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Musikbranche: Allgemeinste Positionen: Wie glaubwürdig sind Bekenntnisse von Popstars?

Musikbranche

Allgemeinste Positionen: Wie glaubwürdig sind Bekenntnisse von Popstars?

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    Spielen und singen, damit „Lützi bleibt“? Christopher Annen (links) und Henning May von der Band AnnenMayKantereit spielten zuletzt auf einer Bühne am Rand des Tagebaus, als sich die Proteste zuspitzten.
    Spielen und singen, damit „Lützi bleibt“? Christopher Annen (links) und Henning May von der Band AnnenMayKantereit spielten zuletzt auf einer Bühne am Rand des Tagebaus, als sich die Proteste zuspitzten. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Natürlich, gleich muss er wieder um die Ecke kommen beim Thema Pop und Moral: Bono, der namentlich wie notorisch Gute, messianistisch bis ins Mark, und in der Weltretter-Mission auch auf den größten Popkonzertbühnen dieser Welt so penetrant in der Pose, dass selbst eingefleischteste Fans seiner Band U2 mitunter vor dem nächsten Auftritt hoffen, es werde diesmal nicht allzu viel der kostenträchtigen Liveerlebnis-Zeit fürs Predigen draufgehen …

    Aber eigentlich ist das ja längst oll – und schien einige Zeit geradezu stellvertretend übrig von der Tradition einer legendären, politisch engagierten Pop- und Rockvergangenheit: Aus antibürgerlichem Widerstandsgeist im Namen der Freiheit schien im gewachsenen Wohlstand die alles in Liebe und Frieden umarmende Pop-Messe geworden … 

    Was wollen AnnenMayKantereit beim Protest in Lützerath?

    Blöd bloß, dass der Befund ein die Vergangenheit verklärendes Klischee und auch an der aktuellen Realität vorbeigehender Quatsch ist. Welchem Genre sie exakt auch immer zuzurechnen sind: Stars der Populärmusik sind immer auf Mission. Spielten nicht kürzlich sogar in guter alter Demo-Tradition AnnenMayKantereit in Lützerath? Und sorgt nicht aktuell Ex-Pink-Floyd-Held Roger Waters für reichlich Debatten, weil er sich schon länger sehr betont auch auf der Bühne in der israelkritischen BDS-Bewegung engagiert und nun auch noch Russland gegenüber einen gewogen verbindlichen Ton angeschlagen hat? 

    Das zeigt vielmehr stellvertretend: Von der gegen Geschlechterrollenbilder stürmenden Madonna bis zum Diversität promotenden Harry Styles, von der schwarzen Revolte im US-Rap bis zu Turbokapitalismus-Posen im Deutsch-Rap, vom identitären Rock bis zum R&B mit Black Pride … – die moralischen Positionen sind immer vielfältiger geworden, fragmentiert wie die Gesellschaften und das klassische Protestmuster einer um Emanzipation ringenden Gegenkultur nur noch eines von vielen – und eckt im Gegensatz zu einst gerade dann am meisten an, wenn es nicht mehr von liberal links kommt, sondern exakt dagegen von rechts. 

    Stars wie Bono posaunen allgemeinste Positionen der Moral heraus

    Während im Namen der Liberalität nun mit moralischen Argumenten ein Auftreten oder Schaffen, das auch nur erahnbar oder inszenatorisch aus jener Richtung kommt, mit einer Abscheu verurteilt und einem Impetus gebannt werden soll, die einst den wilden Freiheitstrieben des Rock 'n' Roll entgegenschlugen. Was nur ein weiterer Hinweis dafür ist: Alles, was Position wird, schafft sich im Haltungsmarkt der Moderne seine Gegenposition – samt dazugehöriger Gewinne auf dem multimedialen Aufmerksamkeitsmarkt, je zugespitzter die Positionen sind. 

    So sehr man sich vielleicht wünschen mag, wie es ein Sven Regener von Element of Crime im Interview mit unserer Redaktion getan hat, dass Musikstars von der Bühne nicht meinen, den Menschen, die aus Zuneigung zu deren Musik gekommen sind, auch noch ihre für diese vielleicht ja befremdlichen politischen Überzeugungen aufdrücken zu müssen: Aus dem Labyrinth ist wohl nur zu entkommen, wenn wie von Bono und reichlich Epigonen einfach das Allgemeinste posaunt wird. Wer partout nichts sagen will, dem bleibt nur das Gerede vom Weltfrieden – denn ansonsten droht in der öffentlichen Wahrnehmung auch schon etwas zu sagen, wer nichts sagt, weil er nicht Stellung bezieht, obwohl die moralischen Fragen doch allgegenwärtig wirken. Zumal das Private in seinem nie dagewesenen Maß an Öffentlichkeit bereits politisch ist. 

