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Kino: "The Old Oak": Die Alte Eiche und die neuen Verhältnisse

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"The Old Oak": Die Alte Eiche und die neuen Verhältnisse

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    Pub-Inhaber TJ Ballantyne (Dave Turner) stemmt sich dem Lauf der Zeit entgegen.  Szene aus dem Film "The Old Oak" von Ken Loach.
    Pub-Inhaber TJ Ballantyne (Dave Turner) stemmt sich dem Lauf der Zeit entgegen. Szene aus dem Film "The Old Oak" von Ken Loach. Foto: Wild Bunch

    Der letzte Buchstabe hängt schief über der Eingangsfront des Pubs. Der Besitzer des „Old Oak“, TJ Ballantyne (Dave Turner), versucht umständlich mit einem Wischmopp das „K“ wieder in die aufrechte Position zu bringen. Aber kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, rutscht es wieder in die Schieflage zurück. So marode wie der Schriftzug über der letzten verbliebenen Kneipe wirkt der ganze Ort im Nordosten Englands, der vor der Schließung der Mine in den Achtzigern einst ein blühendes Arbeiterstädtchen war. Jetzt – im Jahr 2016 – hängen an den Backsteinfassaden die Verkaufsschilder der Immobilienmakler. 

    Im Pub wird kontrovers über die Flüchtlinge diskutiert

    Einige Grundstücke in der Nachbarschaft sind gerade bei einer Onlineauktion für einen Apfel und ein Ei an einen zypriotischen Investor verkauft worden. Die wenigen Bewohner, die hiergeblieben sind, sitzen ohne Arbeit mit ihren wertlosen Häusern in der Falle. Viele davon verschaffen sich im „Old Oak“ bei einem Pint Bier Luft, während der Wirt TJ schweigsam den Zapfhahn bedient. Gerade sind mehrere Busse mit syrischen Geflüchteten angekommen, die in den leer stehenden Häusern einquartiert wurden. Es kam zu Beschimpfungen und tätlichen Auseinandersetzungen mit einem örtlichen Hooligan. Auch im Pub wird kontrovers über die Neuankömmlinge debattiert. 

    In seinem voraussichtlich letzten Film widmet sich Ken Loach dem Thema Migration aus der Perspektive der Unterschicht. Der 87-jährige Filmemacher gehört zu den wichtigsten Vertretern des sozialen Realismus im britischen Kino, er hat seit Ende der Sechzigerjahre die gesellschaftlichen Veränderungen in seinem Land verfolgt. „The Old Oak“ ist der dritte Teil einer Trilogie. Waren es in „Ich, Daniel Blake“ (2016) die Verzweiflung eines Arbeitslosen und in „Sorry We Missed You“ (2019) die Fallstricke der Scheinselbstständigkeit, widmet sich Loach nun einer ganzen Community von Abgehängten. Über Jahrzehnte ist hier der Groll und die Verzweiflung in den Bewohnern gewachsen. Nun scheint er sich ausgerechnet an den Flüchtlingen zu entladen, die gerade erst einem grausamen Krieg entkommen sind.

    Ken Loach überzeugt mit dem vorwiegend mit Laien besetzten Film

    Aber TJ will nicht in den Chor der Fremdenfeindlichkeit einstimmen. Zwischen ihm und der jungen syrischen Fotografin Yara (Ebla Mari), die mit ihrer Mutter und den Geschwistern in Nordostengland gestrandet ist, beginnt eine sich vorsichtig vortastende Freundschaft. Seit mehr als zwanzig Jahren ist das Hinterzimmer der Kneipe nicht mehr genutzt worden. Dort hängen noch die Fotos von TJs verstorbenem Vater an den Wänden, der den Streik gegen die Schließung der Minen in den 80ern dokumentierte. Damals wurden die Streikenden in diesem Raum verpflegt. Zusammen mit der Sozialarbeiterin Laura (Claire Rodgerson) überredet Yara den Wirt, hier wieder eine Gemeinschaftsküche einzurichten, in der Einheimische und Geflüchtete miteinander essen können. Aber das Tafel-Projekt wird von den Stammgästen des „Old Oak“ torpediert, die Angst haben, dass ihnen das letzte Refugium genommen wird.

    Wie immer überzeugt Loachs vorwiegend mit Laien besetzter Film durch seine soziale Authentizität. Die Gesichter der Schauspieler, Sprache und Kulissen spiegeln ein soziales Milieu wieder, das auf differenzierte Weise aufgefächert wird. Dabei schafft Loach sowohl Raum für die Wut über die Verhältnisse als auch für das Prinzip Hoffnung, an dem der unverwüstliche Filmemacher zeit seines Lebens festgehalten hat. Das ist nicht frei von sentimentalen Momenten, aber in seiner aufrichtig humanistischen Grundhaltung dennoch überzeugend. Ken Loachs Blick auf die Menschen, auf die sonst niemand schaut: Das Kino wird ihn vermissen. 

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