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Interview: Howard Carpendale: "Früher habe ich vor Konzerten drei Stunden Tennis gespielt, aber das ist vorbei"

Interview

Howard Carpendale: "Früher habe ich vor Konzerten drei Stunden Tennis gespielt, aber das ist vorbei"

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    Howard Carpendale hat mit „Let’s Do It Again“ noch mal ein neues Album veröffentlicht.
    Howard Carpendale hat mit „Let’s Do It Again“ noch mal ein neues Album veröffentlicht. Foto: Oliver Berg, dpa

    Herr Carpendale, Sie haben so viele Hits. Was war Ihre Motivation, mit 77 Jahren noch mal ein neues Album mit ganz neuen Songs herauszubringen?
    HOWARD CARPENDALE: So schön die letzten drei Aufnahmen bekannter Lieder mit Orchester waren, so drängte es mich doch, noch einmal etwas ganz Neues zu hinterlassen in meiner Sammlung von Musik. Und es ist nun mein definitiv letztes Album, darum ist es mir auch sehr wichtig.

    Wie sind Sie es angegangen, diesen musikalischen Schlussstein zu setzen?
    CARPENDALE: Ich habe versucht, mit verschiedenen Leuten gemeinsam Lieder zu komponieren. Und in der Branche hatte es sich auch schnell herumgesprochen, dass ich ein neues Album machen will. Da kommen dann auch jede Menge Vorschläge. Letzten Endes ist es aber vor allem bei einem jungen Künstler geblieben, der sechs Titel dieses Albums geschrieben und komponiert hat. Auch Nino de Angelo hat mir eine Nummer geschickt. Ein paar Titel habe ich zusammen mit einem Kollegen erarbeitet. Und so sind schnell zwölf Songs zusammengekommen.

    Wie wurde das Album produziert?
    CARPENDALE: Es wurde von Thorsten Brötzmann produziert, mit ihm habe ich bereits vor 20, 30 Jahren erfolgreich zusammengearbeitet. Ihm gelingt es, wie ich meine, einen sehr zeitgenössischen Sound zu produzieren.

    Einer der Songs trägt den Titel "Weiße Taube". Es ist ein Friedenslied, in dessen Text unter anderem eine der zentralen Fragen unserer Tage gestellt wird: Woher kommt all dieser Hass in der Gesellschaft?
    CARPENDALE: Das Lied ist von dem gerade erwähnten Songwriter, der es mir kurz nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine geschickt hat, und nimmt diese Stimmung in der Gesellschaft auf. Ich wollte das Lied unbedingt singen. Das einzige Problem war: Singt man so einen Titel, sagen manche Leute schnell, jetzt will er Geld mit dem Krieg verdienen. Deswegen habe ich meiner Plattenfirma gesagt: Ich zahle das Lied selbst und will auch keine große Promotion dafür. Der Song ist bei Youtube versteckt. Ganz ohne Werbung hat die Nummer allerdings inzwischen schon 600.000 Klicks.

    Nicht schlecht. Ist es für Sie wichtig, nicht mehr nur über leichte Themen zu singen, sondern auch nachdenkliche Texte und Lieder aufzunehmen?
    CARPENDALE: Nein, so würde ich das nicht sagen. Es muss bei mir nicht zwanghaft ein politisches Lied dabei sein. Aber mir gefiel der Song „Weiße Taube“ schlichtweg sehr gut. Das war für mich dann ausschlaggebend, und es passte zum richtigen Moment.

    Die Lieder des Albums sind hochwertig aufgenommen und weitgehend mit echten Instrumenten eingespielt. Wie wichtig ist Ihnen diese Qualität? Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen setzen eher auf schnelle Kost, rein am Computer produzierte Songs.
    CARPENDALE: Das ist mir natürlich schon wichtig. Aber es ist hauptsächlich dem Produzenten zu verdanken. Da habe ich gar nicht so viel damit zu tun. Ich habe beim Mischen mein Mitspracherecht ein bisschen eingebracht, aber der Sound kommt von Thorsten Brötzmann.

    Sie sagen, Sie mögen „dieses ganze moderne Sampling“ nicht, das im Moment Mode ist. Das wichtigste Instrument im Moment sei die Basstrommel. Was stört Sie daran?
    CARPENDALE: Dieser in den 70er Jahren entwickelte Four-on-the-floor-Discorhythmus, bei dem die Basstrommel permanent angeschlagen wird, geht mir so auf den Keks! Das ist der Tod der differenzierten Rhythmen. Wenn Sie mir sagen, komponiere etwas mit Four-on-the-floor, dann schreibe ich Ihnen an einem Vormittag 20 Lieder. Das ist so einfach. Und es ist keine gute Entwicklung. Aber wir kommen einfach nicht weg davon.

    Warum gelingt das nicht?
    CARPENDALE: Der Markt fragt nach Partyliedern, die gerne auf Veranstaltungen gespielt werden, bei denen oft viel getrunken wird. 