    Miley Cyrus beschreibt sich als nonbinär, Andreas Gabalier besingt die Heimat

    Miley Cyrus beschreibt sich als non-binär, Andreas Gabalier singt ein Hoch auf eine Heimat, in der es noch stramme Burschen und fesche Madeln gibt, Beyoncé Knowles ist die (auch schon mal auf dem Thron schwangere) Popgöttin des „Black Lives Matter“, Rapperinnen wie Megan The Stallion stehen für „Sex Positivity“, Billie Eilish für den offenen Umgang mit psychischen Problemen, Rammstein dröhnen in ihren lückenlosen Inszenierungen für das Recht, alles ohne Ausnahme zum Gegenstand ihres Kunstspektakels zu machen, Deichkind halten in ironischer Pose der Gesellschaft doch einen Spiegel vor, Kraftklub warnen hoch moralisch vor moralischer Überheblichkeit, Pink ist Power-Feminismus, Haftbefehl rappt reinsten Chauvinismus … 

    Wenn die Popmusik immer schon eine Feier des Anderssein war, erlebt sie darin derzeit eigentlich Hochkonjunktur – bloß dass eben oft zersplittert in identitätspolitische Lager jeder je mit seinem Stamm feiert. Und im gemeinsamen Gefühl, die Guten, die Richtigen zu sein, mit moralischem Bekenntnis, das sich gegenüber anderen abgrenzt, geschieht das nur noch inniger. 

    Im Pop zersplittern sich die Positionen und politischen Bekenntnisse

    In der Zersplitterung der politisch wie moralisch aufgeladenen Zeiten kann, so hat Edelkritiker und Kulturtheoretiker Jens Balzer in seinem Buch „Pop und Populismus“ geschrieben, dem Pop seine eigentliche, größere moralische Kraft erlahmen, die darin bestünde, „dass guter, schöner, emanzipierter Pop immer eine Ästhetik des Werdens und der Grenzüberschreitung verfolgt; eine Ästhetik der Verunsicherung und Überschreitung überkommener Verhältnisse; und eine Ästhetik des Empowerments all jener Menschen, die nicht so leben wollen oder können, wie es ihnen von den Verhältnissen vorgegeben wird.“ 

    Denn im Kern, so Balzer, ist die Popkultur an und für sich selbst moralisch, wie jede Kunst stehe sie für eine Utopie der Solidarität, bei der es „völlig gleichgültig ist, woher man kommt, wie man aussieht, wen man liebt, auf welche Weise man leben möchte“. Und der Autor ist sich sicher: „Die Sehnsucht nach einer solchen Utopie ist heute stärker denn je. Sie wird immer stärker, je deutlicher sich die Konsequenzen der Fragmentierung und zynischen Individualisierung zeigen – in der Einsamkeit der Menschen und im Stress ihres Kampfes gegeneinander.“ 

    Müssen Roger Waters' Konzerte nun abgesagt werden?

    Das führt also schon von der Sache her allzu leicht dazu, dass dann auch Balzer in Bono-artiger Allgemeinheit mit bis zur Beliebigkeit maximalliberalem Pathos landet: „Es geht um die durch nichts zu ersetzende Hoffnung, dass der Pop uns Orte und Räume, Momente und Möglichkeiten zu schenken vermag, in denen Menschen, die vielleicht ganz anders sind als wir selber, uns nicht als Konkurrenten und Gegner begegnen, sondern als Freundinnen und Freunde.“ 

    Die Herausforderung aber steckt im Konkreten. Wenn die immer bekenntnisbereiten Toten Hosen mit verhindern, dass die US-Band Pantera dieses Jahr wieder beim „Rock im Park“-Festival auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände der Nazis in Nürnberg auftreten, weil deren Sänger Phil Anselmo schon mal mit Hitlergruß provoziert, scheint es noch leicht mit der Moral. Aber sollen Roger-Waters-Konzerte einfach abgesagt werden? Und sind AnnenMayKantereit („Habeck, Habeck, du warst mal okay, Habeck, Habeck, dann kam RWE“) jetzt einfach die Guten? So leicht wie in den moralischen Rock-Legendenzeiten ist da eben nichts mehr. Vielleicht werden sie deshalb so gerne verklärt.

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