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Schuh-Mode: Das Phänomen Dr. Martens: Der Kult ist tot

Schuh-Mode

Das Phänomen Dr. Martens: Der Kult ist tot

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    Der Klassiker, hier aber nicht etwa am Fuß von Kurt Cobain – sondern getragen von einem Model bei der Moskauer Fashion Week vor ein paar Jahren.
    Der Klassiker, hier aber nicht etwa am Fuß von Kurt Cobain – sondern getragen von einem Model bei der Moskauer Fashion Week vor ein paar Jahren. Foto: Yuri Kochetkov, dpa

    Schade auch um die schöne Geschichte, die doch von so viel mehr zu erzählen hatte, als von einer bloß schicken Schuhmarke, aufgestiegen zu weltweiter Bekanntheit. Und die begann auch noch in Bayern, in Seeshaupt am Starnberger See nämlich, wo ein Mann namens Klaus Maertens lebte, nicht nur Arzt, sondern auch gern an der Lösung von Problemen des Alltags tüftelnd. 

    Von Doktor Klaus Maertens zu den Dr. Martens, den "Docs"

    Es war kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich der Mediziner der Legende nach beim Skifahren das Bein brach und dann keinen alltagstauglichen Schuh fand, der ihm zuverlässig den Schmerz beim Auftreten nahm. 1945 also, da und so soll der Dr. Maertens auf die Idee gekommen sein, die noch heute an den (neben den gelben bis orangen Nähten) ikonischen Stiefellaschen der internationalisierten Marke Dr. (sprich „Doc“) Martens ausgewiesen wird, „AirWair – with Bouncing Soles“: eine Luftpolsterung, aus alten Reifen gebastelt und vier Jahre später patentiert. 

    Damit begann zwar das Abenteuer erst – aber jetzt, ausgerechnet und zufällig, ein Jahr vor dem 75. Geburtstag der Marke, ist es jedenfalls zu Ende. Der variantenreiche Kult um den Schuh ist tot. Und das ausgerechnet, aber so gar nicht zufällig, im Moment seiner größten Verbreitung. Denn der Eindruck auch in deutschen Innenstädten, dass junge Menschen über die Grenzen der Modestile hinweg in Rudeln, aber inzwischen durchaus auch ältere und alte Menschen irgendeine der zahllosen Versionen der „Docs“ tragen, täuscht nicht: Zum ersten Mal lag der Jahresumsatz des Unternehmens bei über einer Milliarde Pfund. In britischer Währung gerechnet, weil Klaus Maertens 1959 dem dortigen Schuhfabrikanten Bill Griggs eine Lizenz zur Nutzung seiner Erfindung erteilte und der dort mit der Herstellung großer Stückzahlen begann. Bei Arbeitern nämlich war der Schuh schnell beliebt, sodass Dr. Martens zu einem typischen Alltagsaccessoire der britischen „Working Class“ wurden. Worauf sich der Kult gründete, um den es zum Ende der Geschichte freilich auch noch gehen muss. 

    Pete Townshend und Kurt Cobain trugen die Docs, rechte Skins und linke Punks

    Inzwischen aber gehört das Unternehmen seit zehn Jahren der Londoner Firma Permira, zu Hause im Bereich „Private Equity“, zu Deutsch einer „Kapitalbeteiligungsgesellschaft“, was so viel heißt wie: Hier wird aus gehorteten Privatvermögen Kapital investiert, um mit Firmenbeteiligungen möglichst rentabel zu investieren. Und da reagiert man freilich überhaupt nicht erfreut, wenn parallel zum neuen Rekordergebnis der Börsenkurs von Dr. Martens um satte zehn Prozent gefallen ist. Was wiederum passierte, weil der Gewinn der Marke zuletzt deutlich gesunken ist und nur noch schlappe 159 Millionen Pfund beträgt, nachdem wohl vor allem das Geschäft mit den klassischen Stiefeln in den USA nicht mehr so brummt, wie es die Investitionen dort versprochen hatten. Und so. Also verkündete Dr.-Martens-Chef Kenny Wilson als neues Ziel die Verdoppelung des Umsatzes auf über zwei Milliarden Pfund, um die Anleger mit höheren Gewinnerwartungen bei der Stange zu halten. 

    Dr. Martens an der Börse und in Händen von "Private Equity"

    Derweil aber stapeln sich die Docs nicht nur in den Lagerhallen der USA – sondern auch bei hiesigen Schustern. Denn bei den je nach Ausführung knapp unter bis etwas über 200 Euro teuren Tretern scheint die Qualität nicht mehr ganz so verlässlich zu sein, und zwar weit über die klassischen Beschwerden hinaus, die sich jeder zuzog, der neue Docs erst mal ausführlich einlaufen musste, bevor sie dann aber zum passgenauen Zuhause der Füße wurden und zu Begleitern in allen Lebenslagen – wenn auch nur noch selten zur Arbeit, wie in den Anfängen. Durchaus als Signum der „Working Class“ aber begann der Kult um die Docs, als Pete Townshend an der Gitarre bei The Who seine Lieblingsschuhe auch auf die Bühne brachte. Und von da an durchwanderten die Stiefel unterschiedliche Jugendkulturen, die der Rechten wie der linken Punks, den Grunge-Rock … – Accessoire des Rebellischen, das Gegenteil von bürgerlichem Chic. 

    Davon freilich war zuletzt, bei bereits ansteigender Konjunktur, kaum noch etwas übrig. Im freien Spiel der Bezüge in der Postmoderne sind die guten alten Docs einfach selbst schick geworden, vor allem bei Frauen, hübsch und gerne auch zum Kleidchen, schon mal auf den Couture-Laufstegen gelandet, ein Schuh, einst mit Bedeutungen aufgeladen, der nun irgendwie zumindest noch aussieht, als hätte er Charakter. Da schon zur bloßen Oberfläche geworden zeigen sich in dieser nun die Folgen für die Qualität im Umsatz- und vor allem Gewinn-Maximierungsbedarf der Private-Equity-Welt. Der Kapitalismus hat den Kult als Produkt der Popkultur mitverbreitet und ausgedünnt – der Turbo-Kapitalismus reduziert wie alles so auch die Docs zum Investitionsobjekt ohne Eigenwert. Die Massen tragen Kapital an den Füßen. Das Märchen ist zu Ende.

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