. Ich bin jemand, der die Menschen zum Lachen bringt. Und zum Rocken. Als Politiker wären meine Möglichkeiten sehr beschränkt.
Sie sind in Mannheim geboren, leben heute in Weinheim, was nicht weit weg ist. Wollten sie jemals woanders wohnen?
CEYLAN: Nein, nie. Ich brauche meine Region Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg. Hier lebt meine Familie, meine Mutter, meine Geschwister. Diese Nähe ist mir sehr wichtig. Außerdem habe ich hier meine ganzen Ärzte (lacht). Man wird ja nicht jünger.
Aber das Haupthaar ist noch voll und prächtig. Ein echtes Plus als Metal-Mann, oder?
CEYLAN: Zum Headbangen sind die Haare ein Segen! Ich habe lange Haare, seit ich 16 bin, sie gehören zu mir und sind Teil meines Lebensgefühls. Wenn sie ausfallen, ergebe ich mich der Natur, aber ich werde alles dafür tun, sie so lange auf dem Kopf zu behalten, wie es geht.
Zur Person
Bülent Ceylan wächst als Sohn eines türkischen Gastarbeiters in Mannheim auf und steht nach dem Abitur für erste Auftritte auf der Bühne. Sein Philosophiestudium bricht er ab und tourt stattdessen als Comedian durch Deutschland. Der Durchbruch gelingt ihm 2002 mit seinem Programm "Döner for one", in dem er sich über die Marotten von Deutschtürken lustig macht und kulturelle Vorurteile entlarvt. Es folgen zahlreiche Fernsehauftritte und Comedy-Programme. Für seinen Witz wurde der 48-Jährige mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem deutschen Comedy-Preis. Ceylan ist Metal-Fan und trat zweimal beim Wacken Open Air auf. Am 1. März erscheint sein erstes Heavy-Metal-Album „Ich liebe Menschen“. Am 24. Februar ist Ceylan in der ZDF-Jubiläumsshow „Giovanni Zarrella präsentiert: 50 Jahre Roland Kaiser“ zu sehen.