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Literatur: "Der heutige Tag": Helga Schubert über zwei alte Liebesleute

Literatur

"Der heutige Tag": Helga Schubert über zwei alte Liebesleute

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    Helga Schubert schreibt in "Der heutige Tag" über zwei alte Liebende.
    Helga Schubert schreibt in "Der heutige Tag" über zwei alte Liebende. Foto: Renate von Mangoldt

    „Jede Sekunde mit dir ist ein Diamant, sagt Derden zu mir, als ich morgens in sein Zimmer und an sein Pflegebett komme. Wir sind seit 58 Jahren zusammen. Zwei alte Liebesleute. Ist es morgens oder abends, fragt er mich dann.“

    Das sind die ersten Zeilen aus „Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe“ und schon diese ersten wenigen Zeilen zeigen, was für eine wunderbare Schriftstellerin Helga Schubert ist. Alles gesagt, zwei alte Liebesleute, kein Dekor, der Ton fein und leicht gesetzt, eine traurig-komische Pointe: Morgens oder abends?

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    Foto: Montage AZ

    Derden und die Erzählerin, sie sind in diesem autobiografischen Buch unschwer als Johannes Helm, 96, emeritierter Psychologieprofessor, Maler, Schriftsteller, und eben Helga Schubert, 83, Diplompsychologin, Therapeutin, Schriftstellerin, zu erkennen. Aus dem Literaturbetrieb hatte sich Schubert schon einmal zurückgezogen, fast zwanzig Jahre ohne Veröffentlichung. Dann gewann sie mit 80 Jahren mit der Erzählung „Vom Aufstehen“ den Bachmann-Preis, wurde für den Leipziger Buchpreis nominiert, und so ist es nun mit der Schriftstellerei: Wenn der Mann nachts schläft, wird der Computer hochgefahren, beginnen ihre Stunden des Schreibens. Tagsüber ist keine Zeit dafür. Denn der Lebensbegleiter gleitet ins Vergessen ab.

    Soll sie sich zu ihm in seine zeitvergessene Welt gesellen?

    An einem Tag erzählt er ihr erstaunt, es sei eine Frau da gewesen, die genau wie sie aussähe, sie imitiere. An einem anderen Tag fragt er nach, wann denn die Kinder zum Weihnachtsessen kommen, ob sie denn etwa gar nicht Heilig Abend feiern werden. Es ist der 18. Februar und die Erzählerin, die froh vor wenigen Wochen erst das Haus weihnachtsgesäubert und -entlüftet hat, hadert: Auf die schnöde Realität beharren, ihren Mann damit konfrontieren, oder sich zu ihm in seine eigene zeitvergessene Welt gesellen.

    Helga Schubert schreibt ohne Sentimentalität, mit dem scharfen Blick der geübten Beobachterin, auch von sich selbst. Kein Zuckerguss also über die Vergangenheit, kein Zuckerguss über die Gegenwart. Der Alltag ist zum Irrewerden! Betreuungspersonal ist im kleinen Weiler in Mecklenburg rar, die erwachsenen Kinder haben sich eh schon vorsorglich abgemeldet. Einmal will sie nach Berlin, eine für sie wichtige Einladung, sie soll beim Gedenktag für die Opfer der NS-Euthanasie aus ihrem Buch „Die Welt da drinnen“ über die Euthanasieopfer in der Schweriner Nervenklinik lesen. Aber alle, die sie fragt, ob sie sich für ein paar Stunden um ihren Mann kümmern können, winken ab: beschäftigt, frei, eine Pflegeschwester will sich den Tag für den verheirateten Geliebten freihalten … An einer Stelle schreibt Helga Schubert: „Wie lange wird in Deutschland die Pflege eines alten kranken hilfsbedürftigen Menschen, der gerne zuhause leben und auch sterben will, noch so holprig sein, so ausschließlich auf einen Angehörigen bezogen.“ An einer anderen: „Manchmal trauere ich nur um mich.“ 

    Helga Schubert lässt weg, aber spart nichts aus

    Wie leicht könnte so eine Erzählung kippen. Aber, und das ist auch wieder die Schubertsche Kunst, sie lässt weg, aber spart ja nichts aus. Verzweiflung, Wut, Angst, Fassungslosigkeit. Alles da, vor Jahren schon hat ihr ein Spezialist in der Schlafforschung geraten, ihrem Mann einfach ein paar Tropfen Morphium zu geben. „Das ist doch kein Leben mehr für ihn.“ Und zugleich aber schreibt sie eben auch und vor allem, vom Glück. Vergangenes. Als man sich kennenlernte, war sie Abiturientin, er der Uni-Assistent, der das Aufnahmegespräch fürs Studium führen musste. Verheiratet sind beide dann erst mal mit anderen. Die mittleren Jahre, sie wollte ausreisen, er in die Weite Mecklenburgs und des Himmels schauen. Mit Mitte vierzig beginnt er mit dem Malen, dann mit dem Schreiben. Für sein erstes Buch verfasst sie für den Umschlag ein paar Zeilen, lässt sie mit den Worten enden, dies sei ein Buch, das Hoffnung macht: „Eigentlich könnte jeder von uns täglich neu anfangen.“ Und dann das jetzige Glück, in der Sonne sitzen, Hand halten, scherzen. Ob man nicht mal den Bestatter einladen solle, sagt ihr Mann, erstes Kennenlernen …

    Und so wird aus diesem Stundenbuch der Liebe eben dann kein Seelenbeschwerer, kitschfrei ohnehin, sondern – eher gegenteilig – ein Seelentröster. Schreibt also Helga Schubert: „Wir sind doch da. Ein wunderbar tröstlicher Satz. Wir sind doch da. Ich kann ihn nicht ohne Rührung schreiben.“ Stefanie Wirsching

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