    Aber grundsätzlich ist Schlager doch aktuell angesagt.
    CARPENDALE: Es ist eine lange Geschichte. Man sagt, Schlager liege im Trend. Und das ist einerseits wahr und dann auch wieder nicht. Was ist passiert? Junge Menschen, die früher mit Schlager nichts zu tun haben wollten, haben festgestellt: Für Partys sind die Lieder super. Und deswegen läuft Schlager sehr gut, aber nur, was das Hören betrifft. Neue Stücke verkaufen sich hingegen nicht so gut. In den Charts sind nur wenige Schlagertitel. Allerdings muss man grundsätzlich sagen: Helene Fischer hat unserer Branche in den letzten Jahren sehr gut getan. Sie hat die Schlagermusik wieder nach vorne gebracht. Und der Four-on-the-floor-Wahnsinn geht wahrscheinlich auf den Wendler zurück. (Anmerkung der Redaktion: gemeint ist der umstrittene Sänger Michael Wendler)

    Wie stehen Sie denn zu aktuellen Musikrichtungen wie Hip-Hop?
    CARPENDALE: Ich liebe jede Art von Musik. Ich bin in Südafrika ohne Fernsehen aufgewachsen. Erst als Erwachsener in London habe ich mein erstes TV-Gerät gesehen. Also habe ich damals viel Radio gehört, und da wirklich jede Art von Musik. Ich schätze auch klassische Musik und ich liebe Heavy Metal! 

    Sie sind ein bekennender Anhänger von Livemusik. Nächstes Jahr werden Sie wieder auf Tournee gehen. Das ist doch Stress pur. Was ist das Schöne daran? Warum tun Sie sich das noch an?
    CARPENDALE: Eigentlich ist nur die Fahrerei Stress. Kürzlich sind wir in sechs Wochen 15.000 Kilometer gefahren. Das ist schon Wahnsinn. Deswegen fahren wir immer nachts. Und glücklicherweise habe ich einen tollen Fahrer, dem ich total vertraue. 

    Die Konzerte selbst strengen Sie nicht an?
    CARPENDALE: Natürlich gibt es auch Konzerte, die anstrengend sind, weil es nicht so fließt, wie man es gerne hätte. Es gibt Abende, an denen man ein bisschen kämpfen muss. Aber die letzte Tour war super. Ich hatte das längste Programm, das ich jemals gemacht habe. Ich ging um 20.05 Uhr auf die Bühne und kam meistens erst kurz nach 23 Uhr wieder runter. 

    Wenn Sie noch mal geboren würden. Würden Sie heute nochmals den Beruf des Sängers einschlagen oder würden Sie anders wählen?
    CARPENDALE: (lacht) Nicht, wenn ich gut genug beim Golf wäre und damit mein Geld verdienen könnte. Nein, im Ernst. Es ist ein wunderbares Gefühl, die Menschen berühren zu dürfen mit dem, was ich mache.

    Sind Sie abergläubisch und haben Sie ein spezielles Ritual, bevor Sie auf die Bühne gehen?
    CARPENDALE: Im Grunde genommen nicht. Allerdings verfolge ich auf Tournee schon strikt einen Rhythmus. Das ist ganz wichtig. Wir fahren gleich nach der Show ins Hotel, und ich schlafe dann bis 10 oder 11 Uhr. Nachmittags gönne ich mir nochmals ein Nickerchen. Dann beginnt der Soundcheck, und oft wird noch ein Meet and Greet mit Fans drangehängt. Dann essen wir alle – und um acht Uhr geht es ab auf die Bühne. Es stimmt schon: Eine Tournee ist viel leichter zu bewältigen, wenn man eine tägliche Routine hat. Früher habe ich vor den Konzerten sogar drei Stunden Tennis gespielt, aber das ist vorbei.

    Haben Sie nach 57 Jahren auf der Bühne eigentlich noch Lampenfieber?
    CARPENDALE: Also, ich hatte nur am Anfang meiner Karriere Lampenfieber. Singen ist ja mein Beruf, und manche finden es schick zu sagen, sie seien nervös. Bei mir ist das Quatsch! Wenn ich vor jedem Konzert wegen Nervosität sterben würde, dann würde ich längst nicht mehr leben. Ich weiß, was ich auf der Bühne zu tun habe. Wenn Sie vor dem Konzert in meine Garderobe kämen, würden Sie nicht denken, dass in sieben Minuten das Konzert beginnt. Wir haben da echt Spaß.

    Sie haben vor vielen Jahren Ihre Karriere schon einmal beendet. Dann kamen Sie zurück, weil Ihnen das Leben ohne Bühne zu langweilig war. Können Sie sich heute den Ruhestand vorstellen?
    CARPENDALE: (lacht) Ja, und der dauert Millionen von Jahren.

    Zur Person

    Howard Carpendale landete mit "Ti Amo" oder "Hello Again" Riesenhits und zählte in den 1970er und 1980er Jahren zu den beliebtesten Schlagerstars. In Südafrika geboren, versuchte er sich als Beatsänger und Elvis-Imitator, siedelte 1966 dann aber nach Europa über. Drei Jahre später veröffentlichte er seinen ersten Hit in Deutschland mit einer Coverversion des Beatles-Songs "Ob-La-Di, Ob-La-Da". Er war auch am Titellied "Hurra, hurra, der Pumuckl ist da" der TV-Kinderserie "Meister Eder und sein Pumuckl " beteiligt. 2003 kündigte Carpendale seinen Rückzug aus dem Musikbusiness an, gab fünf Jahre später dann aber doch wieder ein paar Konzerte und veröffentlichte Alben. Sechs Jahre nach „Wenn nicht wir“ hat der 77-Jährige mit „Let’s Do It Again“ jetzt noch mal eine Platte aufgenommen. Carpendale lebt mit seiner Frau Donnice Pierce in München und hat zwei Kinder. 

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